Michèle Andermatt (34), Verantwortliche für Politik bei der Gletscher-Initiative, hat in den vergangenen Tagen ein gutes Dutzend E-Mails verschickt. Deren Inhalt: die gesammelten Aufrufe der Bevölkerung, sich für die Gletscher-Initiative einzusetzen. Die Empfänger: Umweltpolitiker, die sich in den kommenden Tagen mit der Vorlage befassen.
Das wäre weiter nicht spektakulär, handelte es sich nicht um ein Lobbying der ganz neuen Sorte. Und das funktioniert so: Auf einer Website der Gletscher-Initiative ist ersichtlich, welche Politiker die Vorlage befürworten – und welche sich dazu noch nicht öffentlich geäussert haben. Mit einem Mausklick können die Befürworter des Anliegens zum Beispiel bei SVP-Nationalrat Albert Rösti (54), Mitglied der Umweltkommission, eine Nachricht platzieren. Etwa: «Mit der Gletscher-Initiative schützen Sie unsere Lebensgrundlage und sorgen für die Sicherheit der Bevölkerung.»
Insgesamt sind so bislang 6600 Aufrufe von Bürgerinnen zusammengekommen, die sich für die Initiative ins Zeug legen. Die gesammelten Aufrufe übermitteln die Initianten danach an die Politiker. Zudem werden die Klima-Bürger darüber auf dem Laufenden gehalten, wo sich die Vorlage im parlamentarischen Prozess gerade befindet.
Doch was steckt hinter diesem neuartigen Lobbying? Wie meist, wenn es in der Schweiz darum geht, Demokratie und Digitalisierung zu verknüpfen, führt die Spur zu Netzaktivist Daniel Graf (48). Graf ist der Mann hinter We Collect, jener Plattform, die das Unterschriftensammeln für Initiativen und Referenden ins digitale Zeitalter überführt hat.
Für mehr Transparenz in Bundesbern
Nach den Instrumenten der direkten Demokratie nimmt sich Graf mit seinem Verein Public Beta nun den parlamentarischen Prozess vor. Seine Mission: diesen transparent und verständlich zu machen. Und den Bürgern die Möglichkeit zu geben, Einfluss zu nehmen.
Für den Normalbürger sei oft nicht ersichtlich, was in den spezialisierten Kommissionen beschlossen werde, die das Geschäft zuhanden des Parlaments beraten, sagt Graf. «Die Kommissionen sind eine Blackbox, obwohl dort die wichtigsten Vorentscheide fallen.» Den Lobbyisten sei das natürlich bewusst.
Mit dem Crowd-Lobbying, wie es nun bei der Gletscher-Initiative angelaufen ist, will Graf dieses Ungleichgewicht etwas ausbalancieren.
Für Graf und Andermatt geht es dabei nicht in erster Linie darum, aus Gegnern der Gletscher-Initiative flammende Befürworter zu machen.
Vielmehr möchten wir den Politikerinnen aufzeigen, dass es sehr viele Bürger gibt, die hinter der Initiative stehen und bereit sind, sich zu engagieren», sagt Andermatt. Zugleich wolle man die Unterstützer der Gletscher-Initiative über den politischen Prozess informieren und sie involvieren.
Breit abgestützt
Eine solche Bürgerinteressenvertretung mache vor allem dort Sinn, wo es sich bei den Initianten – wie im Falle der Gletscher-Initiative – um eine Graswurzelbewegung handle, so Graf. Dessen Trägerverein zählt laut Andermatt 2700 Mitglieder, den Newsletter erhalten 33'000 Sympathisanten.
Einmal hat das Bürgerlobbying übrigens bereits geklappt. Kürzlich hat das Parlament einen Vorstoss zum Stimmrechtsalter 16 zur allgemeinen Überraschung angenommen. Unter anderem dank Crowd-Lobbying – und eines eher konventionellen Instruments: des Einsatzes eines eigenen Lobbyisten vor Ort.
Ganz ohne persönlichen Austausch funktioniert Politik eben doch nicht.