Im Umgang mit Peking gleicht die Haltung der Schweiz einem Spagat. Die neue China-Strategie des Bundes, wie Bundesrat Ignazio Cassis (59, FDP) sie am Freitag präsentierte, betont zwar die Werte der Demokratie, der Menschenrechte sowie des Rechtsstaats und nennt auch die autoritäre Politik der Kommunistischen Partei beim Namen. Zugleich aber soll der privilegierte Freihandelszugang der Schweiz zum Riesenmarkt des Reichs der Mitte auf keinen Fall gefährdet werden.
Das Berner Kunststück erscheint umso diffiziler, als der Ton zwischen den USA und China nach dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden (78) erheblich rauer geworden ist (siehe unten). Auch dass die Europäische Union wegen der Unterdrückung der uigurischen Minderheit durch die Zentralregierung in Peking demnächst Sanktionen beschliessen könnte, setzt die Schweizer Fernost-Politik unter Druck.
Schweiz ist nicht verpflichtet
Wie das Magazin «Politico» berichtet, haben die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten Massnahmen gegen vier Chinesen und ein Unternehmen zugestimmt. Konkret sollen Vermögen eingefroren und Einreiseverbote verhängt werden. Der formelle Beschluss durch die Aussenminister in Brüssel Anfang kommender Woche gelte als Formsache.
Doch was bedeutet das für die Schweiz? Als die EU aufgrund des Ukraine-Krieges Sanktionen gegen Russland verhängte, zog die Eidgenossenschaft immerhin ein Stück weit mit – und stellte sicher, dass die europäischen Massnahmen nicht via Schweiz umgangen werden können. Ein Vorgehen, das auch im Falle von China zur Anwendung kommen könnte, wie aus dem zuständigen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zu hören ist.
Die Schweiz sei weder rechtlich noch politisch verpflichtet, die Sanktionen Brüssels zu übernehmen, betont das Staatssekretariat auf Anfrage. «Die Beurteilung erfolgt von Fall zu Fall aufgrund verschiedener aussenpolitischer, aussenwirtschaftspolitischer und rechtlicher Kriterien.» Eine allfällige Übernahme der EU-Menschenrechtssanktionen im Rahmen des Embargogesetzes werde derzeit bundesintern diskutiert. «Der Bundesrat hat dazu noch keinen Beschluss gefasst», hält ein Sprecher fest.
Der politische Rückhalt dafür wäre gegeben, zumindest in der SP, aber auch durch die FDP. «Gut, dass die Schweiz diesen Schritt endlich prüft. Es handelt sich schliesslich um gravierendste Verletzungen der Menschenrechte», sagt SP-Nationalrat Fabian Molina (30, ZH). Im internationalen Recht, «das gerade kleine Staaten wie die Schweiz schützt», seien diese Verbrechen klipp und klar definiert.
Wirtschaftliche Beziehungen zu China soll die Schweiz pflegen
«Sollten die Europäer Einreisesperren verfügen, muss die Schweiz als Schengen-Mitglied ohnehin mitziehen», ist Molina überzeugt. Das zeige, wie wichtig es wäre, enger mit der EU zu kooperieren und gemeinsam Entwicklungen zu antizipieren, «statt einfach die Entscheide Brüssels nachzuvollziehen».
Diplomatischer gibt sich der Freisinnige Damian Müller (36), Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats. Die Schweiz solle enge wirtschaftliche Beziehungen zu China pflegen, «im Wissen darum, dass wir fest im Westen verankert sind», sagt der Luzerner.
Aber: «Sollte die EU aufgrund schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen Sanktionen ergreifen, ist die Schweiz gut beraten, nicht als Insel in Europa abseitszustehen.»