Deutschland bevorzugt
Darum haben Flüchtlinge kaum Interesse an der Schweiz

Die Flüchtlinge strömen in die EU, machen aber überraschenderweise einen Bogen um die Schweiz. Das sind die Gründe dafür.
Publiziert: 16.09.2015 um 15:57 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 03:42 Uhr
Flüchtlinge steigen in Wien in einen Zug.
Foto: Keystone
Simon Marti

Deutschland zeigte sich von seiner besten Seite. Am 4. September öffnete Kanzlerin Angela Merkel (61) die Grenzen und liess Tausende von Flüchtlingen einreisen. Ein befreiendes Bild, nachdem Rechtsradikale in den Wochen zuvor zahlreiche Flüchtlingsunterkünfte angegriffen hatten.

«Wir schaffen das», lautete die Losung in Berlin. Am letzten Samstag aber machte die eben noch so aufnahmefreundliche Bundesrepublik ihre Grenzen wieder dicht und hofft nun auf eine Verteilung der Migranten über die ganze EU. Osteuropäische Mitgliedstaaten winken bereits ab. Der Druck auf unseren Nachbarn im Norden hält an.

Die Schweiz bleibt vom grossen «Ansturm nach Europa» überraschend unberührt. Während im Sommer noch lauthals über die eritreischen Asylsuchenden gestritten wurde, zieht der aktuelle Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten am Land vorbei – Asyldebatte im Nationalrat hin oder her.

Zwar hat der Staats­sekretär für Migration, Mario Gattiker (59), die Kantone aufgefordert, sich für eine allfällige Notsituation bereitzuhalten, wie die «NZZ» heute berichtet. Doch der Bund hält weiterhin an seiner Prognose fest, wonach etwa 29 000 Asylsuchende dieses Jahr in die Schweiz kommen werden. Die Aufforderung Gattikers an die Kantone gilt für den Fall der Fälle. Der Schweiz droht also zurzeit kein «Asyl-Chaos», wie die SVP wahlkampftaktisch warnt. Denn dass die Flüchtlinge, namentlich aus Syrien, lieber nach Deutschland einreisen, hat gute Gründe.

  • Die Hauptverkehrswege aus dem Osten führen schlicht an der Schweiz vorbei. Flüchtlinge bewegen sich entlang der sogenannten Balkan-Route nach Norden über Österreich nach Deutschland.
  • Die Asylpraxis ist in manchen europäischen Staaten grosszügiger als in der Schweiz. Das wissen sowohl die Schutzsuchenden als auch die Schlepper, die mit ihnen ihr schmutziges Geld verdienen. Namentlich Schweden und Deutschland geniessen unter den Migranten einen sehr guten Ruf.
  • In der Schweiz gibt es keine grosse syrische Gemeinde. Anders als im Fall der Eritreer. Menschen wandern in jene Staaten aus, in denen bereits Freunde und Angehörige leben. Im Fall der Syrer sind das wiederum Deutschland und Schweden.
  • Der Arbeitsmarkt spielt ebenfalls eine Rolle beim Entscheid, wohin eine Person flüchtet. Auch hier geniessen die Skandinavier einen besseren Ruf als die Eidgenossen. «Der Zugang zum Arbeitsmarkt kann gerade bei Syrern ein Grund sein, nach Deutschland oder Schweden zu gehen», sagt Stefan Frey (62) von der Flüchtlingshilfe.

Die Wirtschaft sei im ­hohen Norden offener für die Asylsuchenden. Und auch in Deutschland habe die Politik begriffen, dass Migranten für eine alternde Gesellschaft immer wichtiger würden, so Frey. In der Schweiz sei dies aber noch nicht der Fall.

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