Das neue Leben der abtretenden Parlamentarier
Tango-Kurs, Weltreise und Geissen hüten

Die letzte Session dieser Legislatur geht zu Ende. Abtretende Parlamentarier schildern ihre prägendsten Erlebnisse im Bundeshaus – und verraten, wie ihr Leben als Polilt-Rentner aussehen wird.
Publiziert: 26.09.2019 um 10:03 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2019 um 11:56 Uhr
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Der abtretenden SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner geht mit seiner Frau auf Weltreise.
Foto: Daniel Kellenberger
Nico Menzato und Ruedi Studer

Emotionale Momente im Bundeshaus: Für zahlreiche National- und Ständeräte ist am Freitag der letzte Sessionstag ihrer Politkarriere in Bern. Sie treten am 20. Oktober nicht mehr zur Wiederwahl an.

Beim Abschieds-Apéro heute Abend wird es zu vielen Umarmungen kommen – und auch die eine oder andere Träne dürfte fliessen. Schliesslich fällt vielen der Abschied vom Polit-Parkett nicht leicht. Sie verlieren Macht und Einfluss.

Session wie ein Klassenlager

Aber auch Freundschaften. Die dreiwöchige Session, die vier Mal pro Jahr stattfindet, ist für viele neben der politischen Arbeit wie ein Klassenlager. «Tatsächlich denken viele, dass sich Politiker unterschiedlicher Parteien nicht mögen. Das ist falsch. Fast alle National- und Ständeräte sind per Du. Kameradschaften entstehen über das ganze politische Spektrum», sagte einst der ehemalige CVP-Präsident Christophe Darbellay (48).

Am Tag des Abschieds schauen einzelne Parlamentarier auf eine sehr lange Zeit in Bern zurück – und schwelgen in Erinnerungen. «Prägend war der erste Tag im Nationalrat, als ich mit meinem leider kürzlich verstorbenen Freund aus der gleichen Gemeinde, alt Nationalrat und Bergbauer Fritz Abraham Oehrli, von Sigriswil aus ins Bundeshaus fuhr», sagt SVP-Nationalrat Adrian Amstutz (65). Das war am 1. Dezember 2003. Jetzt geht Amstutzt in Polit-Rente.

«Frauenstreik war beeindruckend»

Wenige Tage später geschah etwas, das bei der Basler SP-Nationalrätin Silvia Schenker (65), die ebenfalls nun abtritt, lange nachgewirkt hat. Die Abwahl von CVP-Bundesrätin Ruth Metzler (55). «Ich habe mir vorzustellen versucht, wie schwierig es für sie war, dieses Resultat nicht nur entgegenzunehmen, sondern nachher so rasch vor laufende Kameras treten zu müssen.»

Für Bea Heim (73, SP) war der Frauenstreik von letztem Juni «der jüngste wirklich beeindruckende Moment». Margret Kiener Nellen (66, SP) nennt als wichtiges Erlebnis, dass sie in den letzten fünf Jahren «15 Strafanzeigen wegen schweren Drohungen und Beschimpfungen einreichen musste».

Krimis statt Polit-Dossiers

Politik im Scheinwerferlicht – mit viel Sonnenschein aber auch Schattenseiten. Und jetzt beginnt das neue Leben der Abtretenden. Viele haben keine grossen Pläne und freuen sich einfach, mehr Zeit für die Familie, für Enkel und für zu kurz gekommene Hobbys zu haben. Bücher statt Akten lesen also!

Oder selbst ein Buch schreiben wie Silva Semadeni (67)! Eine Autobiografie, wie es Bündnern mehrfach gelang, die Schweiz von Olympischen Spielen zu verschonen? Sicher nicht, lacht die stets gut gelaunte SP-Frau. Sie plane eine Monografie über den in Vergessenheit geratenen Architekten Giovanni Sottovia (1827–1892), der als Flüchtling um 1856 nach Poschiavo kam und danach mindestens 15 der ersten Hotels in Südbünden gebaut habe. «Endlich werde ich Zeit haben, um die Recherchen abzuschliessen und ein Buch dazu machen», so Semadeni.

«Endlich Zeit für längere Reisen»

SVP-Schlachtross Ueli Giezendanner (65) geht derweil mit seiner Frau auf Weltreise. Drei bis vier Monate sind eingeplant. «Drei Wochen Ferien war bisher das höchste der Gefühle», sagt er. «Jetzt habe ich endlich Zeit für längere Reisen. Nach 28 Jahren im Parlament ist das auch nötig, um etwas Abstand zu Bundesbern zu gewinnen.» 

Mit dem Kreuzfahrtschiff geht es zuerst nach Südamerika, durch den Panamakanal und hinunter nach Chile. Dann mit dem Flieger nach Brasilien und von dort nach Asien mit Thailand, Vietnam und Kambodscha als Ziel. Nach Asien gehts kurz nach Hause – und dann mit dem Wohnmobil rauf in Europas Norden. «Das Nordkap wollte ich immer schon sehen», so Giezi.

Sobald er zurück ist, wird er den zweiten Teil seiner Weltreise planen – Russland, Indien, Australien schweben ihm da vor. «In Bern werde ich mich nicht mehr einmischen», sagt Giezendanner. «Das kann ich hoffentlich meinem Sohn Benjamin überlassen, der für den Nationalrat kandidiert.»

Tango-Kurs und Argentinien-Reise

Eine weite Reise plant auch Giezis Parteikollegin Sylvia Flückiger (67). Ihrem Hanspeter – «ich würde ihn sofort wieder heiraten» – schenkt sie eine Reise nach Argentinien. «Er weiss das noch nicht und kann dies ja aus dem BLICK erfahren», so die SVP-Frau. Damit sich die Aargauerin im Gaucho-Land so gekonnt bewegen kann wie im Bundeshaus, gehts zuvor noch in einen Tango-Tanzkurs.

Kurse besucht auch der Zuger Joachim Eder (67) – aber nicht um sein Rhythmusgefühl zu verbessern, sondern um den Geist wach zu halten. Der FDP-Ständerat wird «an der Altersuniversität Luzern Vorlesungen in den Bereichen Theologie und Philosophie besuchen». Allerdings nicht mit dem Gedanken, einen Abschluss zu machen.

«Ein lang gehegter Traum, mit der Natur zu arbeiten»

In neue Gefilde will auch Karl Vogler (63) vordringen. Er wird Teilzeit-Geissenbauer! Der CVPler besitzt bereits einige Geissen, die aber noch bei einem befreundeten Paar leben. Ab dem Winter werde er die Tiere auf seinem Landwirtschaftsbetrieb selber versorgen – mit allem, was dazugehöre.

«Es ist ein lang gehegter Traum von mir, nahe und mit der Natur arbeiten zu können», so der Bauernsohn.

So funktioniert die Wahl 2019

Am 20. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Wer bei den Worten panaschieren, CSP oder Proporz-System nur Bahnhof versteht, sollte sich über das ABC des wichtigen Urnengangs hier schlau machen.

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Die Parteien an der Wahl

Bald geht die heisse Phase der Wahlschlacht so richtig los. BLICK erklärt im Formtest, wo die Parteien im Moment stehen und womit sie zu punkten versuchen.

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