Aussenminister Ignazio Cassis (56) ist es unwohl beim Gedanken, trotz des Einmarschs der türkischen Armee in der syrischen Stadt Afrin in die Türkei zu reisen. Obwohl die Reise des FDP-Bundesrats seit mehreren Wochen diskutiert wird, überdenkt er sie nun, wie BLICK weiss.
Cassis machte das gestern vor der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats klar. Auch wenn der definitive Entscheid, die Reise zu verschieben, noch nicht gefallen ist, ist es für bürgerliche wie linke Aussenpolitiker klar: Cassis hat eingesehen, dass er mit seinem Besuch bloss die völkerrechtswidrige türkische Militäroffensive im kurdischen Teil Syriens rechtfertigen würde.
Während die einen plündern, kann Cassis nicht plaudern
Wie kurdische Quellen und mehrere Nachrichtenagenturen übereinstimmend berichten, plündern türkische Soldaten und Angehörige der Freien Syrischen Armee derzeit Cafés, Läden, Behördengebäude, aber auch Privatwohnungen. Da kann ein Mitglied der Schweizer Landesregierung schwerlich an den Bosporus jetten und der Administration von Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Aufwartung machen.
Ankara wüsste die Fernsehbilder des Treffens mit dem Schweizer Aussenminister für seine Zwecke zu nutzen. Mit einer Reise würde Cassis den Eindruck vermitteln, unser Bundesrat billige die Invasion in Syrien. Das EDA bestätigte BLICK gestern darum: Cassis wolle «die jüngsten Entwicklungen in der Region berücksichtigen».
EDA betont grundsätzliche Bereitschaft
Doch weil man in der Diplomatie niemals eine Türe zuschlägt, fügte Sprecher Tilman Renz an: «Bundesrat Cassis ist grundsätzlich bereit, in die Türkei zu reisen.» Ein Datum gebe es aber noch nicht.
Redebedarf hätte Bern aber einigen mit Ankara. Wie der «Tages-Anzeiger» publik machte, hatten türkische Agenten im Kanton Zürich versucht, einen türkisch-schweizerischen Unternehmer zu entführen. Das misslang jedoch.
Chefdiplomatin und Staatssekretärin Pascale Baeriswyl (49) hat Ende letzter Woche jedoch bereits bei der türkischen Regierung gegen den Kidnappingversuch protestiert und deutlich gemacht, dass die Schweiz Verletzungen ihrer Souveränität nicht dulde. In die misslungene Entführung soll Personal der türkischen Botschaft in Bern involviert gewesen sein.