Das sind die Reaktionen auf den Jordan-Rücktritt
«Er ist verantwortlich für die Mietpreisexplosion»

SNB-Direktor Thomas Jordan tritt per Ende September zurück. Politik und Wirtschaft sind überrascht und bedauern den Weggang. Allerdings aus unterschiedlichen Gründen.
Publiziert: 01.03.2024 um 09:57 Uhr
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Aktualisiert: 01.03.2024 um 17:29 Uhr
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Thomas Jordan tritt per Ende September zurück.
Foto: keystone-sda.ch

Der Rücktritt von SNB-Chef Thomas Jordan (61) überrascht die Politik. Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (45) verwundert vor allem der Zeitpunkt des Rücktritts. «Anders als Thomas Jordan finde ich nicht, dass die Krisen schon hinter uns liegen», sagt er. Das finanzmarktpolitische Umfeld sei noch immer instabil und auch die CS-Krise sei nicht aufgearbeitet. «Ich hätte mir gewünscht, dass Thomas Jordan mit einem Weggang noch etwas zuwartet.»

Etwas anders schätzt GLP-Präsident Jürg Grossen (54) den Rücktritt ein. «Einen idealen Zeitpunkt gibt es nicht», sagt er. Zwölf Jahre seien eine lange Zeit, daher fände er den Rücktritt nicht überraschend, aber bedauerlich.

Lob für den seriösen, ruhigen Schaffer

Der Zürcher Banker und SVP-Finanzpolitiker Thomas Matter (57) meint, mit Jahrgang 1963 hätte Thomas Jordan gut noch ein paar Jahre machen können. Er bedauert den Rücktritt ebenfalls: «Thomas Jordan hat einen guten Job und konsequent sein Mandat erfüllt – nämlich für Preisstabilität zu sorgen. Nicht zuletzt seiner Arbeit haben wir es zu verdanken, dass wir eine der stabilsten Währungen der Welt haben.»

Das streicht auch Grossen hervor: «Auch in turbulenten Zeiten den Überblick zu behalten und Preisstabilität zu garantieren, ist Kern seiner Aufgabe.» Für SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (45) war Jordan gar der eigentliche Landesvater, der fürsorgend zur Schweizer Volkswirtschaft geschaut habe. «Ich hatte blindes Vertrauen zu ihm, man wusste, die Geldpolitik ist in guten Händen.» Lob auch vom obersten Bankier, Marcel Rohner: «Mit Thomas Jordan tritt eine starke Persönlichkeit zurück, die den exzellenten Ruf der Schweizerischen Nationalbank im In- und Ausland geprägt hat.» Der Präsident der Bankiervereinigung ist sich sicher: «Die Schweizer Nationalbank steht auch in Zukunft für Glaubwürdigkeit und Stabilität.»

Kritik für den «Quasi-Monarchen»

Anders beurteilt SP-Co-Chef Cédric Wermuth (38) die Bilanz des Nationalbank-Chefs. «Thomas Jordan fehlte der Blick für die gesamtwirtschaftlichen Interessen», kritisiert er den engen auf die Preisstabilität fokussierten Jordan, den die bürgerlichen so loben. Wermuth macht ein Beispiel: «Mit seiner Zinspolitik im letzten Jahr hat Jordan die Gewinne der Banken massiv in die Höhe geschraubt und andererseits Ausschüttungen an die öffentliche Hand vermindert.»

Sein Rücktritt sei eine Chance, so der SP-Co-Chef. Nicht nur, was die Geldpolitik der SNB angehe. «Die Quasi-Nationalbank-Monarchie muss aufgebrochen werden, die SNB muss transparenter und zugänglicher werden.» In anderen Ländern müsse sich die Zentralbank ihre Entscheide ganz anders rechtfertigen als hierzulande.

Wermuth fordert eine Frau

Ein Dorn im Auge ist Wermuth, wie allmächtig der SNB-Chef heute ist – etwa bei seiner Nachfolge. In der Tat ist auffällig, dass SNB-Vize Martin Schlegel (47) in den letzten Wochen und Monaten schon mehrere Interviews gegeben hat – Beobachter gehen davon aus, dass damit der Rücktritt Jordans und sein Kronfavorit Schlegel vorbereitet wurden.

«Es kann nicht sein, dass Thomas Jordan seinen Nachfolger quasi selbst bestimmt», kritisiert Wermuth. «Für uns ist klar: Es ist Zeit für eine Frau an der Spitze der SNB. Es gibt qualifizierte Frauen, nun sollte der Bankrat eine davon vorschlagen.»

Jordans Schock für die Exportindustrie

Die Wirtschaftsverbände betonen, dass Jordan seinen Job besser gemacht habe als viele seiner Pendants im Ausland. «Er hat das Stellenprofil als Nationalbankpräsident ideal ausgefüllt, sich im Gegensatz zu anderen Notenbankern immer den unzähligen Wünschen aus der Politik widersetzt und konsequent das geldpolitische Mandat der Preisstabilität verfolgt», sagt etwa Rudolf Minsch (56), Chefökonom von Economiesuisse. Nun brauche es eine Frau oder einen Mann an der Spitze der SNB, der oder die sich politisch genauso wenig instrumentalisieren lasse. Auch Konjunkturforscher Jan-Egbert Sturm (54) lobt die «sehr gute Arbeit» von Thomas Jordan. «Die Schweiz kann froh sein, dass sie eine so starke Nationalbank hat, dabei spielt das Direktorium eine wichtige Rolle.»

Auch Swissmem, der Branchenverband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, lobt Jordans Arbeit im internationalen Vergleich. Die Schweiz weise signifikant tiefere Inflationsraten aus im Vergleich zu Europa und den USA. Die exportorientierte MEM-Industrie war aber auch massiv von Jordans Aufhebung des Euro-Mindestkurses 2015 betroffen. «Für die Exportindustrie war die damalige Aufhebung des Euro-Mindestkurses ausserordentlich schmerzhaft», sagt dazu Jean-Philippe Kohl (57), Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik von Swissmem. «Sie stellte viele Unternehmen vor grosse Probleme und löste viel Frust aus.» Es sei der Tech-Industrie aber gelungen, mit dem starken Franken umzugehen.

Lob von Hauseigentümern, Kritik von Mietern

Einen grossen Einfluss hatte Jordans Finanzpolitik auf den Immobilienmarkt. Die Hauseigentümer in der Schweiz profitierten während seiner Ägide lange von rekordtiefen Hypozinsen. Entsprechend positiv fällt denn auch die Bewertung des Hauseigentümerverbandes zu Jordans Zinspolitik aus. Brigitte Häberli-Koller (65), HEV-Vizepräsidentin und Thurgauer Mitte-Ständerätin, bedauert Jordans Rücktritt. «Er hat mit seiner weitsichtigen und stets souveränen Art sehr viel dazu beigetragen, dass wir in der Schweiz auch in turbulenten finanzpolitischen Zeiten eine stabile Situation hatten.»

Für die Zukunft nach Jordan wünscht sich Häberli-Koller, dass die SNB-Spitze weiterhin Rücksicht auf die Hauseigentümer nimmt: «Die Märkte sollen nicht überhitzen und wir müssen uns wieder vermehrt auf die Wohneigentumsförderung konzentrieren, damit immer mehr Menschen in diesem Land Eigentum erwerben können.»

Kritischer ist das Votum von Seiten der Mieterschaft. Carlo Sommaruga (64), Präsident Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz, sagt: «Herr Jordan hat sich mit seiner Geldpolitik auf die Stabilisierung des Frankens und den Kampf gegen die Inflation konzentriert. Dabei hat er die Mieterschaft – also die Mehrheit der Bevölkerung – vergessen.»

Mit seiner Tiefzinspolitik habe Thomas Jordan dazu beigetragen, dass in den letzten Jahren massiv und spekulativ in Immobilien investiert wurde. «Er ist verantwortlich für die Boden- und Mietpreisexplosion in der Schweiz. Die Mieterinnen und Mieter werden ihn nicht in guter Erinnerung behalten.» Für seine Nachfolge wünsche er sich jemanden, der sich auch die Anliegen von Mieterinnen und Mietern in diesem Land in Betracht ziehe.

Historiker Straumann hat eine Vermutung

Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann (57) wurde ebenfalls vom Rücktritt überrascht: «Thomas Jordan ist nicht ein Mann, der einfach so zurücktritt.» Jordan habe an der Spitze der SNB eine grosse Leistung gezeigt. «Es ist aber auch ein guter Zeitpunkt für einen Rücktritt: Wer so dominant führt, darf nicht zu lange bleiben», sagt Straumann. Für ihn ist SNB-Vize Martin Schlegel (47) als Nachfolger gesetzt. «Er ist der einzige im Direktorium, der die SNB von innen kennt.»

Jan-Egbert Sturm, Direktor der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, sieht Martin Schlegel prädestiniert für die Nachfolge von Jordan. «In der Schweiz hat es Tradition, dass jemand aus den eigenen Reihen der SNB aufsteigt. 

Nicht überrascht über die Rücktrittsankündigung ist Fabio Canetg (35), Geldpolitikexperte, wie er in seinem heute aufgeschalteten Wirtschafts-Podcast «Geldcast» zur Rücktrittsankündigung sagt. «Er wird gehen, bevor der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission zum Ende der Credit Suisse rauskommen wird.» Der wird auf Ende Jahr erwartet. Dann wird Thomas Jordan schon weg sein. «Also bevor allenfalls belastendes Material da rauskommen sollte zu seiner Rolle beim CS-Debakel», so Canetg. So könne er verhindern, dass mit einem Rücktritt nach der Publikation des Berichts der Eindruck entstehe, dass er wegen des Berichts gehe. Und zweitens mache er so den Weg frei für seinen Zögling Martin Schlegel. (sf/koh/saf)

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