Sie prägten die Schweizer Politik in den letzten Jahren, die Präsidenten der drei grossen bürgerlichen Parteien. Jetzt treten sie gemeinsam ab. Toni Brunner (41), seit acht Jahren SVP-Präsident, übergibt sein Amt am 23. April an Albert Rösti (48). Am gleichen Tag endet die neuneinhalb Jahre dauernde CVP-Präsidentschaft von Christophe Darbellay (45). Gerhard Pfister (53) übernimmt. Und am kommenden Samstag übergibt Philipp Müller (63) nach vier Jahren das FDP-Zepter an Petra Gössi (40).
Eine Ära geht zu Ende. Zum Abschied kreuzen die drei Politschwergewichte im grossen BLICK-Gespräch zum letzten Mal die Klingen, erzählen Anekdoten feuchtfröhlicher Zugreisen – und sprechen über die Lust und den Frust, eine nationale Bekanntheit zu sein.
BLICK: Herr Brunner, Sie mussten sich in Ihrer gesamten Zeit als Parteichef mit CVP-Präsident Darbellay herumschlagen. Was hat Sie an ihm am meisten genervt?
Toni Brunner: Die Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher, bei der Christophe massgeblich «mitgemischelt» hat. Das hat mich genervt. Deshalb bin ich auch Präsident geworden. Die Abwahl hat unsere Partei durchgeschüttelt. Es bestand die Gefahr, dass sie auseinanderbricht. Meine Aufgabe war, die Partei zu kitten.
Welchen Fauxpas leistete sich Philipp Müller?
Brunner: Er hat mich an einem Mittwoch angerufen und vorgeschlagen, nicht in die «Arena» zu gehen. Ich war einverstanden. Als ich dann zwei Tage später den Fernseher eingeschaltet habe, stand Müller in der «Arena».
Philipp Müller: Ich weiss nicht mehr, was da falsch gelaufen ist. Aber es war sicherlich keine böse Absicht.
Brunner: Jetzt könntest du dich wenigstens noch dafür entschuldigen.
Müller: Wir verrechnen dies mit all den Dingen, die du mir angetan hast. Da käme allerhand zusammen, und am Ende musst du dich entschuldigen.
Was hat Sie, Herr Darbellay, an Toni Brunner am meisten gestört?
Christophe Darbellay: Menschlich gibt es an Toni nichts auszusetzen. Seine politischen Positionen aber nerven mich. Vor allem die Masseneinwanderungs-Initiative gefährdet das Erfolgsmodell Schweiz massgeblich. Nach fast drei Jahren übt man nach wie vor an einer Lösung.
Wenn ein Deal abgemacht wurde – konnten Sie Herr Brunner vertrauen?
Darbellay: Das gilt für Toni wie auch für Philipp. Und ebenso für Christian Levrat. Wenn sie mir etwas versprochen haben, hielten sie stets das Versprechen.
Vor vier Jahren stiessen Sie, Herr Müller, in den Kreis der Parteipräsidenten auf. Wie nervenaufreibend war die Zusammenarbeit mit den Herren Brunner und Darbellay?
Müller: Wenn jemand nicht zwischen der politischen Grundhaltung und der Person unterscheiden kann – dann nervt das. Es gibt Politiker, die haben das Credo, «wenn du eine andere Meinung hast, bist du ‹en dumme Siech›». Unter den Parteipräsidenten war dies zum Glück nie der Fall. Wir konnten stets hart debattieren und dann zusammen freundschaftlich ein Bier trinken.
Darbellay: Mit mir nur Wein.
Müller: Nur Walliser Wein.
Darbellay: Nein, Schweizer Wein.
Viele wissen nicht: Politik ist auch Showbusiness. Vor der Kamera bekämpfen sich Politiker aufs Blut. Sind die Kameras ausgeschaltet, mutieren Sie zu Kameraden. Oder gar zu Freunden.
Darbellay: Tatsächlich denken viele, dass sich Politiker unterschiedlicher Parteien nicht mögen. Das ist falsch. Fast alle National- und Ständeräte sind per Du. Kameradschaften entstehen über das ganze politische Spektrum. Ich würde den Kommunisten Josef Zisyadis und stramme SVPler als Kollegen bezeichnen. Übrigens: Ich muss jetzt endlich in dein Restaurant «Haus der Freiheit» kommen, Toni. Ich muss aber dort übernachten, dass wir so richtig schön abstürzen können (lacht).
Brunner: Herzlich willkommen! Früher gingen Parteipräsidenten sogar zusammen wandern. Das haben wir nie gemacht – dieses Bedürfnis hatte ich ehrlich gesagt auch nicht. Es ist aber ein Teil der professionellen Arbeit, dass man zwischen politischen Differenzen und dem Menschen unterscheiden kann. Ein Parteipräsident muss fähig sein, mit Personen aller Couleurs zu sprechen. Wer das nicht kann, sollte nicht Parteichef werden.
Müller: Uns als Kollegen zu betiteln, ist vielleicht etwas übertrieben. Sagen wir: wir waren Leidensgenossen.
Es gibt eine ominöse Geschichte einer spätabendlichen Zugfahrt nach einer Veranstaltung in St. Gallen. Sie treten ab – jetzt können Sie alle Details auf den Tisch legen!
Darbellay: Erzähl du, Müller, du warst noch am klarsten im Kopf.
Müller: Da hast du Recht! Weil der Speisewagen geschlossen war, holte Christophe am Bahnhof St. Gallen eine Flasche Wein. Christian Levrat hatte Chips und ich Guetsli dabei. So setzten wir uns in den verdunkelten Speisewagen. Doch: wir hatten keinen Flaschenöffner. Wir entschieden, Christophe muss bei einem Zugpassagier einen auftreiben. Dies hat er erfolgreich gemeistert. Bis Zürich tranken wir gemütlich die Flasche Rotwein. Dort musste ich umsteigen. Ich erinnere mich, wie Christophe «losgespeedet» ist und eine weitere Flasche am Kiosk gekauft hat. Für die Weiterreise Richtung Westschweiz.
Darbellay: Wir sahen dich am Nebengleis abfahren. Wie eine arme, einsame Seele. Der Müller mit seinem Guetseli. Wir haben weitergefeiert.
Solche Episoden klingen nach Freundschaft. Null und nichts von politischer Feindschaft.
Darbellay: Es gibt noch viele mehr. Wir waren zusammen an einem Fussballmatch im Stade de Suisse. Wer gespielt hat, weiss ich nicht mehr. Wir haben etwas übertrieben. Toni hat mich dann nach Bern heimgefahren. Ich war froh, dass er im Kreisel nicht einfach geradeaus gefahren ist.
Müller: Es gibt doch eine Geschichte über dich, Toni. Dass du in einen Kreisel fährst und ein Polizist dich nach der vierten Umrundung ermahnt, endlich eine Ausfahrt zu nehmen.
Brunner: Lustige Episoden, die sich wirklich abgespielt haben, gab es jeweils nach Elefanten-Runden. Solche gibt es in einem Präsidentenleben öfters, nicht nur vor der Kamera. Und dann auf der anschliessenden Heimfahrt mit dem Zug.
Müller: Oder im Biergarten in Interlaken, als uns kollektiv der Zug abgefahren ist.
Brunner: Dann haben wir die Wirtschaft angekurbelt. Wir waren eine Schicksalsgemeinschaft – vergleichbar mit einem WK. Wir hatten etwas, das verbindet. Ich hatte nie einen Grund, Christophe oder Philipp aus dem Weg zu gehen. Politisch waren sie oft auf dem falschen Dampfer, aber menschlich gings.
Müller: Immerhin sagst du «oft». Christophe und ich finden: du bist politisch immer auf dem falschen Dampfer.
Ist es eine Qualität der Schweizer Politik, dass man sich zwar mit Argumenten hart attackiert, sich persönlich aber schätzt?
Müller: Unsere Konkordanz-Demokratie sorgt dafür, dass auch politische Gegner zusammenkommen. Wir haben eine grosse Akzeptanz und Toleranz gegenüber den anderen Parteien.
Darbellay: Das ist eine Stärke der Schweiz. Wir haben kein Zwei-Parteien-System wie Frankreich oder Deutschland, wo sich Politiker teils regelrecht hassen.
Kennen sich eigentlich Ihre Partnerinnen?
Müller: Wir haben jetzt Esther kennengelernt. (Anmerkung der Redaktion: Brunners Freundin Esther Friedli kandidiert für die St. Galler Regierung).
Darbellay: Meine Frau ist an Anlässen eher zurückhaltend. Es gebe aber eine gute Möglichkeit, damit die drei sich kennenlernen. Wenn Toni endlich heiraten würde.
Brunner: Glaubst du im Ernst, du würdest zur Hochzeitsgesellschaft gehören?
Darbellay: Wenn nicht, komme ich mit einem Bodyguard.
Brunner: Das ist der Grund, wieso ich nicht heirate (lacht).
Darbellay: Du hast doch gehofft, dass unsere Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe angenommen wird. Bevor du heiratest.
Brunner: So berechnend bin ich nun wirklich nicht.
Geniessen Sie es eigentlich, dass Sie auf der Strasse von den meisten Bürgern erkannt werden?
Darbellay: Das ist – neben dem Einfluss – das Schönste an diesem Job. Der ständige Kontakt mit der Bevölkerung. Leute, die einem sagen, man mache einen guten Job. Oder auch einen schlechten. Dies kompensiert die Minister-Gehälter bei weitem, die Politiker in anderen Ländern einstecken. Es kommt aber manchmal auch zu lustigen Verwechslungen.
Erzählen Sie!
Darbellay: Eine alte Frau hat in Luzern Christian Levrat angesprochen. Sie sagte, «Herr Darbellay, ich verfolge Ihre Politik intensiv. Sie machen einen hervorragenden Job.» Levrat bedankte sich freundlich. Im Verkehrshaus, wenige Minuten später, wurde er von einem alten Mann beschimpft. Auch dieser meinte, er sei Darbellay.
Brunner: Ganz zu Beginn meiner Politkarriere kam an einem Apéro am Bodensee eine Frau auf mich zu und fragte: «Sind Sie es?» Ich entgegnete: «Jawohl, ich bin es!» Sie kreischte: «Ohh, der Schwingerkönig!» Verwechslungen gibt es tatsächlich. Sogar mit Kraftpaketen wie Nöldi Forrer.
Mittlerweile haben Sie in SVP-Kreisen schon fast ein Rock-Star-Image.
Brunner: Man muss als Parteipräsident Menschen mögen – und auf diese zugehen. Die Bekanntheit hat viele Facetten. Ich merke an der Reaktion der Leute gut, wie der Kurs der Partei gerade steht. Es gibt Zeiten, da wechseln Leute die Strassenseite, weil gerade alle auf die SVP schiessen, dann rennen einem plötzlich wieder alle nach.
Müller: Die Bekanntheits-Medaille hat zwei Seiten. Es ist schön, erkannt zu werden – und als Parteipräsident wird man von allen erkannt, die sich ein bisschen mit Politik auseinandersetzen. Es kann aber auch unangenehm werden. Wenn man ins Kino geht. Oder wenn Leute im Restaurant genau schauen, was man bestellt und welchen Wein man trinkt. Im Ausgang kann es mühsam sein, wenn man auf Schritt und Tritt verfolgt wird.
Darbellay: Es ist schon vorgekommen, dass sich eine unbekannte Person an unseren Tisch gesetzt hat, als ich mit meiner Frau im Restaurant essen war. Er ist eine ganze Stunde sitzen geblieben. Ich habe solch offene Personen gerne, konnte ihn deshalb nicht vertreiben. Meine Frau hatte keine Freude. Sie hat meine Bekanntheit manchmal als Belastung empfunden.
Müller: Am meisten Freude habe ich, wenn mir ein SVP-Wähler auf die Schultern klopft und sagt: «Sie machen einen guten Job.»
Brunner: Das ist jetzt eine erfundene Story. Aber viele Leute haben ein enormes Bedürfnis, mitzuteilen, dass sie anderer Meinung sind. Am Sechseläuten-Umzug in Zürich sagte mir jemand ungefragt, er wähle FDP. Ich sagte: «Aha, Sie sind das.»
Sie haben die Politik im letzten Jahrzehnt stark geprägt. Mitte April geht nun diese Ära zu Ende. Was war in dieser Zeit der grösste Erfolg von Herr Brunner?
Darbellay: Die SVP ist Meisterin darin, Kampagnen zu fahren. Sie machen eigentlich Dauer-Kampagne. Immer mit einem einzigen Satz: «Der Ausländer ist ein Problem für die Schweiz.» Systematisch und konsequent.
Bei der Abstimmung über die Asylgesetzrevision im Juni verzichtet die SVP jetzt überraschend auf eine Kampagne.
Darbellay: Sie glauben nicht an einen Sieg – und möchten nach dem Nein zur Durchsetzungs-Initiative nicht nochmals ein solches Waterloo erleben.
Brunner: Das muss ich korrigieren. Die Argumente sind so klar auf unserer Seite, dass wir keine Kampagne im bezahlten Raum machen müssen, um zu gewinnen.
Müller: (lacht). Es ist wohl besser, wenn du diese angeblich so guten Argumente für dich behältst. Man kann ja nicht allen Ernstes gegen eine massive Beschleunigung der Asylverfahren sein.
Herr Darbellay, Sie führten eine eher wählerschwache Partei. Eine aber, die oft das Zünglein an der Waage spielt und die im Parlament die meisten Abstimmungen gewinnt. Wären Sie nicht lieber Chef einer grossen Powerpartei gewesen?
Darbellay: Die CVP ist stärker als man denkt. Wir sind Nummer 1 im Ständerat.
Müller: Zusammen mit der FDP.
Darbellay: Und fast Nummer 1 in den kantonalen Regierungen. Der Einfluss der CVP ist wesentlich grösser als ihr Wähleranteil. Für mich ist es wichtiger, Einfluss zu nehmen, statt Lärm zu machen und damit nichts zu erreichen. Wir sind die Wirbelsäule der Schweiz.
Müller: Aber eine ziemlich kurze Wirbelsäule. Die lässt sich gut verbiegen.
Herr Brunner, es musste doch frustrierend sein. Die SVP besetzt 30 Prozent der Sitze im Nationalrat und verliert trotzdem dauernd. Wären Sie lieber kleiner, dafür matchentscheidender?
Brunner: Die SVP ist das stabile Rückgrat der Schweiz. Aber es stimmt, wir hatten in der Vergangenheit oft Exklusiv-Positionen. Ich wünsche mir, dass die SVP in Zukunft vermehrt Mehrheiten findet. Ich bin zuversichtlich, dass dies mit den neuen Kräfteverhältnissen im Nationalrat besser funktioniert.
Es stehen in den nächsten Jahren grosse Themen an. Allen voran die Klärung des Verhältnisses zur EU. Schafft die Schweiz mit der EU eine Einigung in der Zuwanderungsfrage?
Darbellay: Es muss gelingen. Es gibt keine Alternative. Wir müssen den bilateralen Weg retten und die Zuwanderung reduzieren. Dies ist nur mit einer Schutzklausel möglich.
Herr Brunner, hat die Schweiz in 20 Jahren noch AKW in Betrieb?
Brunner: Ja. Mit der Energiestrategie 2050 laufen wir sonst in ein Debakel hinein. Die eigenständige Stromversorgung ohne Kernenergie wird nicht funktionieren.
Gelingt eine Reform der Altersvorsorge bis 2020?
Müller: Sie muss und sie wird gelingen. Wir haben ein demografisches Problem und die Ertragsmöglichkeiten für AHV und Pensionskassen sind schlecht.
Jetzt treten Sie kürzer – haben daher auch mehr Freizeit. Wie werden Sie diese nutzen?
Darbellay: Mehr Zeit für die Familie. Dies ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen.
Brunner: Und ich mache den Haushalt.
Müller: Einfach mal nichts tun. Langweilig wird es mir nie.
Was muss Ihr Nachfolger als Parteichef besser machen als Sie?
Brunner: Albert Rösti wird es auf seine Art bestimmt gut machen. Er muss die Strukturen festigen.
Darbellay: Gerhard Pfister wird es gut machen. Er kann sehr gut auftreten und wird die Partei verkörpern mit gemässigten Positionen.
Müller: Petra Gössi braucht keine Ratschläge. Sie wird ihren eigenen Stil pflegen. Ich werde es halten wie Fulvio Pelli. Ein Mann mit Stil. Er hat meine Arbeit als Präsident nie kommentiert. Aber ich konnte stets Ratschläge abholen.