Die Libyen-Krise erschütterte die Schweiz
Als Gaddafi unser Land erpresste

Vor zehn Jahren erlebte die Schweiz eine der schwersten aussenpolitischen Krisen der vergangenen Jahrzehnte.
Publiziert: 31.10.2018 um 11:38 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2018 um 11:41 Uhr
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Aussenministerin Micheline Calmy-Rey begleitet Göldi im Juni 2010 heim.
Foto: Keystone
Guido Felder

Vor zehn Jahren erlebte die Schweiz eine der schwersten aussenpolitischen Krisen der vergangenen Jahrzehnte. Nachdem die Genfer Polizei am 15. Juli 2008 Hannibal Gaddafi (43), den Sohn des damaligen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi (†69), und seine hochschwangere Frau Aline (38) wegen Gewalt am Dienstpersonal festgenommen hatte, übte die libysche Regierung Rache an der Schweiz. So stoppte Herrscher Gaddafi die Erdöllieferungen, zog fünf Milliarden Franken aus der Schweiz ab, schloss alle Schweizer Unternehmen und verbot Swiss die Landung und Schweizer Schiffen das Anlegen in Libyen. Gaddafi bezichtigte die Schweiz des Terrorismus und forderte mehrmals, das Land zu zerschlagen und aufzuteilen.

Zwei Schweizer verhaftet

Kritisch wurde die Lage dann, als Gaddafi den Aargauer ABB-Angestellten Max Göldi (63) und den Waadtländer Rachid Hamdani (78) festnehmen und Göldi 23 Monate und Hamdani 19 Monate nicht ausreisen liess. Göldi beschreibt in seinem Buch «Gaddafis Rache – Aus dem Tagebuch einer Geisel», wie er monatelang in der Schweizer Botschaft in Tripolis ausharrte und mehrmals willkürlich in Gefängnisse gesteckt wurde. Verhandlungen fruchteten nichts.

Nachdem die «Tribune de Genève» die Polizeifotos von Hannibal Gaddafi veröffentlicht hatte, wurden Göldi und Hamdani 53 Tage an einem unbekannten Ort in Einzelhaft gesperrt. Göldi kassierte schliesslich eine viermonatige Haftstrafe wegen angeblichen Verstosses gegen das Einwanderungsgesetz.

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Merz und Calmy-Rey rangen um die Geiseln

Für die Verhandlungen war das EDA federführend. Als diese erfolglos blieben, schaltete sich der damalige Bundespräsident Hans-Rudolf Merz (75) ein. Er reiste nach Tripolis, kam aber ohne Geiseln zurück. Nachträglich sagte Merz in einem Interview, die Schweizer Bemühungen hätten sich «im Widerschein von Arroganz, Willkür, Unrecht und Gewalt» abgespielt.

Schliesslich setzte sich Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (SP, 73) in Szene, als sie Max Göldi am 14. Juni 2010 im Flugzeug heimbegleitete. Hamdani war bereits früher über Tunesien zurück in die Schweiz gereist. Die Ausreise kam zustande, nachdem die Schweiz Gaddafi unter anderem eine Kompensationsentschädigung von 1,5 Millionen Franken versprochen und mit deutscher Hilfe einen Staatsvertrag mit Libyen ausgehandelt hatte. Weil Gaddafi 2011 erschossen wurde und das Regime zusammenbrach, kam dieser Vertrag gar nie zur Anwendung.

Merz schreibt Göldis Buch

Hans-Rudolf Merz hat im Buch von Max Göldi einige Worte verfasst. «Die Geiselnahme war für die offizielle Schweiz, vor allem aber natürlich für die Angehörigen und die beiden Herren selbst, absolut zermürbend … Jetzt, fast ein Jahrzehnt später, die Aufzeichnungen von Max Göldi zu lesen, ist für mich nicht nur äusserst beeindruckend, sondern auch sehr spannend und in vielerlei Hinsicht erhellend. Sein Buch ist mehr als die Aufarbeitung der Libyen-Krise, es ist die Geschichte eines Menschen, der sich standhaft weigerte, zum Opfer zu werden.»

Gegenüber BLICK betont Hans-Rudolf Merz, dass er auf das Buch keinen Einfluss genommen habe und er sich zur Krise selber nicht äussern wolle. Merz: «Es ist begrüssenswert, wenn man die Geschichte nun von der anderen Seite hört. Ich selber aber will den Konflikt nicht wieder aufbrechen.»

Das EDA wehrt sich

Das Aussendepartement weist Göldis Vorwürfe zurück. Auf Anfrage von BLICK schreibt das EDA: «Die damalige Departementschefin und die Schweizer Diplomatie insgesamt haben das Dossier mit erstrangiger Priorität behandelt und enorme Anstrengungen unternommen, um die beiden Schweizer freizubekommen. Die Kontakte und Verhandlungen mit der libyschen Seite waren äusserst kompliziert, schwierig und belastend. Alle Involvierten mussten bis zur Freilassung der beiden Schweizer ein ausserordentliches Engagement an den Tag legen.» Göldi habe kein separates Debriefing des Departements gewünscht. Zudem habe die Schweiz der Familie nach der Rückkehr einen geschützten Ort bereitgestellt.

Das Aussendepartement weist Göldis Vorwürfe zurück. Auf Anfrage von BLICK schreibt das EDA: «Die damalige Departementschefin und die Schweizer Diplomatie insgesamt haben das Dossier mit erstrangiger Priorität behandelt und enorme Anstrengungen unternommen, um die beiden Schweizer freizubekommen. Die Kontakte und Verhandlungen mit der libyschen Seite waren äusserst kompliziert, schwierig und belastend. Alle Involvierten mussten bis zur Freilassung der beiden Schweizer ein ausserordentliches Engagement an den Tag legen.» Göldi habe kein separates Debriefing des Departements gewünscht. Zudem habe die Schweiz der Familie nach der Rückkehr einen geschützten Ort bereitgestellt.

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