«Die Berner Wahlen mit Stadt und Land werden zeigen, wo die SVP derzeit steht», sagte ein besorgter SVP-Chef Albert Rösti (50) letzte Woche im BLICK-Interview.
Jetzt sind diese Wahlen Geschichte. Und Röstis Sorge hat sich bestätigt: Die Berner SVP vermochte zwar ihre beiden Regierungssitze zu verteidigen, musste aber bei den Grossratswahlen drei Sitzverluste hinnehmen. Ihr Wähleranteil sank deutlich von 29 auf 26,8 Prozent. Eine Telefonaktion, bei welcher Rösti höchstpersönlich zum Hörer griff, vermochte die SVP-Niederlage nicht zu verhindern.
SVP im leichten Abwärtstrend
Die Berner Wahlen sind ein Fanal für die Nationalratswahlen 2019. Denn sie bestätigen den Trend der letzten paar Monate: 2015 feierte die SVP mit schweizweit 29,4 Prozent Wähleranteil einen historischen Rekord. Doch damit stieg auch die Fallhöhe.
Seither hat die SVP in 15 kantonalen Parlamentswahlen sieben Sitze verloren. Doch allein in der Ära Rösti – also seit dem 23. April 2016 – waren es 14. Damit hält sich die SVP mit 575 kantonalen Parlamentsmandaten zwar einigermassen stabil. Doch eben, die Tendenz zeigt nach unten. Gerade auch in den Städten, wie die Zürcher Wahlen gezeigt haben. Stress pur für Rösti, Blocher und Co.
Das Problem der SVP: Ihre Kernthemen Europa, Migration und Steuern ziehen im Moment nicht. Die Asylthematik ist mit sinkenden Gesuchszahlen weit in den Hintergrund gerückt. Ebenso die Zuwanderungsproblematik. Und die EU-Frage wabert noch ohne greifbares Ergebnis vor sich hin.
Doch hier liegt viel Potenzial brach: Kommt die EU-Thematik mit einem Rahmenvertrag just im Wahljahr 2019 aufs politische Tapet, wird die SVP wieder punkten. Umso mehr muss die Rechtspartei darauf hoffen, dass FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (56) in den Verhandlungen mit Brüssel nicht scheitert. Sonst fehlt der SVP ein wichtiger Angriffspunkt und ein knackiges Wahlkampfthema, um ihre Basis zu mobilisieren.
FDP strotzt vor Selbstbewusstsein
Für die SVP kommt noch ein anderes Problem hinzu: Die FDP ist im Aufwärtstrend, strotzt vor Selbstbewusstsein und beansprucht den Lead im bürgerlichen Lager keck für sich. Wenn die FDP gewinnt, dann auch auf Kosten der SVP. In den kantonalen Parlamenten ist die FDP der SVP dicht auf den Fersen mit derzeit 568 Mandaten (inklusive Liberale) – ein Plus von 24 Sitzen.
Zwar spannen die beiden Parteien immer wieder zusammen, doch nicht selten hat die FDP mehr davon. So brachten FDP und SVP die Rentenreform von SP-Sozialminister Alain Berset (45) zwar gemeinsam zu Fall. Und die SVP-Basis war vehementer gegen das Projekt als die FDP-Gefolgschaft. Doch die Lorbeeren heimste vor allem FDP-Parteichefin Petra Gössi (42) ein.
Wenn es sein muss, grenzt sich die FDP auch proper von der SVP ab. In der Europa-Frage kommen sich die beiden Rechtsparteien massiv in die Quere. Die SVP will die Personenfreizügigkeit aufkündigen, die FDP hingegen sieht in den Bilateralen weiterhin den Königsweg.
Mitte erodiert
Die Freisinnigen und ihre Präsidentin Gössi haben derzeit allen Grund, das Kinn zu recken. Denn nicht nur der SVP macht sie das Feld streitig, sie expandiert auch Richtung Mitte. Insgesamt ist diese weiter erodiert.
Besonders schlimm steht es um die CVP. 28 Sitze hat sie seit den Nationalratswahlen in den Kantonsparlamenten verloren. So viele wie keine andere Partei. Es bleiben ihr noch 422 Mandate. Der wertkonservative Kurs von CVP-Präsident Gerhard Pfister (55) verfängt bisher nicht. Dass der Zuger die Trendwende bis 2019 schafft, glauben nur die kühnsten Optimisten.
Auch bei der BDP geht es unter ihrem Chef Martin Landolt (49) weiter abwärts. Zwar verlor die BDP in Bern nur ein Mandat – und kommt schweizweit noch auf 65 kantonale Parlamentssitze. Doch beim Wähleranteil fiel sie mit nur noch 9 Prozent ausgerechnet in einer ihrer wichtigsten Bastionen unter die magische Zehn-Prozent-Marke. So vermag sich in der Mitte derzeit einzig die GLP unter ihrem Chef Jürg Grossen (48) mit derzeit 83 Mandaten stabil zu halten.
Der Trend verheisst für die Mitte-Parteien jedenfalls nichts Gutes. Bei den Nationalratswahlen drohen sie zwischen FDP und der Linken weiter aufgerieben zu werden.
Links-grün im Aufwind
Denn das links-grüne Lager steht wieder auf der Sonnenseite. So sind die Grünen um Parteichefin Regula Rytz (56) nach einer Schlappe 2015 wieder auf die Beine gekommen. Zusammen kommen Grüne und grünalternative Gruppierungen auf 197 Parlamentsmandate – ein Dutzend im Plus.
Ebenso kommt die SP auf Touren, die bei den Nationalratswahlen 2015 noch stagnierte. Mit aktuell 464 Sitzen ist sie in den Kantonen zwar nur die drittstärkste Kraft, doch das bedeutet ein Plus von zehn Sitzen. Gerade der jüngste Erfolg im Kanton Bern lässt die Genossen hoffen: ein Plus von fünf Sitzen und ein Plus von über drei Prozent Wähleranteil. In Bern liefert die SP mit über 22 Prozent eine stolze Zielvorgabe für Parteipräsident Christian Levrat (47).
Der Erfolg der Linken kommt aber nicht von ungefähr: Im Nationalrat betreibt das rechte SVP-FDP-Lager knallharte Abbaupolitik im Sozialbereich. Jüngstes Beispiel ist die Reform der Ergänzungsleistungen, wo der Nationalrat Alte und Behinderte schröpfen will.
Das mobilisiert die linke Wählerschaft. Schon vorher haben das Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform III sowie die Abstimmung über das Energiegesetz dem links-grünen Lager Auftrieb gegeben. So konnte die SP selbst in konservativen Kantonen wie Schwyz, Obwalden oder Aargau zulegen.
Mit diesen Erfolgen im Rücken kann Levrat die Kampfansage von FDP-Präsidentin Petra Gössi, die die SP bei den nächsten Parlamentswahlen als zweitstärkste Kraft ablösen will, gelassen nehmen. Schon ihr Vorgänger Philipp Müller (65) ist trotz aller Erfolge an diesem Ziel gescheitert.