Der für Europa wichtigste Vertrag zur atomaren Abrüstung steht vor dem Aus
Übernehmen Sie endlich, Herr Cassis!

Der für Europa wichtigste Vertrag zur atomaren Abrüstung steht vor dem Aus. Eine breite Allianz Schweizer NGOs fordert von Bundesrat Ignazio Cassis, dass er in der Atomkrise vermitteln soll. Denn auch die Sicherheit der Schweiz sei in Gefahr.
Publiziert: 20.04.2019 um 23:57 Uhr
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Aussenminister Ignazio Cassis kriegt Post diese Woche. Unterzeichnet haben den Brief 20 Schweizer Nichtregierungsorganisationen. Von Greenpeace, über Amnesty International bis zu den Evangelischen Frauen Schweiz – alle sind wütend: Cassis soll die humanitäre Tradition der Schweiz endlich wahrnehmen, finden die NGOs.
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Aline Wüst
Aline WüstReporterin SonntagsBlick

Aussenminister Ignazio Cassis kriegt Post diese Woche. Unterzeichnet haben den Brief 20 Schweizer Nichtregierungsorganisationen. Von Greenpeace, über Amnesty International bis zu den Evangelischen Frauen Schweiz – alle sind wütend: Cassis soll die humanitäre Tradition der Schweiz endlich wahrnehmen, finden die NGOs.

Es geht um den sogenannten INF-Vertrag. INF steht für «Intermediate Range Nuclear Forces», zu Deutsch: nukleare Mittelstreckensysteme. Der INF-Vertrag hatte massgeblich zu einer Entspannung zwischen den USA und Ländern wie Russland beigetragen, weil er die Herstellung von Atomwaffen mit einer mittleren Reichweite verbietet. Vor zwei Monaten jedoch hat US-Präsident Trump das Abkommen aufgekündigt. Kurz darauf tat es ihm der russische Präsident Putin gleich. Die beiden werfen sich gegenseitig Vertragsverletzungen vor.

In Europa stationierte Atomraketen

Die Folgen? Wird der Vertrag aufgelöst, können sowohl die USA als auch Russland ab Ende Jahr völlig ungehindert neue Atomraketen entwickeln und in Europa stationieren. Raketen, die innerhalb von Minuten einsatzfähig sind und nahezu alle europäischen Hauptstädte treffen und zerstören könnten.

Noch besteht Hoffnung. Denn der Vertrag hat eine sechsmonatige Kündigungsfrist. Es bleiben dreieinhalb Monate, um das Abkommen zu retten. Und genau da nehmen die NGOs unseren Aussenminister in die Pflicht. Oder präziser: Sie werfen ihm seine Untätigkeit vor. «Cassis macht keine Anstalten, seine Rolle als Vermittler und Konfliktlöser einzunehmen», sagt ­Lewin Lempert (22) von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee. Er spricht von einem Bruch mit der humanitären Tradition der Schweiz.

Cassis blieb untätig

Hervorgetan hat sich Cassis bisher in Sachen nuklearer Abrüstung auch sonst nicht. Im Gegenteil. Denn neben dem INF-Vertrag wird derzeit auch um ein generelles Atomwaffenverbot gerungen. Sowohl der Nationalrat als auch der Ständerat haben Cassis gebeten, das entsprechende Abkommen so schnell wie möglich zu unterzeichnen. Cassis blieb untätig. Zu viel Aktionismus gefährde die Brückenbauer-Funktion der Schweiz, findet er. Frühestens Ende 2020 will Cassis darüber befinden.

Ein Affront für Maya Brehm (42). Sie ist Mitbegründerin von ICAN Switzerland, einer Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen – 2017 ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis. «Wir befinden uns in einer Situation, die stark an den Kalten Krieg erinnert.» Gehe es Cassis wirklich darum, Brücken zu bauen, müsste er jetzt handeln, sagt Brehm. 

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