Reden ist Silber, gut Reden ist Gold. Seit jeher gilt im Parlament: Wer packend spricht, kann etwas bewegen. Begabte begründen nicht nur klar ihre Position, sie reissen im entscheidenden Moment auch die Mehrheit auf ihre Seite. Darum hat Michael Hermann von der Forschungsstelle Sotomo im Auftrag von BLICK vor den eidgenössischen Wahlen den besten Redner im Schweizer Parlament ermittelt.
Gemäss der repräsentativen Umfrage im Parlament – erstmals überhaupt haben die Politiker ihre Kollegen bewertet – ist der Zürcher Grünen-Nationalrat Daniel Vischer Klassenbester. Er gilt als scharfsinniger und leidenschaftlicher Debattierer – offenbar über die Parteigrenzen hinweg. Der Jurist kann über sein Resultat nur mutmassen: «Ich habe bei den Kollegen wohl einen Bonus, weil ich frei rede.»
Er ist aber skeptisch, was die Zukunft bringt: «Die Reden im Parlament verlieren leider an Bedeutung, obwohl die Debatten eigentlich sehr wichtig wären.» Gerade im Nationalrat werde immer seltener aufeinander eingegangen.
Vischer verweist SVP-Fraktionspräsident Adrian Amstutz (NR, BE) knapp auf den zweiten Platz (siehe Rangliste). Amstutz politisiert nach eigener Aussage mit der Motorsäge – was ihm nicht zum Nachteil gereicht. Amstutz reagiert erfreut: «Es zeigt, dass man mir zuhört.» Er habe schon festgestellt, dass es bei seinen Voten ein wenig stiller werde im Rat. Sein Rezept: «Versuche nicht, gescheiter zu reden, als du bist.»
Unter den Top 20 sind Frauen krass untervertreten. Erst auf Rang 15 klassiert sich FDP-Fraktionschefin Gabi Huber (NR, UR). Unter den Top 20 sind nur zwölf Prozent Frauen. Der Frauenanteil in beiden Räten beträgt um die 30 Prozent.
Übervertreten unter den guten Rednern sind die Ständeräte. Das ist nachvollziehbar: Im Stöckli darf man häufiger und länger reden – und so haben alle mehr Chancen, als gute Redner aufzufallen. Nur drei Mitglieder aus der Romandie klassieren sich unter den besten 20: CVP-Präsident Christophe Darbellay (NR, VS; 6.), der Grüne Robert Cramer (SR, GE; 17.) und Nationalrätin Cesla Amarelle (VD; 20.). Auf die SPlerin hätte kein Aussenstehender gewettet.
Zur Beurteilung der Redekünste versandte Hermann eine Mail-Umfrage an alle Parlamentsmitglieder. Sie wurden aufgefordert, den besten Rednern Punkte zu verteilen. Von 246 National- und Ständeräten gaben 109 ihre Stimme und damit Noten für ihre Kollegen ab. Mit einer so regen Teilnahme hatte man im Vorfeld nicht rechnen können. Denn die Parlamentarier hatten solche Anfragen jahrelang parteiübergreifend boykottiert. Der Meinungsumschwung ist erfreulich. Denn die Beurteilung durch Kollegen gilt in der Politikwissenschaft als die einzige zulässige Messgrösse für diese Art von Ratings.