Kennst du viele Sprachen, hast du viele Schlüssel für ein Schloss.» Die Worte des französischen Aufklärers Voltaire (1694–1778) haben nichts an Gültigkeit verloren. Die Sprache eines Landes zu sprechen, bedeutet, dort angekommen zu sein.
Das gilt auch für die vielen Tausend Flüchtlinge, die derzeit nach Europa fliehen. Menschen, die in die Schweiz gelangen, werden zwar in den jeweiligen Landessprachen gefördert. Aber keine Behörde prüft ihre Sprachkenntnisse. «Da ist man am falschen Ort liberal», sagt der Basler Psychologieprofessor Alexander Grob (57). «Um die Bildungschancen der Kinder zu erhöhen, muss man den Eltern auferlegen, Deutsch zu lernen. Ihre erworbenen Kenntnisse sollen dann nach einem Jahr in einem Sprachtest geprüft werden.»
Es gehe um die Signalwirkung, sagt Grob. «Auch wenn es zu Beginn nur 200 deutsche Wörter sind, bekräftigen Eltern so, dass sie im neuen Land sprachlich ankommen wollen. Und das zeigt ihren Kindern, wie wichtig es ist, die Landessprache zu lernen.»
In Australien oder Dänemark sind Sprachprüfungen bereits Teil der Integrationspolitik. In Dänemark erhält eine alleinstehende Person 200 Euro zusätzlich pro Monat, wenn sie einen Sprachtest für Fortgeschrittene bestanden hat.
Das Schweizer Staatssekretariat für Migration ist zurückhaltend: «Wenn wir nur Sprachtests haben, riskieren wir, dass sich Zugewanderte bloss auf den Test vorbereiten, anstatt für ihre Integration zu lernen», sagt Pressesprecherin Léa Wertheimer.
Dem widerspricht Professor Grob, der die Abteilung für Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie der Universität Basel leitet, klar: Für ihn «ist Integrationsdruck in diesem Bereich sinnvoll – und das sage ich nicht als Hardliner, sondern als Psychologe». Grob berühren die Bilder von Flüchtlingskindern in Bussen, an Bahnhöfen, auf Booten.
«Wenn wir jetzt nichts machen, werden genau diese Kinder zu heilpädagogischen und einige zu psychologisch auffälligen Fällen – mit enormen Folgekosten.» Es gehe um das Wohl der Kinder. «Die Landessprache zu beherrschen, ist entscheidend für den schulischen und beruflichen Erfolg», so Grob.
Der Kanton Basel-Stadt ist Pionier bei der Sprachförderung: 2008 initiierte Regierungsrat Christoph Eymann (64) das Projekt «Mit ausreichenden Deutschkenntnissen in den Kindergarten». In seinem Kanton ist bei zwei Dritteln der Chindsgi-Kinder Deutsch nicht die alleinige Muttersprache. «Wir mussten handeln, denn die sprachlichen Defizite wachsen sich nicht aus», sagt Eymann.
So führte Basel-Stadt im Jahr 2013 das «selektive Obligatorium» ein. Ein Fragebogen ermittelt die Deutschkenntnisse der Kinder. Jene mit ungenügenden Werten müssen ein Jahr vor dem Kindergarten zwei Halbtage pro Woche eine deutschsprachige Kita oder ein Tagesheim besuchen. Die Massnahme bezahlt der Kanton.
Ob sie wirkt, prüfte Psychologe Grob in einer Studie mit 600 Kindern. Sie zeigt: Sprösslinge, die anderthalb bis zwei Jahre vor dem Chindsgi eine Kita oder ein Heim besuchten, legten bei den Deutschkenntnissen rapide zu. Ebenso entscheidend ist die Anzahl Stunden: Kinder, die 21 bis 28 Stunden pro Woche in einem solchen Umfeld waren, sprachen und verstanden die Sprache deutlich besser.
Im Basler Erziehungsdepartement denkt man deshalb über einen Ausbau der Massnahmen nach. «Gut möglich, dass wir die obligatorische Anzahl Stunden pro Woche erhöhen», sagt Eymann. Für den Entwicklungspsychologen Grob ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Aber: «Obwohl die geförderten Kinder deutlich aufholten, werden sie die Kluft zu Kindern mit Muttersprache Deutsch nie schliessen können.»