Foto: Siggi Bucher

Die Folgen des Booms
Wettlauf um Reha-Patienten

Das Rennen hat begonnen. Nicht nur Gesundheitsunternehmen konkurrieren im wachsenden Reha-Markt. Auch die Kantone mischen sich ein.
Publiziert: 02.11.2019 um 23:25 Uhr
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Die Schweiz ist im Reha-Boom. Jedes Jahr lassen sich mehr Menschen behandeln.
Foto: zvg
Danny Schlumpf

Reha ist eine Boom-Branche, also boomt auch das Wettrennen um Patienten – zwischen den Reha-Unternehmen, aber auch unter den Kantonen.

Vier grosse Player haben sich auf diesem wachsenden Markt in der Schweiz etabliert: die Reha Clinic mit Sitz in Zurzach AG, die Kliniken Valens, die Zürcher Rehazentren und die österreichischen Vamed-Kliniken.
«Es gibt einen gesunden Wettbewerb», sagt Till Hornung (48), CEO der Kliniken Valens. «Der betrifft vor allem die Qualität und die Konzepte. Aber auch der Wettbewerb um Patienten wird zunehmen, wenn die Nachfrage weiter wächst.»

Reha-Anbieter folgen keiner kantonalen Logik, sie denken in sogenannten Versorgungsregionen. Sowohl die aargauische Reha Clinic als auch die St. Galler Kliniken Valens haben ihre Fühler in den Kanton Zürich ausgestreckt.

«Wir wollen weiter expandieren»

«Damit folgen wir der Nachfrage nach spital- und wohnortsnahen Rehabilitationsangeboten», sagt Serge Altmann (52), CEO der Reha Clinic. «Wir gehen in die Zentren, zu den Leuten.» Gerade in diesem Bereich sei der Markt noch längst nicht konsolidiert. «Wir wollen weiter expandieren.»

Auch auf politischer Ebene hat der Reha-Boom Folgen. «Es gibt eine Konkurrenz der Kantone», sagt der Gesundheitsökonom Willy Oggier (54), Präsident des Verbandes Swiss Reha.

Die entscheidende Frage dabei lautet: Sind alle Betten am richtigen Ort? So deckt der Kanton Zürich lediglich 30 Prozent des Reha-Bedarfs seiner Bevölkerung. Allerdings sind dort in den letzten Jahren gleich vier Rehakliniken entstanden: Zollikerberg, Kilchberg, Lengg und Limmattal. Zwei weitere gehen bald in Betrieb: eine beim Triemli, eine beim Spital Uster.

Keine guten Nachrichten für Aargau und Thurgau

«Für die Gesundheitsdirektion stellt sich die Frage, welche Versorgungsstrukturen in der Rehabilitation in Zukunft notwendig sind, um eine adäquate Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen», sagt SVP-Regierungsrätin Natalie Rickli (42). «Wir sind daran, diese strategische Frage zu klären. Daraus wird sich der Umfang des Bedarfs an innerkantonaler stationärer Versorgung ergeben.»

Das sind keine guten Nachrichten für Aargau und Thurgau. Beide Kantone haben bedeutend mehr Betten, als ihre Bevölkerung benötigt. Denn mehrere Rehakliniken dort haben in den letzten Jahren massiv investiert, um die Bettenzahl zu erhöhen.

Zum ersten Mal gerieten die Konkurrenten im Sommer aneinander. Der Kanton Thurgau klagte vor Bundesverwaltungsgericht gegen eine Aufnahme der Reha­klinik Limmattal in die Zürcher Spitalliste.

«Dann steigen die Kosten für alle»

Nathanael Huwiler, Generalsekretär im Departement Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau: «Der Bund verpflichtet die Kantone zur Koordination.» Deshalb habe der Thurgau interveniert. Huwiler sagt aber auch: «Wenn eine Erhöhung des Reha-Angebots im Kanton Zürich zu einem Überangebot führt, ist es problematisch. Dann steigen nämlich die Kosten und damit die Prämien für alle.»

Hat man im Thurgau und Aargau die Bettenzahl in die Höhe geschraubt, um solche Argumente ins Feld führen zu können? Der aargauische FDP-Regierungsrat Stephan Attiger (52), interimistischer Vorsteher des Departements Gesundheit und Soziales, dementiert: «Die Kantone haben die Aufgabe, mit der Spitalplanung die Versorgungssicherheit für ihre Einwohner sicherzustellen.» Die Leistungsaufträge würden nach den rechtlich vorgegebenen objektiven Kriterien erteilt. «In diesem Sinn stehen nicht die Kantone, sondern die Spitäler im Wettbewerb zueinander, was der Zielsetzung des Krankenversicherungsgesetzes entspricht.»

Hört man den Kantonen zu, scheint ein anderer Wettbewerb zentral: Wer kann wortreicher bestreiten, dass es einen Wettlauf um die Reha-Patienten gibt?

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«Reha spart Kosten»

Die St. Galler Gesundheits­direktorin Heidi Hanselmann (58) lässt aus Kostengründen mehrere Spitäler schliessen – und verteidigt die Kosten des Reha-Booms.

Sie lassen aus Kostengründen Spitäler schliessen. Dazu haben Politiker anderer Kantone nicht den Mut.
Heidi Hanselmann: Die DNA der Schweiz ist der Föderalismus. Er zeigt sich in der Gesundheitspolitik genauso wie in der Steuerpolitik. Für andere kann ich nicht reden, aber als leidenschaftliche Bergsteigerin weiss ich, dass Angst keine gute Begleiterin ist und deshalb nicht in meinen Rucksack gehört.

Es ist eine zunehmende Konkurrenz der Kantone um die Reha-Patienten erkennbar. Dahinter steckt die Frage: Sind die Reha-kliniken in der Schweiz sinnvoll verteilt?
Im Versorgungsangebot der Rehabilitation findet heute der Wettbewerb ebenso statt wie im stationären Bereich. Die Verantwortung, für eine gute und angemessene Gesundheitsversorgung zu sorgen, liegt aber allein bei den Kantonen. Den Spagat zwischen Wettbewerb und Versorgungsgerechtigkeit zu finden, ist eine herausfordernde Aufgabe für die föderalistisch organisierte Schweiz.

Mehr Reha – mehr Kosten?
Durch die Zunahme der Rehabilitationsaufenthalte nehmen zwar die Rehabilitationskosten zu, was aber nicht unbedingt zu einer Zunahme der volkswirtschaftlichen Kosten führt. Denn Reha-Aufenthalte bewirken, dass arbeitstätige Personen wieder arbeiten, ältere Menschen wieder nach Hause ­zurückkehren und Einweisungen in Pflegeinstitutionen hinausge­zögert oder vermieden werden können. Und das spart Kosten.

Die St. Galler Gesundheits­direktorin Heidi Hanselmann (58) lässt aus Kostengründen mehrere Spitäler schliessen – und verteidigt die Kosten des Reha-Booms.

Sie lassen aus Kostengründen Spitäler schliessen. Dazu haben Politiker anderer Kantone nicht den Mut.
Heidi Hanselmann: Die DNA der Schweiz ist der Föderalismus. Er zeigt sich in der Gesundheitspolitik genauso wie in der Steuerpolitik. Für andere kann ich nicht reden, aber als leidenschaftliche Bergsteigerin weiss ich, dass Angst keine gute Begleiterin ist und deshalb nicht in meinen Rucksack gehört.

Es ist eine zunehmende Konkurrenz der Kantone um die Reha-Patienten erkennbar. Dahinter steckt die Frage: Sind die Reha-kliniken in der Schweiz sinnvoll verteilt?
Im Versorgungsangebot der Rehabilitation findet heute der Wettbewerb ebenso statt wie im stationären Bereich. Die Verantwortung, für eine gute und angemessene Gesundheitsversorgung zu sorgen, liegt aber allein bei den Kantonen. Den Spagat zwischen Wettbewerb und Versorgungsgerechtigkeit zu finden, ist eine herausfordernde Aufgabe für die föderalistisch organisierte Schweiz.

Mehr Reha – mehr Kosten?
Durch die Zunahme der Rehabilitationsaufenthalte nehmen zwar die Rehabilitationskosten zu, was aber nicht unbedingt zu einer Zunahme der volkswirtschaftlichen Kosten führt. Denn Reha-Aufenthalte bewirken, dass arbeitstätige Personen wieder arbeiten, ältere Menschen wieder nach Hause ­zurückkehren und Einweisungen in Pflegeinstitutionen hinausge­zögert oder vermieden werden können. Und das spart Kosten.

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