Neben dem deutschen Botschafter arbeiten in diesen Tagen auch Handwerker in der Residenz von Norbert Riedel. Nach Sofia, Lissabon und Peking wird der gebürtige Schwabe in den kommenden Jahren die deutschen Interessen in der Schweiz vertreten. Er ist damit auch Ansprechpartner für rund 300'00 0 Deutsche, die hier leben. Dazu kommen 60'000 Grenzgänger, die täglich zum Arbeiten in die Schweiz pendeln.
BLICK: Herr Botschafter, Sie sind seit sechs Wochen im Amt. Schon alle Umzugskisten ausgepackt?
Norbert Riedel: Wenn ich ehrlich bin: nein! Meine Frau, die mit mir schon viele Wechsel gemeistert hat, sagt immer: Zweimal umziehen ist wie einmal abbrennen. Da steckt viel Wahres drin. Erlauben Sie mir eine Frage: Woher kommen Sie? Das frage ich alle Riedels, die ich kennenlerne.
Daniel Riedel: Meine Grosseltern väterlicherseits sind in den Wirren des Zweiten Weltkriegs aus Schlesien geflohen und haben sich im Münsterland, also in Westfalen niedergelassen.
Norbert Riedel: Interessant, meine Familie stammt aus dem Schwäbischen. Wobei meine Vorfahren väterlicherseits angeblich ihren Ursprung sogar im Rätoromanischen haben. Ist nicht wissenschaftlich belegt, aber das wäre ja quasi ein Schweiz-Bezug (lacht).
Dennoch ist die Schweiz für Sie Neuland?
Ja. In jungen Jahren war ich oft in der Schweiz Ski fahren, im Auswärtigen Amt hatte ich aber keine wirklichen Beziehungen in die Schweiz. Umso mehr freue ich mich auf die neue Aufgabe. Es ist übrigens so, dass der Dienstherr, also Aussenminister Sigmar Gabriel, die Botschafter vorschlägt. Und auf die Frage: «Willst du in die Schweiz?», kann man eigentlich nur Ja sagen.
Welche ersten Eindrücke haben Sie vom Land und den deutsch-schweizerischen Beziehungen?
Beide Länder pflegen eine ausgesprochen freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehung. Eigentlich gibt es da nicht mehr viel zu verbessern.
Im Ernst? Was ist mit dem Streckenunterbruch in Rastatt, dem Zoff um Flugrouten, dem Spion und der damit verbundenen Steuer- und Schwarzgeld-Diskussion?
Der Streckenunterbruch war ärgerlich, für beide Seiten. Das Problem ist aber zum Glück behoben. Vom Flughafen profitieren am Ende beide Seiten. Und der vermeintliche Spion war wahrlich keine nationale Frage in Deutschland. Die deutsche Justiz hat den Fall aufgearbeitet, schauen wir mal, was die Schweizer machen.
Und bei Ihren Antrittsbesuchen waren auch Steuerflucht und Schwarzgeldkonten nie ein Thema?
Nein. Ich war schon bei fast allen Bundesräten, da hatten wir einen Haufen anderer Themen. Der automatische Datenaustausch funktioniert, das ist gut. Es ist schön zu sehen, dass mir als deutschem Botschafter hier wirklich alle Türen offen stehen. Die Freundschaft ist spürbar, das zeigt auch die grosse Zahl der bilateralen Verträge zwischen den Ländern.
Man spricht also die gleiche Sprache?
Es gibt viele Gemeinsamkeiten, die Weltanschauung und Mentalität ist ähnlich. Trotzdem hat die Schweiz trotz der Nähe zu Deutschland ihre Eigenarten, die gilt es zu lernen. Aber: Die Sprache ist ja fast gleich ... (lacht).
Verstehen Sie etwa schon Schwiizerdütsch?
Als Schwabe, der zu Hause auch nur mit Schwäbisch aufgewachsen ist, fällt es mir tatsächlich etwas leichter. Es gibt ja den schönen Slogan aus Baden-Württemberg: Wir können alles – ausser Hochdeutsch! Mir ging es da im diplomatischen Dienst anfangs ähnlich wie wahrscheinlich manchen Schweizern.
Die Schweiz steht für Diplomatie. Was kann Deutschland lernen?
Vieles. Wir haben extra einen Kollegen ins EDA entsandt, der sich dort in Sachen Mediation und Streitschlichtung weiterbildet. Er wird auch in Zürich den EDA-Studiengang dazu belegen. Im Vorfeld Krisen verhindern, miteinander reden, statt zu streiten, darin ist die Schweiz sehr gut und auch international gefragt.
Was unterscheidet den politischen Betrieb?
Ich mag die unaufgeregte Form der Demokratie hier. Ein Beispiel: Als ich mit einem Kollegen am Bundeshaus vorbeiging, zeigte er mir den Wagen von Bundespräsidentin Doris Leuthard. Der parkte dort einfach so. Dass der Wagen von Angela Merkel in Deutschland einfach so rumsteht, ist undenkbar. Geschweige denn, dass man überhaupt wüsste, welches ihr Auto ist.
Gilt das auch für diplomatische Kreise?
Unbedingt. Das Schweizer Protokoll ist ungemein angenehm, nicht künstlich oder abgehoben, sondern menschlich und ehrlich. Das gefällt mir enorm.
Also noch nie in ein Fettnäpfchen getreten?
Nur so halb. Ich habe schnell gemerkt, dass man in der Schweiz nicht über Geld oder gar Lohn spricht.
Dafür spricht man zurzeit umso mehr über die deutsche Regierungskrise.
Ja, auch wenn Krise vielleicht zu hoch gegriffen ist. Aber ich muss zugeben, das Scheitern der Jamaika-Koalition hat mich sehr überrascht.
Und jetzt Neuwahlen?
Ich hoffe nicht. Man kann dem Wähler schwer sagen: Ihr habt gewählt, wir können mit dem Ergebnis aber nichts anfangen. Also müsst ihr noch mal wählen. Aber klar, man schaut auf Deutschland. Das gilt auch für die EU. Mir liegt die europäische Integration am Herzen. Ich hoffe, dass der Bundespräsident die Parteien zu einer guten Lösung bewegen kann.
Stichwort Steinmeier. Er war ja als Aussenminister auch schon mal Ihr direkter Dienstherr.
Wir arbeiten daran, dass der Bundespräsident 2018 zu Besuch in die Schweiz kommt. Darauf freue ich mich!
Sie haben einige Chefs erlebt. Wer hat bei Ihnen den grössten Eindruck hinterlassen?
Während der letzten 15 Jahre: Steinmeier auf jeden Fall. Sicherlich auch Sigmar Gabriel. Und das sage ich nicht, weil er zurzeit mein Chef ist, sondern weil er seine Sache wirklich gut macht. Auch die Jahre im Kanzleramt unter Gerhard Schröder waren unvergesslich.
Sie gelten als ausgewiesener Digitalexperte und waren Sonderbeauftragter für Cyber-Aussenpolitik.
Ja. Cyber klingt etwas sperrig, aber die Digitalisierung ist ein enorm wichtiges Feld, das in der Aussenpolitik eine immer tragendere Rolle spielt. Ich denke an den Fall Snowden und an Hacking. Da müssen wir uns auskennen, da müssen wir zusammenarbeiten.
Sie waren schon auf der halben Welt zu Hause. Wie definiert ein Botschafter Heimat?
Es ist kein Ort, mehr ein Gefühl. Für meine Frau und die beiden Kinder waren die ständigen Umzüge auch immer eine Herausforderung. Aber wir sind neugierig und haben eigentlich nie einen Wechsel bereut. Wir haben das Privileg, überall interessante Menschen und Mentalitäten kennenzulernen.
Was haben Sie in der Schweiz schon sehen können?
Ein Hauptaugenmerk lag jetzt erst mal bei den grenznahen Kantonen zu Deutschland. Ein riesiges und wichtiges Wirtschaftsgebiet. Aber klar, mein Ziel ist, dass ich in den mindestens drei Jahren meiner Amtszeit alle 26 Kantone besucht habe.
Und in Bern?
Da habe ich schon eine schöne Laufstrecke entlang der Aare gefunden. Und den Hausberg Gurten habe ich auch schon bewandert. Nur auf Ski werde ich mich nach 25 Jahren Pause wohl nicht mehr ohne Weiteres wagen.
Norbert Riedel wurde 1960 in Stuttgart (D) geboren. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Der gelernte Bankkaufmann studierte ab 1982 in Würzburg (D) und Caen (F) Rechtswissenschaften, 1989 promovierte er zum Dr. iur. Er arbeitete für die deutschen Botschaften in Sofia, Lissabon und Peking. 2014 wurde er zum Sonderbeauftragten für Cyber-Aussenpolitik ernannt. Seit Oktober 2017 vertritt er die deutschen Interessen in der Schweiz und ist Ansprechpartner für rund 300'000 Deutsche, die hier leben.
Norbert Riedel wurde 1960 in Stuttgart (D) geboren. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Der gelernte Bankkaufmann studierte ab 1982 in Würzburg (D) und Caen (F) Rechtswissenschaften, 1989 promovierte er zum Dr. iur. Er arbeitete für die deutschen Botschaften in Sofia, Lissabon und Peking. 2014 wurde er zum Sonderbeauftragten für Cyber-Aussenpolitik ernannt. Seit Oktober 2017 vertritt er die deutschen Interessen in der Schweiz und ist Ansprechpartner für rund 300'000 Deutsche, die hier leben.