Die Initianten des Grundeinkommens inszenieren eine perfekte Kampagne
Grossmeister des Polit-Theaters

Bedingungsloses Einkommen für alle? Eine verrückte Idee beschert der Schweiz die kreativste Abstimmungskampagne seit langem.
Publiziert: 27.03.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 03:40 Uhr
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Gratis Geld für alle: Initianten am Zürcher HB.
Foto: Stefan Bohrer
Simon Marti

Einhundertdreissigtausend Schweizer scheinen den Verstand verloren zu haben. So viele Stimmbürger haben die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen unterschrieben. Diesen Menschen ist es zu verdanken, dass am  5. Juni eines der radikalsten Volksbegehren der Geschichte der direkten Demokratie an die Urne kommt. «Zu Beginn hiess es, die bringen noch nicht einmal die nötigen Unterschriften zusammen», erinnern sich die Mitinitianten Daniel Häni (50) und Che Wagner (28) heute an die Anfänge der Vorlage.

Diese fordert eine sichere Existenzgrundlage, garantiert vom Staat, egal, ob man nun arbeitet oder nicht. Natürlich ist das Begehren chancenlos. Natürlich wäre ein Ja ein volkswirtschaftlicher Horrortrip. Doch die Initiative ist bloss eine Verkleidung für die grundlegenden Anliegen der Aktivisten. Sie wollen Fragen stellen. Was tun wir denn, wenn zigtausend Jobs im Zuge der Digitalisierung wegsterben? Was fangen wir an mit unserer Zeit, wenn der Staat uns von den Mühen der Existenzsicherung bewahrt? Darüber wollen sie nachdenken. Und das möglichst laut und in aller Öffentlichkeit. Dabei erweist sich dieser Haufen Querdenker den etablierten Schweizer Politstrategen mindestens ebenbürtig. Die Parteien blicken neidisch auf die Breitenwirkung dieser Truppe, die der Schweiz die aufregendste Kampagne seit Menschen-gedenken beschert.

Den ersten Coup landeten Häni und seine Mitstreiter, als sie im Herbst 2013 ihre Unterschriftenbögen in Bern feierlich einreichten: Acht Millionen Fünf-räppler kippten sie vor dem Bundeshaus aus. Das Bild von Che Wagner, der in einem Meer aus funkelnden Münzen sitzt, ging um die Welt. Damals mussten sie noch einen Kredit aufnehmen, um gross Aufspielen zu können. Seit der Abstimmungskampf aber Fahrt aufgenommen hat, fliessen die Spenden reichlich. Ein paar Hunderttausend Franken haben sie beisammen. Vor allem kleine Beträge würden gespendet, ab und an tausend Franken. Die meisten Gönner wollen anonym bleiben. «Wir haben zum Glück keinen Blocher im Rücken», sagt Häni. Brauchen sie auch nicht. Das jüngste Kapitel der Politshow schrieben die Initianten am Hauptbahnhof Zürich, als sie zehntausend Franken an Passanten verteilten. Auf die Noten klebten sie den Hinweis auf die Abstimmung vom

5. Juni. Sympathisanten haben bereits 100'000 dieser Mini-Plakate bestellt, bereit, die Botschaft in Umlauf zu bringen. «Die Noten sind unsere Flyer», sagt Wagner. Flyer, die keiner achtlos wegschmeisst. Wie im Kleinen, so im Grossen:  Derzeit basteln einige ihrer Mitstreiter am grössten Plakat der Welt, 7500 Quadratmeter gross. Doch zuvor kapern die Initianten noch den traditionellen 1. Mai. Als Roboter verkleidet, will eine Gruppe in Zürich mitdemonstrieren. Als Symbol für die

Veränderung der Arbeit im 21. Jahrhundert, in welchem immer mehr Stellen der Rationalisierung zum Opfer fallen. Ihr Auftritt ist ein Stich ins Herz der Linken. «Es braucht kein Recht auf Arbeit», so Häni, «sondern ein Recht auf Einkommen! Dafür treten wir am 1. Mai auf.»

Noch bis am 5. Juni nutzen die Aktivisten die Schweiz als Bühne, dann werden sie weiterziehen. Die Abstimmung in der Schweiz wird rückblickend bloss eine Etappe einer viel grösseren Kampagne gewesen sein. Kontakte nach Deutschland oder in die USA sind längst geknüpft. Dort wollen sie ihre Arbeit fortsetzen. Das grosse Theater geht weiter. Bis die ganze Welt den Verstand verliert.

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