Deutscher Kanzler-Kandidat Schulz im Sinkflug
Warten auf ein Wunder

Der Sozialdemokrat Martin Schulz will nächster deutscher Kanzler werden. Alle Umfragen aber zeigen: Ohne ein Wunder wird er keine Chance haben.
Publiziert: 24.08.2017 um 16:13 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 10:05 Uhr
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Die Sorgenfalten werden tiefer: Nicht einmal jeder Vierte will Martin Schulz (61) an
Foto: EPA/Friedemann Vogel
Johannes von Dohnanyi

Irgendwie ist es ja schon anrührend! Da halten laut der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa 76 Prozent der befragten Deutschen die anstehenden Bundestagswahlen bereits für entschieden. Die Mehrzahl von ihnen wünscht sich für die Zeit nach dem 24. September die Fortsetzung der grossen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Exakt die Hälfte der Befragten setzt dabei auf Angela Merkel als Bundeskanzlerin.

Und ihr Herausforderer? Die Sozialdemokraten freuen sich zwar über einen leichten Aufwind in der Wählergunst – auf jetzt schlappe 24 Prozent. Aber obwohl noch nicht einmal jeder Vierte den SPD-Kandidaten Martin Schulz (61) an der Spitze der Regierung sehen will, bleibt der bei seinem trotzigen Mantra: «Ich werde Kanzler!»

Volleinsatz für Demokratie und Europa

Fast möchte man Mitleid haben mit Martin Schulz. Dabei sah alles doch so vielversprechend aus. Die Schule hatte der 62-Jährige erfolglos abgebrochen. Dann eine Buchhändlerlehre erfolgreich bestanden.
Als junger Sozi in der Kleinstadt Würselen bei Aachen zum bis dahin jüngsten Bürgermeister Nordrhein-Westfalens gewählt, viele Jahre Abgeordneter der SPD im Europaparlament und schliesslich dessen wohl erfolgreichster Präsident. Fliessend sechssprachig, immer im Volleinsatz für Demokratie und europäische Grundwerte – und offenherzig über die eigenen Schwächen sprechend: «Ja, ich bin seit 37 Jahren trockener Alkoholiker.»

Endlich ein Mensch, jubelten die Sozialdemokraten, als Martin Schulz Anfang des Jahres aus Strassburg nach Berlin kam.

Im Frühjahr löste er Aussenminister Sigmar Gabriel mit 100 Prozent der
Delegiertenstimmen als SPD-Vorsitzender ab. Das habe noch nicht einmal
Stalin geschafft, grinste «Sankt Martin» damals mit einem sympathischen
Anflug von Selbstironie.

«Einen entscheidenden Fehler gemacht»

Doch seitdem hat der vermeintliche Heilsbringer drei wichtige Landtagswahlen verloren. Anstatt wie der Franzose Emmanuel Macron offensiv auf das Thema Europa zu setzen, tauchte Schulz für Wochen ab – und schwieg. Mehr als dürre programmatische Schlagworte wie «mehr Gerechtigkeit» und «Abrüstung statt Rüstungsspirale» waren dem Kandidaten nicht zu entlocken. «In dieser Phase hat Schulz seine entscheidenden Fehler gemacht», glaubt der ehemalige Chefredaktor der «Bild am Sonntag» und Politikberater Michael Spreng: Je länger sich der Kandidat in Schweigen hüllte, um so geringer wurde das mediale Interesse an ihm und seinen Ideen für Deutschland.

Inzwischen schlägt Martin Schulz sich zwar redlich. Er punktet, wenn er US-Präsident Trump als «der Typ da» bezeichnet. Als Bundeskanzler will er auch die letzten 20 US-Atombomben aus Deutschland abtransportieren lassen. Auch gut. Dem türkischen Präsidenten Erdogan rät er, mit dem «schlechten Benehmen» aufzuhören. Endlich. Aber gegen die Christdemokratin Angela Merkel und ihre «sozialdemokratische» Politik ist kein Kraut gewachsen.

Fünf Wochen vor der Wahl erscheint Sankt Martin den deutschen Wählern
vor allem: ratlos. Der Kandidat, bemängeln viele, habe «noch immer keinen überzeugenden Plan» vorgelegt.

Und Politikberater Spreng ist sich sicher: «Martin Schulz kann nur noch auf ein Wunder hoffen.»

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