Er ist eben erst von der WG in eine eigene Wohnung gezogen: Martin Neukom, 32 Jahre alt, leidenschaftlicher Mountainbiker und darin geübt, die Spendeneintreiber von Vier Pfoten in der Winterthurer Altstadt abzuwimmeln.
Seit Sonntag ist Neukom noch etwas anderes: Regierungsrat. Seine Wahl war ein Coup. Keiner hatte damit gerechnet. Seither steht Neukom im Mittelpunkt. Wer aber ist dieser junge Mann, dem sogar politische Gegner den Erfolg gönnen?
Ungerechtigkeit machte ihn schon als Kind wütend
Keiner, der gern in die Schule ging, wie seine Schwester erzählt. Aber einer, der sich früh viele Gedanken machte zur Ungerechtigkeit in der Welt. Fast zu viele für ein Kind, sagt er selber.
Aber noch heute macht ihn wütend, wenn Menschen behaupten, Arme seien für ihr Schicksal selber verantwortlich, die Welt sei gerecht. Neukom hält die Welt im Grundsatz für ungerecht. Und er sagt: «Das Leben hat viel mit Glück zu tun.»
Aufgewachsen in einem nicht sonderlich politischen Elternhaus, trat Neukom mit 18 Jahren den Jungen Grünen bei, wurde deren Präsident und vor fünf Jahren in den Zürcher Kantonsrat gewählt. Er gilt als einer, der schnell denken, komplexe Themen rasch verknüpfen und Lösungsansätze finden kann. Erfolgreich ist er auch im Beruf: Neukom hat ein Messgerät entwickelt, das elektrische Eigenschaften von Materialien bestimmen kann und bei der Weiterentwicklung von Solarpanels genutzt wird.
Nicht mit Moral politisieren
Aber noch einmal zurück zum Glück. Ist er ein Glückspilz, ein Mister Perfect? Neukom fragt irritiert zurück: «Sie meinen, wegen der Wahl in den Regierungsrat? Ja, da schon.» Grundsätzlich sehe er sich nicht so. In seinem Leben sei nicht immer alles rundgelaufen. Es gab Zeiten, in denen er oft verstimmt war, Beziehungen seien gescheitert, und zwar mit mehr als dem üblichen Liebeskummer. «Das trifft nicht auf ein perfektes Leben zu, oder?»
Neukom ist zwar ein Grüner, will aber nicht mit Moral politisieren. Menschen, die Fleisch essen (was er tut) und fliegen (was er beruflich ebenfalls tut) zu kritisieren, bringe nichts. Im Gegenteil, das habe doch erst zu dieser verfahrenen Situation in der Klimapolitik geführt.
Die Lage sei dramatisch, klar. Aber der Einzelne sei damit überfordert – er auch. Viele (er allerdings nicht) hätten die Hoffnung verloren. Die Rettung liege in einer klugen Kombination aus Politik und neuen Technologien, meint er.
Sparsam und auf Sicherheit bedacht
Diese Kombination verkörpert Neukom als Ingenieur. Egal, ob er von Solarpanels, energieeffizienten Häusern oder einer neuen grünen Wirtschaft spricht – er tut es unaufgeregt und lässt einen doch spüren: Dieses Thema ist mehr als Politik, mehr als Beruf. Es ist sein Leben.
Bloss: Ein Klimadepartement gibt es auch in Zürich nicht. Gut möglich, dass Neukom sich in den nächsten Jahren mit anderen Themen beschäftigten muss, im Gesundheitsdepartement beispielsweise mit dem Pflegenotstand.
Doch ob Klima oder Pflege, am Ende geht es ums Geld. Und damit kann Neukom umgehen, zumindest privat. Er ist sparsam, braucht ein finanzielles Polster, um sich sicher zu fühlen. Aktuell liegt sein Sicherheitsbetrag bei mehr als einem Jahreseinkommen. «Ich konnte Freunde nie verstehen, deren Kontostand immer um null rum ist.»
Es gefällt ihm im Rampenlicht
Eine enge Vertraute ist seine Schwester Claudia (27). Die beiden teilen den Humor, lieben Ironie. Claudia beeindruckt an ihrem grossen Bruder, wie locker er heute mit fremden Menschen sprechen kann. Das ist, was Neukom glücklich macht: bei Gesprächen in andere Leben einzutauchen, den Blickwinkel zu erweitern.
Vor seiner neuen Aufgabe hat er Respekt. Bis er im Mai beginnt, will er von anderen Exekutivpolitikern lernen. Ihm ist klar, dass er mit seiner Klimapolitik zwar zur rechten Zeit am richtigen Ort war – in der Kantonsregierung beweisen muss er sich nun aber auf ganz anderen Gebieten.
Gute Chancen räumt ihm sogar sein politischer Widersacher ein, SVP-Kantonsrat Christian Hurter. Neukom müsse zwar seine ausgeprägt ideologischen und konsequenten Ideen relativieren, um als Regierungsrat mehrheitsfähig zu bleiben, sagt er. Aber: «Er wird an seiner Aufgabe wachsen und zum Staatsmann reifen.»
Eines ist jetzt schon klar: Im Rampenlicht gefällt es Neukom. Er gibt das auch unumwunden zu. Damit er nicht abhebt, hat der Perfektionist vorgesorgt: Ein Coach soll dafür sorgen, dass der Überflieger am Boden bleibt.