Kein Besuch mehr in griechischen Flüchtlingslagern
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Wegen Coronavirus:Kein Besuch mehr in griechischen Flüchtlingslagern

Die Eritreer Binjam (22) und Abdalhadi (24) leben illegal in der Schweiz
Abgewiesen – und trotzdem noch da

Die Schweiz will sie abschieben, doch sie weigern sich zu gehen: Tausende Ausländerinnen und Ausländer leben trotz abgelehntem Asylgesuch in der Schweiz. BLICK hat zwei Eritreer begleitet, die seit einem Jahr illegal im Land sind.
Publiziert: 21.03.2020 um 11:59 Uhr
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Aktualisiert: 21.03.2020 um 17:51 Uhr
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Binjams (22) Asylgesuch wurde vor einem Jahr abgelehnt. Seither lebt er illegal in der Schweiz.
Foto: Philippe Rossier
Lea Hartmann und Ladina Triaca

Es giesst wie aus Kübeln, als Binjam* (22) über die Strasse zur Containersiedlung am Rand des Zürcher Flughafens rennt. Der Eritreer kehrt gerade vom Deutschkurs in der Stadt zurück, nun will er weiter ins Boxtraining.

Dazwischen bleiben nur wenige Minuten, bis der Bus, mit dem er gekommen ist, gewendet hat und Richtung Bahnhof zurückfährt. Bis dahin muss er im Büro der Notunterkunft für abgewiesene Asylbewerber seine Unterschrift abgegeben haben. Denn wenn er morgens und abends unterschreibt, bekommt er Nothilfe. 8.50 Franken sind es in Zürich pro Tag, bar auf die Hand.

Sie müssen gehen, wollen aber nicht

Rund 7300 Asylbewerber, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, lebten 2018 in der Schweiz von der Nothilfe. Die meisten kommen wie Binjam aus Eritrea. Sie müssten die Schweiz verlassen. Doch sie weigern sich zu gehen. Und weil Eritrea nur freiwillige Rückführungen akzeptiert, bleiben sie hier. Als Sans-Papier. Geduldet illegal. Sie dürfen nicht arbeiten, haben häufig keinen Anspruch auf staatliche Integrationsmassnahmen. Nur Nothilfe steht ihnen noch zu.

Binjam lebt seit einem Jahr in diesem Status, der eigentlich keiner ist. Der blaue, schon ganz zerfledderte Ausländerausweis, in dem früher seine Papiere steckten, ist leer. Sein Zuhause ist das Rückkehrzentrum, wie die Notunterkunft am Ende von Piste 34 offiziell heisst. Doch eine Rückkehr kommt für den Sans-Papier nicht in Frage. «Lieber lebe ich in Armut und ständiger Angst vor der Polizei, als nach Eritrea zurückzukehren», sagt Binjam. Denn dort, sagt er, drohten ihm Gefängnis und Folter.

Flucht vor dem Militär

Abdalhadi (24) steht in der Küche der Notunterkunft in Sarnen OW. Der Raum ist heruntergekommen, die Lüftung über dem Herd defekt. Der Eritreer nimmt den Kochtopf und giesst den Basmati-Reis, den er zuvor mit Kurkuma und Cranberrys gemischt hat, auf ein Kuchenblech. «Das Rezept habe ich von meiner Mutter», erzählt er stolz, während er Gemüse auf die gelbe Masse gibt. «Das Gericht heisst Mandi – wir haben es in Eritrea immer gegessen, wenn es etwas zu feiern gab.»

Abdalhadi floh mit 19 aus Eritrea. Wie Binjam wurde er mehrmals vom eritreischen Militär für den Nationaldienst aufgeboten. Der Dienst ist berüchtigt; immer wieder kommt es zu Folter und Gewalt. «Ich schlief zwei Jahre lang auf einer Plantage, um mich vor dem Militär zu verstecken», sagt Abdalhadi. Inzwischen hat seine ganze Familie die Heimat verlassen. Auch Binjam hatte sich erst in Eritrea versteckt und schliesslich zur Flucht entschieden.

Geflohen vor dem Militär und der Armut, hofften die beiden in der Schweiz auf ein besseres Leben. Seit der Bund 2016 die Schraube angezogen hat, haben Eritreer allerdings nur sehr geringe Chancen auf Asyl. Die Behörden halten eine Rückkehr in die Heimat für zumutbar – auch wenn den Rückkehrern die Einberufung in den Nationaldienst droht. Die Folgen der verschärften Asylpolitik bekommen die Kantone zu spüren. Sie müssen sich um die Asylbewerber kümmern, die abgewiesen wurden, aber trotzdem bleiben.

Binjams Mutter weiss von nichts

So ähnlich der Weg von Abdalhadi und Binjam in die Schweiz war, so unterschiedlich gehen die beiden Eritreer mit ihrem Schicksal um. Binjam fällt es schwer, über seinen Status als Illegaler zu sprechen. Er schämt sich. «Es nimmt deinen ganzen Stolz», sagt er. Im Gespräch mit anderen versuche er das Thema wenn möglich zu umgehen. «Ich hasse es, wenn die Leute Mitleid mit mir haben.»

Selbst seiner Mutter wagt Binjam nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Sie glaubt, ihr ältester Sohn habe in der Schweiz Asyl bekommen. Er will nicht, dass sie sich Sorgen macht.

Abdalhadi musste die Lehre abbrechen

Binjam träumt von einem Leben als Boxprofi und trainiert mehrmals pro Woche. Im Rahmen eines Integrationsprojekts von Freiwilligen für Flüchtlinge bringt er zudem jeden Donnerstagabend anderen Asylsuchenden das Boxen bei.

In der Realität aber hat er vor allem mit sich selbst zu kämpfen. Das Nichtstun, zu dem er als Abgewiesener verdonnert ist, zermürbt. «Wenn ich nichts machen kann, muss ich viel denken», sagt er. An seine Flucht, das Alleinsein, die Perspektivlosigkeit. Regelmässig besucht er deshalb eine Therapeutin, bezahlt von der Krankenkasse. «Das gibt mir Kraft.»

Er hilft beim Übersetzen

Nichts tun – dagegen kämpft auch Abdalhadi. Als Asylsuchender durfte er in Sarnen eine Lehre als Elektriker beginnen. Die Arbeit im kleinen Betrieb brachte ihm nicht nur einen Lohn ein, sondern gab ihm vor allem eine Tagesstruktur und eine Perspektive. «Als Elektriker wirst du nie arbeitslos, die Leute brauchen immer Strom», sagt er.

Doch die Hoffnung auf ein eigenständiges Leben dauerte nur kurz. Im Februar 2019 erhielt Abdalhadi den negativen Asylentscheid – und musste seine Lehre abbrechen. Seither versucht er sich die Langeweile zu vertreiben, in dem er anderen Asylbewerbern und Abgewiesenen hilft. Er begleitet Mütter an Elterngespräche oder hilft Freunden bei Bewerbungen.

An diesem Nachmittag geht Abdalhadi mit einem Syrer an den Gemeindeschalter. Der dreifache Familienvater lebt seit fünf Jahren in der Schweiz – Deutsch spricht er kaum. Abdalhadi, der auch fliessend Arabisch spricht, übersetzt. «Das bringt auch mir etwas», sagt er auf dem Nachhauseweg. «Die Behörden sehen so, dass ich mir Mühe gebe, und ich kann mein Deutsch verfeinern.»

Riesige Unterschiede zwischen den Kantonen

Abdalhadi ist fleissig und ehrgeizig. Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb er so gut Deutsch spricht. Seit über einem Jahr hat er eine Schweizer Freundin. «Sie lebt in Bern, aber ich besuche sie mindestens einmal pro Woche», erzählt er. In Obwalden lässt man den rund zehn Abgewiesenen viel Freiraum.

Das ist nicht überall so. Die Kantone, die für die Nothilfe zuständig sind, gestalten diese sehr unterschiedlich. Im Gegensatz zu den gut 600 Abgewiesenen in Zürich, die sich zweimal täglich melden müssen, muss Abdalhadi nur einmal pro Monat beim Migrationsamt auftauchen. Zudem bekommt er mehr Geld. Auch Bussen und Verhaftungen wegen illegalen Aufenthalts gibt es in Obwalden kaum. «Die Leute schauen gut zu uns», sagt Abdalhadi.

Binjam hingegen beschleicht ein mulmiges Gefühl, wenn er ein Polizeiauto sieht. Grosse Bahnhöfe oder den Flughafen meidet er. Abgewiesene wie er können jederzeit wegen unerlaubten Aufenthalts eine Busse bekommen. Manchmal tauchen Polizisten auch mitten in der Nacht in der Notunterkunft auf.

Zürich sei nicht strenger, sondern konsequenter

Der Kanton Zürich wehrt sich gegen die Darstellung, ein vergleichsweise strenges Regime zu führen. «Wir sind nicht strenger als viele andere Kantone, aber wir sind besonders konsequent», sagt Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP, 61).

Der zuständige Obwaldner Regierungsrat begründet die Regeln in seinem Kanton derweil mit dessen Grösse. «Obwalden ist halt viel kleinräumiger als Zürich», sagt Volkswirtschaftsdirektor Daniel Wyler (SVP, 60). «Es macht keinen Sinn, wenn wir die Abgewiesenen zweimal pro Tag vorsprechen lassen.» Wenn man sehe, dass sich jemand nicht an die Regeln halte, könne man immer noch härter durchgreifen.

Letzter Hoffnungsschimmer Härtefall

Warum gehen sie nicht freiwillig zurück? Binjam sagt, er habe sich schon mehrmals überlegt, nach Eritrea zurückzukehren. Mit einem Landsmann, der sich zur Rückkehr entschied, hatte er vereinbart, dass sich dieser bei ihm meldet, wenn er sicher in Eritrea angekommen ist. Das war vor über einem Jahr. Gehört hat Binjam nie mehr etwas. «Ich befürchte, dass er ins Gefängnis gesteckt wurde.»

Er sieht darum keinen anderen Weg, als zu bleiben. Wie Abdalhadi wünscht auch er sich, irgendwann legal in der Schweiz leben zu dürfen. Der letzte Hoffnungsschimmer heisst Härtefall. Damit er als solcher anerkannt wird und noch eine Aufenthaltsbewilligung bekommt, muss ein Abgewiesener mindestens fünf Jahre in der Schweiz gelebt haben und gut integriert sein.

Die Chance darauf ist allerdings verschwindend klein: 2019 hat der Bund nur ein Härtefallgesuch von einem Eritreer bewilligt.

* Name geändert

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