Delegierter findets «stalinistisch»
FDP-Gössi sucht Klatscher für Online-DV

Die Freisinnigen halten ihre Delegiertenversammlung wegen Corona digital ab. Für Stimmung sollen extra engagierte Klatscher sorgen. Manche fühlen sich an dunkle Zeiten erinnert.
Publiziert: 22.08.2020 um 10:40 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2020 um 10:43 Uhr
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Die Parteileitung mit Petra Gössi an der Spitze steht unter Beschuss. Und zwar aus den eigenen Reihen.
Foto: Keystone

Applaus, Applaus! Am Samstag sollen die FDPler kräftig in die Hände klatschen, wenn Parteipräsidentin Petra Gössi (44) in die Kamera lacht.

Schon bislang waren die Freisinnigen bekannt dafür, ihre Parteianlässe zu Shows nach amerikanischem Vorbild zu machen. Wenn nun zu Corona-Zeiten die Kandidaten-Kürung der US-Demokraten schon im Netz zelebriert wird, will auch die FDP nicht hintenan stehen: Auch ihre Online-Delegiertenversammlung soll professionell daherkommen. Ein astreines Image ist die halbe Miete.

Weil aber an der Online-DV das Publikum fehlt, bittet das Generalseketariat der FDP darum, «dass sich Delegierte, welche bereit sind, an gegebener Stelle zu klatschen und dabei auf dem Bildschirm eingeblendet zu werden», melden sollen. Via Terminorganisationstool Doodle werden «Klatschslots» verteilt. Viele haben sich anscheinend nicht gemeldet – am Tag vor der DV wurde immer noch nach Zuschauern gesucht.

Erinnerungen an Nordkorea

Das passt nicht allen Parteimitgliedern. Gössi-Kritiker Nicolas Rimoldi (25) wettert von BLICK auf die Klatschaufforderung angesprochen: «Der Geist Stalins ist wieder auferstanden und hat die Parteileitung ergriffen.» Der FDP-Delegierte ist nicht mehr überzeugt von der Parteileitung. Er fragt sich, ob ihr Kurs nicht mehr genügend überzeuge, sodass sie die Delegierten zum Applaus verpflichten müsse.

«Mich erinnert diese Bitte der Parteileitung stark an die Sowjetunion», so Rimoldi. Sein Grossvater habe bereits in Budapest gegen die Kommunisten kämpfen müssen. Er wolle sich jetzt nicht auch noch in seiner eigenen Partei mit stalinistischen Allüren herumschlagen.

Es geht um Emotionen, nicht um Stalinismus

FDP-Sprecher Martin Stucki erklärt, «natürlich geht es nicht darum, Leute zum Klatschen zu zwingen». Da die DV aber über Zoom stattfindet, sei es aber wichtig, im Voraus zu wissen, wer gerne auf dem Bildschirm eingeblendet werden wolle – und wer nicht. «Es geht um die technische Organisation», stellt er klar.

«Wer an früheren Versammlungen der FDP teilgenommen hat, weiss wie emotional die Rede von Petra Gössi sein kann. Viele Delegierte wollen jeweils klatschen», erklärt Stucki. Da gäbe es auch öfter ungeplanten Applaus zwischendurch. Diese Emotionalität fehlt online. Mit der technischen Organisation des Klatschens wolle man lediglich die Sterilität aufheben. Mit Stalinismus habe das nichts zu tun. «Dieser Ausdruck ist lächerlich.»

Rimoldi fühlt sich von der FDP verraten

An der FDP-DV am Samstag nehmen um die 300 Delegierte teil. «Es werden Abstimmungsparolen zu den Kampfjets, zum Vaterschaftsurlaub und zu den Kinderabzügen gefasst», so Stucki. Zu Wort komme jeder Delegierte, der will, verspricht er. «Ein weiterer Beweis, dass diese Veranstaltung nichts mit Kommunismus am Hut hat.»

Rimoldi sieht das anders: «Ich hoffe schwer, dass die liberalen Werte bei der Vaterschaftsurlaub-Diskussion siegreich sind», so der Luzerner. Ein «Ja» zur Vorlage wäre für ihn ein weiterer Verrat an den Freisinn. «Es gab bereits viele Enttäuschungen.» So sind für ihn das Rahmenabkommen mit der EU, das die FDP unterstützt, oder der Klimaentscheid vom 22. Juni unverständlich. Damals hatten die Delegierten den grüneren Kurs Gössis klar gestützt. Rimoldi findet deshalb aber: «Die Partei ist nicht mehr glaubwürdig.»

Fragt sich nur, weshalb Rimoldi die Partei nicht verlässt. «Ich kann nicht tatenlos zuschauen – ich muss intern dagegenhalten», erklärt das der junge Freisinnige mit Hipsterbart. (dbn)

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