Lange schaute niemand mehr dorthin, doch nun richten sich die Augen der Welt wieder auf Syrien. Grund ist der von der Türkei geplante Einmarsch in das von Kurden kontrollierte Gebiet im Norden des Bürgerkriegslandes. «Alle Vorbereitungen für den Einsatz sind abgeschlossen», teilte das türkische Verteidigungsministerium am Dienstag mit.
Präsident Recep Tayyip Erdogan (65) hatte tags zuvor erklärt, die Militäroffensive in Nordsyrien könne jederzeit beginnen. Zuvor hatten die USA Soldaten aus Stellungen in Nordsyrien abgezogen und damit das Feld für eine türkische Offensive bereitet.
Schweizer Aussenpolitiker in Sorge
Das macht auch Schweizer Aussenpolitikern Sorge. «Eine türkische Invasion würde die gesamte Region destabilisieren», sagt die Basler Grüne Sibel Arslan (39). Sie ist überzeugt, dass die Folgen davon auch die Schweiz zu spüren bekäme, etwa über mehr Asylgesuche. «Auch heute sind viele Menschen in der Schweiz besorgt und gehen auf die Strasse. Die Schweiz sollte sich daher dafür einsetzen, dass eine Tragödie verhindert wird und die Türkei nicht in Syrien einmarschiert», sagt sie.
Für die Schweiz stellt sich mit drohenden Kampfhandlungen im Kurdengebiet noch ein anderes Problem: Noch immer sitzen 20 Dschihad-Reisende mit Schweizer Pass im Kriegsgebiet fest, inhaftiert und bewacht von den Kurden. Darunter befinden sich auch fünf Kinder.
Aussendepartement prüft Optionen
Seit Monaten diskutiert der Sicherheitsausschuss des Bundesrats, was mit diesen Kindern passieren soll. Holt man sie in die Schweiz? Auch die Mütter? Oder überlässt man sie ihrem Schicksal? Für den Bundesrat keine leichte Entscheidung, denn die Sicherheit in der Schweiz steht für ihn auf der Prioritätenliste zuoberst – und die Vermutung, dass man traumatisierte Radikale ins Land holt, ist nicht von der Hand zu weisen.
Wie das EDA auf Anfrage von BLICK sagt, unternehme die Schweiz «seit langer Zeit grosse Anstrengungen im Interesse der Kinder und prüft im Einzelfall Optionen für die Rückführung. Im Interesse der Sache sowie aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes können keine Angaben über Einzelfälle gemacht werden».
Bundesrat soll vorwärts machen
Dennoch seien Hilfeleistungen in Staaten unmöglich, «zu welchen keine diplomatischen Beziehungen bestehen oder in Regionen, in welchen der zuständige Staat keine Kontrolle ausüben kann. Das trifft zurzeit für die Schweiz in Syrien zu.»
Doch mit der drohenden Invasion der Türkei spitzt sich diese Frage zu, denn dann könnten Kinder mit Schweizer Staatsbürgerschaft an Leib und Leben gefährdet sein. Nun fordern Parlamentarier, dass die Regierung endlich einen Entscheid trifft. «Der Bundesrat muss vorwärts machen», sagt Arslan. «Es geht um Schweizer Kinder, die dort sind und im schlimmsten Fall ums Leben kommen könnten.»
«Die Kinder können nichts dafür»
FDP-Nationalrätin Christa Markwalder (44) meint: «Es ist eine sehr heikle Lage.» Natürlich stelle sich die Frage, ob der staatliche Schutz erlische, wenn sich Bürger für eine ausländische Terrororganisation entscheiden. «Klar ist aber ebenso, dass die Kinder nichts dafür können.»
Auch SP-Nationalrätin Yvonne Feri (53) gibt zu, dass sich der Bundesrat «in einer schwierigen Lage» befinde. «Aber ich würde es sehr begrüssen, wenn die Schweiz die Kinder schnell aus dieser gefährlichen Lage herausbringen könnte.»
Für BDP-Nationalrat Bernhard Guhl (47) geht es nicht nur um den Schutz der Kinder. Er weist auf einen sicherheitspolitischen Aspekt hin: «Die Kurden haben für uns alle die Polizei gespielt und die IS-Kämpfer bekämpft und inhaftiert.» Doch was passiert, wenn sie das bei einem Einmarsch der Türken nicht mehr könnten? Guhl ist überzeugt: «Dann droht, dass die Dschihadisten freikommen – ein enormes Sicherheitsrisiko.»
Er fände es am besten, wenn zum Beispiel eine internationale Uno-Friedenstruppe übernehmen würde. Oder aber dass alle Herkunftsländer ihre Dschihadisten zurückzuholen. «Die Kämpfer müssen inhaftiert bleiben – von ihnen geht eine latente Gefahr aus! Bei Frauen und Kindern muss es eher um Resozialisierung gehen.»