Auf einen Blick
Blick: Herr Bischof, Sanija Ameti hat auf ein Bild von Maria und Jesus geschossen. Fühlen Sie sich in Ihren religiösen Gefühlen verletzt?
Frank Bangerter: Nein, ich lasse mich nicht so schnell erschüttern. Mein spontaner Gedanke war: Jetzt wird Jesus zum zweiten Mal ermordet und – anders als in der Bibel – auch noch Maria. Mich beschäftigt eher die Frage: Wie kann man so respektlos sein und so gedankenlos handeln – zumal als PR-Profi?
Können Sie Sanija Ameti vergeben?
Selbstverständlich. Die Chance zur Umkehr ist im Christentum zentral. Es gibt immer eine zweite Chance, wenn man aufrichtig und wahrhaftig Verantwortung für seine Taten übernimmt.
Für GLP-Chef Jürg Grossen war Ametis Handlung «unentschuldbar». Ist dieses Urteil unchristlich?
Herr Grossen darf sagen, was er denkt, er spricht vor allem in seiner Funktion. Zum christlichen Selbstverständnis gehört jedoch, dass wir einander immer wieder vergeben können. Ich würde niemals schiessen, aber ich bin auch manchmal eine Frau Ameti, wenn ich hinter meinen eigenen Prinzipien zurückbleibe. Ich warne eindringlich vor Selbstgerechtigkeit.
Kommt in diesem Fall die Kraft der Versöhnung zu kurz?
Ja, ohne Zweifel. Dabei sind Empathie und Nächstenliebe heute wichtiger denn je. Sie bedeuten Zuwendung zum Mitmenschen: «Ich sehe dich. Ich nehme dich an. Ich fühle mit dir. Ich bin bei dir. Ich begleite dich. Ich stärke dich.» Darum gehts.
Wie würde Jesus mit Frau Ameti umgehen?
Gerade Jesus hat den Dialog mit Sünderinnen gesucht. Er wäre auf Frau Ameti zugegangen, Jesus war ein weltoffener Mensch.
Frank Bangerter (61) wuchs reformiert auf und studierte zunächst Betriebswirtschaft. Dann konvertierte er zur christkatholischen Kirche und studierte Theologie. Von 2010 bis 2024 war er christkatholischer Pfarrer in Zürich. Die Glaubensrichtung, der Bangerter angehört, hatte sich in den 1870er-Jahren von der römisch-katholischen Kirche abgespalten und besitzt den Status einer Landeskirche.
Frank Bangerter (61) wuchs reformiert auf und studierte zunächst Betriebswirtschaft. Dann konvertierte er zur christkatholischen Kirche und studierte Theologie. Von 2010 bis 2024 war er christkatholischer Pfarrer in Zürich. Die Glaubensrichtung, der Bangerter angehört, hatte sich in den 1870er-Jahren von der römisch-katholischen Kirche abgespalten und besitzt den Status einer Landeskirche.
Ihr Motto als Bischof lautet: «Mit meinem Gott überspringe ich Mauern.» Was meinen Sie damit?
Mit Gott ist alles möglich, Gott stattet uns mit Kraft und Energie aus. Er segnet uns. Aber er erwartet auch, dass wir den Sprung wagen und dann tatsächlich springen.
Welche Mauern sollte die Schweizer Gesellschaft überspringen?
Wir sollten die Vielfalt als Chance sehen – egal, ob es um den Migrationshintergrund oder die sexuelle Orientierung geht. Wir sollten keine Angst vor Fremdem haben, und wir sollten uns immer für Arme, Schwache und Notleidende einsetzen. Deswegen fand ich die Hetze gegen Frau Ameti heuchlerisch, denn sie kam aus Kreisen, die sich sonst nicht gerade christlich geben.
Sie sind der erste offen schwule Bischof der Schweiz. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie homosexuell sind?
Das weiss ich schon lange, aber ich habe mich erst mit 32 Jahren einer Freundin anvertraut.
Hatten Sie während des Studiums Alibi-Freundinnen?
«Alibi-Freundinnen» ist das falsche Wort – ich hatte zwei engere Beziehungen zu Frauen. Mit 33 Jahren habe ich zum ersten Mal einen Mann geküsst – meinen jetzigen Partner. Wir sind seit 28 Jahren glücklich zusammen und leben in Grenchen mit unseren beiden Katzen. So gesehen sind wir sehr bürgerlich (lacht).
Warum heiraten Sie nicht?
Das fragt sich mein Partner auch manchmal (lacht). Im Ernst: Zunächst war das gesetzlich nicht möglich. Im Laufe der Zeit haben wir beide eine gute Form gefunden. Wobei ich es so einschätze, dass sich mein Partner durchsetzt und wir irgendwann heiraten werden. Ich habe die erste Ehe von zwei christkatholischen Männern sakramental getraut, und ich bin stolz, einer Kirche anzugehören, die nicht mehr zwischen Homo- oder Hetero-Ehe unterscheidet. Liebe ist Liebe.
Was macht Ihr Partner beruflich?
Er arbeitet als Sozialarbeiter für die römisch-katholische Kirche. Er muss seine Homosexualität also nicht verstecken.
Im Gegensatz zu römisch-katholischen Priestern, Bischöfen und Kardinälen…
Mich macht es wirklich traurig, dass nicht alle Menschen so leben dürfen, wie Gott sie geschaffen hat. Ich hoffe, ich kann ein wenig zur Veränderung beitragen.
Wie politisch darf eine Kirche sein?
Die Kirche betreibt keine Tagespolitik, aber es gibt Themen, zu denen sie nicht schweigen darf – vor allem, wenn die Menschenwürde verletzt wird.
Aktuell debattiert die Schweiz über eine Suizidkapsel.
Auf Knopfdruck aus dem Leben zu scheiden und dies auch noch theatralisch zu inszenieren, finde ich menschenunwürdig. Die Kapsel suggeriert Wellness, als ginge man ins Solarium. Statt neuer Technologien, um sich das Leben zu nehmen, wünsche ich mir eine Diskussion über menschenwürdiges Altern.
Was meinen Sie damit konkret?
Ich respektiere jeden, der bei Exit ist. Und ich respektiere jeden, der nicht bei Exit ist. Das Leben wird uns geschenkt, das Sterben gehört dazu. Gute Palliativmedizin kann sogar schwer kranken Menschen ein menschenwürdiges Sterben ermöglichen. Diese Debatte muss stets geführt werden, denn es geht um das Allerwesentlichste: die Würde des Menschen.
Was würden Sie als Bischof gern erreichen?
Ich möchte die Botschaft Jesu ins Hier und Jetzt übersetzen und als Bischof den Menschen nahe sein.