Die Politik treibt die Gleichberechtigung für Schwule und Lesben voran
Ein gutes Jahr für den Regenbogen

Die Ultrakonservativen haben Mühe, genug Unterschriften gegen die Stiefkindadoption durch homosexuelle Paare zu finden. Derweil kommt die Ehe im Parlament auf die Zielgerade.
Publiziert: 15.08.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:39 Uhr
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Stiefkind-Adoption, Ehe für alle und erleichterte Einbürgerung befinden sich auf der Zielgeraden.
Foto: imago
Christof Vuille

Auch 2016 müssen sich homosexuelle Paare noch dumme Sprüche anhören und verstohlene Blicke gefallen lassen. Doch es ist ein gutes Jahr für den Kampf von Schwulen und Lesben für gleiche Rechte.

Die CVP-Familien-Initiative scheiterte an der Definition der Ehe als Beziehung zwischen Mann und Frau. Und schon bald könnte die LGBT-Community (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) erneut in den ­Fokus einer Volksabstimmung rücken. Im Juni hat das Parlament entschieden, dass Schwule und Lesben ihre Stiefkinder adoptieren dürfen, wenn sie in eingetragener Partnerschaft leben. Dagegen haben ultrakonservative, christliche Kreise um die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) das ­Referendum ergriffen. «Un­sere Kultur und Tradition verlangen nach Familien mit einer Mutter und einem Vater», sagt EDU-Präsident Hans Moser.

Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern seien oft verunsichert, behauptet er. Schaffen er und seine Mitstreiter bis am 6. Oktober 50'000 Unterschriften, um ein Referendum durchzusetzen? Er sei «vorsichtig ­optimistisch», sagt Moser. Die Sammlung läuft bereits seit Ende Juni. Bisher habe man «etwa ein Drittel» der nötigen Unterschriften beisammen. Doch bereits ist wesentlich mehr als ein Drittel der Zeit verstrichen! Gleichgesinnte – etwa Freikirchler – müssten nun «Vollgas geben und unterschreiben», warnt Moser. Dass die Unterschriftensammlung kein Selbstläufer ist, überrascht nicht.

Bundesbern macht Tempo bei der Gleichberechtigung. Das Thema der nächsten Wochen: Ehe für alle. Die Rechtskommission des Nationalrats wird «noch im Sommer» die nötigen Informationen aus der Verwaltung erhalten und «sehr bald» einen Erlass für die Ehe für alle aus­arbeiten, sagt Präsident Jean Christophe Schwaab (SP).

Im Grundsatz haben dem bereits beide Rechtskommissionen zugestimmt. Es gehe nun zum Beispiel um die Frage, ob das Ganze in der Verfassung oder auf Ge­setzesstufe geregelt werden soll, so Schwaab.

Schlag auf Schlag geht es weiter: Bereits im Herbst erarbeitet die Rechtskommission ein Gesetz zur Ausdehnung der Antirassismus-Strafnorm. «Wer Schwule oder Lesben beleidigt, soll künftig bestraft werden können», erklärt der Waadtländer. Das Anliegen ist im Parlament ebenfalls mehrheits­fähig. Parallel dazu wird die Staatspolitische Kommission des Ständerats womöglich bereits diese Woche vorwärtsmachen bei der erleichterten Einbürgerung für eingetragene Partner – wie es bei ­Verheirateten der Fall ist.

Denkbar sei auch, dieses Geschäft im Rahmen der Ehe für alle zu regeln, heisst es.

So oder so: In den nächsten Monaten könnte die Regenbogen-Lobby der Homosexuellen grosse Erfolge feiern. Noch bleibt der Champagner aber im Kühlschrank.

Bastian Baumann von der Schwulen-Organisation Pink Cross: «Im Sommer 2016 befindet sich die Schweiz in kleinen Schritten auf einem guten Weg.» Kleine Schritte seien aber nicht zwangsläufig schlecht – so werde eine breite Debatte ermöglicht. Er ist «überzeugt», dass «wir zu progressiveren Ländern aufschliessen können». In Schweden ist die Zivilehe seit 2009 für homosexuelle Paare zugänglich, Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist eine Straftat, künstliche Befruchtung für Lesben erlaubt und die Adoption von Kindern möglich.

Genau vor «solchen Zuständen» fürchten sich Hans Moser und seine Mitstreiter mit Blick auf die ­Abstimmung über die Stiefkind-Adoption. Das sei nämlich «nur der Anfang». Viele Politiker wollten schon heute die Voll-Adoption. «Dann brechen alle Dämme, das wollen wir mit aller Kraft verhindern», kündigt er an.

Bastian Baumann von Pink Cross hält bloss fest: «Es darf zwischen hetero- und homosexuellen Paaren in Zukunft keine rechtlichen Unterschiede mehr geben.»

Das meint BLICK: Gleichmacher mit dem Zeigefinger

Ein Kommentar von Andreas Dietrich

Jeder Mensch ist einzig­artig. Sogar dann, wenn er sich in einer Masse von Hunderttausenden anderer Einzigartiger bewegt. Sogar dann, wenn alle ähnlich gekleidet sind und zu irgendwie immer gleich klingender Musik zucken. Dies zeigte die Street Parade am Wochen­ende. «Unique», also «einzigartig», hiess das Motto. Zelebriert wurden Freiheit, Grosszügigkeit, Toleranz. Mal bieder, mal frivol.

Die hedonistische Techno-Fasnacht ist das Gegenstück zu den erzkonservativen ­Unterschriftensammlern rund um die EDU. Natürlich ist es deren Recht, mit einem Referendum die Stiefkind-Adoption verhindern zu wollen. Das Kindeswohl nehmen sie allerdings bloss zum Anlass, ihr Ziel ist ein anderes: Sie wollen die Zeit zurückdrehen. Die offene Gesellschaft wieder verengen, Anders­lebende einengen, uns alle beengen. Im Grunde lehnen die ­Polit-Frömmler die Einzig­artigkeit des Menschen ab, die Individualität. Sie streben eine Gleichmacherei an. Denn genau dies tut jemand, der von moralisch erhöhter Warte aus zeigefingert, was normal sei und was nicht.

Bis 1995 war im Wallis das Konkubinat verboten, das Zusammenleben von Mann und Frau ohne Ehering. Erst 21 Jahre ist das her! Zum Glück ist unsere Gesellschaft seither freier, grosszügiger, toleranter geworden. Und sie entwickelt sich weiter.

Aus liberaler Sicht gibt es keinen Grund, warum der Staat seine Bürger wegen ihrer ­Lebensweise und sexuellen Orientierung unterschiedlich behandeln sollte. Ob Hetero, Schwuler, Lesbe oder was auch immer – jeder Mensch ist einzigartig. Und soll vom Staat in seiner Einzigartigkeit respektiert werden. Gleichberechtigung ist die demokratische Antwort von heute auf die menschenfeindliche Gleichmacherei von gestern.

Stv. Chefredaktor: Andreas Dietrich
Andreas Dietrich, Stv. Chefredaktor

Ein Kommentar von Andreas Dietrich

Jeder Mensch ist einzig­artig. Sogar dann, wenn er sich in einer Masse von Hunderttausenden anderer Einzigartiger bewegt. Sogar dann, wenn alle ähnlich gekleidet sind und zu irgendwie immer gleich klingender Musik zucken. Dies zeigte die Street Parade am Wochen­ende. «Unique», also «einzigartig», hiess das Motto. Zelebriert wurden Freiheit, Grosszügigkeit, Toleranz. Mal bieder, mal frivol.

Die hedonistische Techno-Fasnacht ist das Gegenstück zu den erzkonservativen ­Unterschriftensammlern rund um die EDU. Natürlich ist es deren Recht, mit einem Referendum die Stiefkind-Adoption verhindern zu wollen. Das Kindeswohl nehmen sie allerdings bloss zum Anlass, ihr Ziel ist ein anderes: Sie wollen die Zeit zurückdrehen. Die offene Gesellschaft wieder verengen, Anders­lebende einengen, uns alle beengen. Im Grunde lehnen die ­Polit-Frömmler die Einzig­artigkeit des Menschen ab, die Individualität. Sie streben eine Gleichmacherei an. Denn genau dies tut jemand, der von moralisch erhöhter Warte aus zeigefingert, was normal sei und was nicht.

Bis 1995 war im Wallis das Konkubinat verboten, das Zusammenleben von Mann und Frau ohne Ehering. Erst 21 Jahre ist das her! Zum Glück ist unsere Gesellschaft seither freier, grosszügiger, toleranter geworden. Und sie entwickelt sich weiter.

Aus liberaler Sicht gibt es keinen Grund, warum der Staat seine Bürger wegen ihrer ­Lebensweise und sexuellen Orientierung unterschiedlich behandeln sollte. Ob Hetero, Schwuler, Lesbe oder was auch immer – jeder Mensch ist einzigartig. Und soll vom Staat in seiner Einzigartigkeit respektiert werden. Gleichberechtigung ist die demokratische Antwort von heute auf die menschenfeindliche Gleichmacherei von gestern.

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