Jemen. Ein Land im Krieg, das die Welt vergessen zu haben scheint. Dabei fallen die Bomben nun schon seit fast vier Jahren. Auf Märkte, Spitäler, Häfen, Hochzeitsfeste, Schulbusse, Wohnquartiere. Mittlerweile haben sie einen grossen Teil der zivilen Infrastruktur dieses ohnehin armen Landes zerstört. Das Leid als nüchterne Statistik: Zwei Millionen Binnenflüchtlinge, 10'000 Tote, 400'000 Kinder, die lebensbedrohlich unterernährt sind.
Geführt wird dieser Krieg vom saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Was der Konflikt für das jemenitische Volk bedeutet, weiss Mireilla Hodeib (34). Sie arbeitet für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und lebt in der jemenitischen Stadt Sanaa. Am Telefon erzählt sie von der bedrückenden Schönheit dieses Landes. Von Tälern, Küsten, Städten und von Menschen mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Es sei so unglaublich traurig, dass sich das Leben der Jemeniten seit mehr als drei Jahren nur noch um eines drehe – irgendwie zu überleben.
Die westliche Welt gibt sich gleichgültig
IKRK-Chef Peter Maurer (61) spricht gegenüber SonntagsBlick von einer katastrophalen humanitären Situation. Er war selber mehrere Male vor Ort, hat gesehen, wie die Kämpfe jeden Bereich des täglichen Lebens betreffen: «Kinder sind nicht in der Lage, zur Schule zu gehen, Menschen haben zu viel Angst, um auf dem Markt Essen zu kaufen. Sauberes Wasser ist ein Luxus.»
Die Vereinten Nationen warnten vergangene Woche vor einer Hungersnot. Die westliche Welt gibt sich gleichgültig. Flüchtlinge aus dem Jemen gibt es keine in Europa. Denn diese Menschen haben schlicht keine Möglichkeit, ihr Land zu verlassen. So ist der Krieg im Jemen für den Westen vor allem eines: ein lukratives Geschäft.
Grösster Profiteur sind neben den Briten die USA. 61 Prozent des Rüstungsmaterials beziehen die Saudis von den Amerikanern. Gerade brüstete sich US-Präsident Donald Trump damit, weitere Lieferungen an das Königshaus im Wert von 110 Milliarden Dollar akquiriert zu haben. Davon abzusehen wäre schlecht, sagt Trump, weil es amerikanische Arbeitsplätze gefährden würde. Wie Recherchen von SonntagsBlick zeigen, wird auch mit Schweizer Waffen gekämpft.
Kinder wissen nicht mal, was ein Zuhause ist
IKRK-Mitarbeiterin Hodeib erzählt von einer Mutter, die mit ihren drei Kindern vor der Gewalt in ihrer Provinz geflohen ist und nun in einem Auto lebt. Sie sei darauf angewiesen, dass ihr Nachbarn manchmal Nahrungsmittel zusteckten und sie das Bad benutzen kann. Viele Menschen lebten in improvisierten Zelten. Es gibt Kinder, die dort geboren wurden und nicht wissen, was ein Zuhause ist. Viele können nur einmal täglich eine Mahlzeit zu sich nehmen.
Die Widerstandsfähigkeit des jemenitischen Volkes sei bewundernswert, sagt IKRK-Chef Peter Maurer. Doch nach mehr als drei Jahren Krieg seien nun 22,2 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen – mehr als doppelt so viele Menschen, wie in der Schweiz leben. «Ich befürchte, dass die Situation bald einen Punkt erreicht, wo alles zusammenbricht.»
Alles, was sie wollen, ist ein sicheres Leben
Auch bei den andauernden Kämpfen in der Stadt Hudaida am Roten Meer zahlten Zivilisten den Preis dieses Konflikts. Mit vielen unschuldig verlorenen Leben, so Maurer. Das IKRK arbeitet mit anderen Hilfsorganisationen daran, das Leid der Bevölkerung zu lindern. Doch Peter Maurer mahnt: «Eine politische Lösung ist die einzige Möglichkeit, diesen Konflikt zu beenden.»
Mireilla Hodeib, die seit 14 Monaten im Jemen ist, weiss: Alles, wonach sich das jemenitische Volk sehnt, ist ein normales, sicheres Leben zu führen. Nicht jeden Morgen mit der Ungewissheit aufzuwachen, ob sie heute wegen Bombenangriffen sterben oder ihr Zuhause verlassen müssen.