GLP fordert Fleischverzicht
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olitrezepte von Jürg Grossen:GLP fordert Fleischverzicht

Die Politrezepte von Parteichef Jürg Grossen
GLP fordert Fleischverzicht

Für den Chef der Grünliberalen zeigt die Corona-Pandemie, wo sich die Schweiz verändern muss: Bei der Ernährung. Der Flirt von BDP und CVP lässt Jürg Grossen (50) kalt.
Publiziert: 18.07.2020 um 23:10 Uhr
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Aktualisiert: 03.09.2020 um 18:15 Uhr
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GLP-Präsident Jürg Grossen prangert unsere Essgewohnheiten an.
Foto: Peter Mosimann
Interview: Camilla Alabor und Simon Marti

Bei den Wahlen vor einem Jahr konnten die Grünliberalen ihren Wähleranteil auf 7,8 Prozent steigern. Trotz dieses Erfolgs hörte man von der GLP seither nicht mehr viel, vom Ja zur Ehe für alle einmal abgesehen.
Jürg Grossen: Während der Corona-Krise haben wir uns hinter den Bundesrat gestellt – und das war auch richtig so. Wir sind keine ­Partei, die sich um jeden Preis in den Vordergrund drängt. Neben der Ehe für alle waren wir aber auch massgeblich am CO2-Gesetz beteiligt. Wir sorgten mit dafür, dass die erste Version, die ein Rückschritt in der Klimapolitik gewesen wäre, abgeschossen wurde. Seither haben wir intensiv an der Neuauflage mitgearbeitet – mit ­Erfolg. Das Gesetz wurde grösstenteils in unserem Sinne entschieden.

Dennoch: Ihre Partei ist derzeit kaum sichtbar. Ist die Absturzgefahr in drei Jahren umso grösser?
Auf keinen Fall. Die Grünliberalen sind gekommen, um zu bleiben. Wir sind natürlich mit 16 Sitzen im Nationalrat und ohne Vertretung im Ständerat nicht zufrieden. Deshalb stellen wir uns jetzt so auf, dass wir bei den nächsten Wahlen weiter zulegen können.

Ihr Problem ist: Der GLP fehlt es an einer treuen Stammwählerschaft. Laut Selects-Studie sind viele derjenigen, die letztes Jahr grünliberal gewählt haben, ehemalige SP- und FDP-Wählende.
Das ist richtig. Der Punkt ist, wir sind eine relativ junge Partei. Und wir werden auch überdurchschnittlich von Jungen gewählt – die vor vier Jahren vielleicht noch gar nicht an den Wahlen teilnehmen konnten. Klar ist: Wir müssen un­sere Stammwählerschaft erst noch aufbauen. Wenn ich mir aber den hohen Wähleranteil bei den Jungen anschaue, haben wir eine grosse Zukunft vor uns.

Wer am häufigsten wählen und abstimmen geht, sind aber die Älteren. Und diese legen selten die GLP-Liste ein.
Ich kann verstehen, wenn man bei einer Partei bleibt, die man jahrelang gewählt hat. Aber man kann auch im Alter seine Meinung noch ändern. Für meine Eltern war eine Energieversorgung ohne Atomstrom oder dass man vom Öl wegkommen kann, lange undenkbar. Dennoch haben sie – mit über siebzig – ein Elektroauto gekauft und eine Fotovoltaikanlage installiert. Ohne, dass ich etwas gesagt hätte.

In der Corona-­Epidemie präsentierten viele Par­teien Ideen, wie das Land aus der Krise kommt. Demnächst ziehen die Grünliberalen mit einem 20-Punkte-Plan nach. Kommt der nicht zu spät?
Wir wollten keinen Schnellschuss, sondern haben uns gut überlegt, wie liberale und nachhal­tige Lösungen und Reformen aussehen können.

In dem besagten Plan setzen Sie bei der Landwirtschaft an, namentlich der Fleischproduktion. Der Anteil ­tierischer Produkte an unserer Ernährung sei zu hoch, heisst es dort. Essen wir in der Schweiz zu viel Fleisch?
Ja, wir essen ganz klar zu viel Fleisch. Wir möchten deshalb, dass sich der Bund mit seinen Direktzahlungen stärker an der pflanz­lichen Ernährung orientiert. Der Bund gibt viel Geld aus für die Landwirtschaft. Da macht es doch Sinn, dieses Geld so einzusetzen, dass der Nutzen am grössten ist: Die pflanzliche Produktion erzeugt auf derselben Fläche mehr Kalo­rien als die Fleischwirtschaft, sie verursacht weniger Klimaschäden, braucht weniger Futtermittel und weniger Wasser.

Sie nennen sich «liberal» und wollen den Menschen vor­schreiben, was sie essen dürfen?
Verbieten will ich gar nichts. Ich sage auch nicht, dass ab und zu ein Cervelat vom Grill etwas Schlechtes ist. Aber ich bin überzeugt: Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher. Wir gewöhnen uns auch bei der Mobilität um – vor zehn Jahren wurde ich mit meinem Elektroauto noch ausgelacht, in weiteren zehn Jahren werden die meisten von uns mit elektrischen Fahrzeugen unterwegs sein. Bei der Ernährung ist die Entwicklung ähnlich: Ich kenne viele, die we­niger oder gar kein Fleisch mehr ­essen.

Mehr Kürbisfelder, weniger Kuh­herden: Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?
Indem man beispielsweise die unsinnige Bestimmung abschafft, dass die Bauern nur bei einer Mindestanzahl von Kühen Subventionen erhalten oder dass Schlachtviehmärkte und Werbung für Fleisch subventioniert werden. Man sollte nicht noch Anreize setzen, Tiere zu halten, wenn wir davon schon zu viele haben.

Wird weniger Fleisch produziert, steigt der Preis für den Kon­sumenten – nicht gerade sozial.
Es gibt kein Menschenrecht auf überhöhten Fleischkonsum. Und es wird für Haushalte mit kleinerem Portemonnaie auch weiterhin ­möglich sein, Fleisch zu essen.

In Ihrem 20-Punkte-Plan fordern Sie auch höhere Zölle für klimaschädliche Produkte. Wie soll das funktionieren?
Die EU ist daran, ein System zu entwickeln. Die Idee ist im Grunde simpel: Für weniger ökologische Erzeugnisse steigen die Abgaben.

Auch beim CO2-Gesetz würden Sie gerne weitergehen als die aktuelle Vorlage. Das ist doch illusorisch!
Diese Spannung gilt es auszu­halten. Das ist für mich gar nicht so einfach. Seit zehn Jahren wohnen wir in einem Haus, das mehr Strom produziert als verbraucht; wir ­fahren mit einem elektrischen Auto; wir leben vor, dass es geht. Mir ist aber klar, dass man das nicht von allen von heute auf morgen erwarten kann.

Persönlich: Jürg Grossen

Jürg Grossens (50) politische Karriere begann spät. Doch sie nahm einen steilen Verlauf: 2011 gelang dem Berner Oberländer beinahe aus dem Nichts die Wahl ins Bundesparlament. Nur sechs Jahre später folgte er auf Martin Bäumle als Präsident der Grünliberalen. Grossen ist von Beruf Elektroplaner und führt seit Mitte der 90er-Jahre ein Unternehmen. Der Nationalrat ist verheiratet, Vater von drei Kindern und lebt in Frutigen BE.

Jürg Grossens (50) politische Karriere begann spät. Doch sie nahm einen steilen Verlauf: 2011 gelang dem Berner Oberländer beinahe aus dem Nichts die Wahl ins Bundesparlament. Nur sechs Jahre später folgte er auf Martin Bäumle als Präsident der Grünliberalen. Grossen ist von Beruf Elektroplaner und führt seit Mitte der 90er-Jahre ein Unternehmen. Der Nationalrat ist verheiratet, Vater von drei Kindern und lebt in Frutigen BE.

Und doch glauben Sie, dass die Bürgerlichen Ihnen am Ende entgegenkommen ...
Die FDP hat im vergangenen Jahr bewiesen, dass sie ihre Haltung in der Klimapolitik an­passen kann. Das war ein Riesenschritt! Die GLP hat bei diesem Prozess keine unwichtige Rolle gespielt.

In der politischen Mitte vollzieht sich Erstaunliches. CVP und BDP ­bereiten den Zusammenschluss vor. Wo bleibt die GLP, wenn sich der Mitte-Block neu formiert?
Wir bleiben, wo wir sind: Die GLP ist in der Mitte verankert – in der progressiven Mitte, um genau zu sein. Eine Veränderung ist nicht ­angezeigt. Wir arbeiten mit CVP und BDP hervorragend zusammen, aber sie ticken konservativ. Im Vergleich dazu sind wir viel agiler und progressiver.

Ist für Sie der Anspruch der CVP auf einen und jener der FDP auf zwei Sitze im Bundesrat in Stein gemeisselt?
Kein Anspruch ist garantiert. Rechnerisch ist die FDP derzeit klar übervertreten.

Wann versucht sich die GLP an einer Bundesratskandidatur?
Wir wollen einmal einen Bundesrat oder eine Bundesrätin stellen, völlig klar. Ohne Ständeräte und mit dem aktuellen Wähleranteil wäre ein solcher Anspruch vermessen. Am Ziel halte ich aber fest.

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