BLICK: Sie treten als Vizepräsident der SVP zurück und geben damit nach 42 Jahren das letzte politische Amt ab. Wie fühlt sich das an?
Christoph Blocher: Ich höre nicht auf mit der Politik. Aber ich werde vermehrt auf der obersten Ebene arbeiten.
Was meinen Sie damit?
Die Bürgerinnen und Bürger stehen in der Schweiz zuoberst in der Hierarchie – erst dann kommen Parlament, Bundesrat und Gerichtsbarkeit.
Wie wollen Sie sich engagieren?
Ich führe das Komitee gegen den EU-Beitritt. Und bei grossen Fragen und den entsprechenden Volksabstimmungen stehe ich zur Verfügung.
Dann ist die Frage überflüssig, ob Sie sich ganz aus der Politik zurückziehen?
Zum Ärger all meiner Gegner bleibe ich. Ich werde meine grosse Erfahrung und meine beängstigende Unabhängigkeit weiter zur Verfügung stellen. In welcher Form, lasse ich noch offen.
Was ist dann der Grund, dass Sie sich jetzt als Vize zurückziehen?
Die Amtsdauer läuft ab. Ich will weniger im Parteiorganisatorischen wirken. Wir funktionieren immer noch, wie damals, als wir 24 Fraktionsmitglieder waren. Inzwischen sind wir 74. Toni Brunner war 24 Stunden im Einsatz und bleibt ein ganz grosses Vorbild.
Haben Sie schon Ideen, wie die SVP neu strukturiert werden soll?
Damit beschäftigen sich andere. Ich mache jetzt politische Arbeit. Leider müssen die wichtigen Dinge wie die Ausschaffung krimineller Ausländer, die Verhinderung der Masseneinwanderung, die Wahrung der Unabhängigkeit und das Abwenden des EU-Beitritts vor dem Volk entschieden werden, weil die anderen Parteien das Volk austricksen. Es sind diktatorische Tendenzen.
Wie meinen Sie das?
Das Establishment kennt die Stimmung im Volk nicht mehr. Weil das Parlament sich weigert, die Kriminellen auszuschaffen, mussten wir die Durchsetzungs-Initiative bringen. Die Masseneinwanderungs-Initiative ist angenommen. Aber nichts passiert. Man tut nichts. Anfang Jahr hiess es, jetzt, wo es der Wirtschaft schlechter gehe, würde die Zuwanderung zurückgehen.
Sie finden nicht?
Nein, trotz schlechterer Situation kamen 2015 wieder 75'000 neue Zuwanderer, dazu eine erschreckende Zunahme der Arbeitslosigkeit von 3,4 auf 3,7 Prozent. Als die Schweiz die Zuwanderung noch selber regulierte, hatten wir solch hohe Werte nur bei ganz schwerer Rezession. Unter Ausländern liegt die Arbeitslosigkeit bei 7,3 Prozent und bei der Zuwanderung aus den EU-Ostblockstaaten sogar bei 15! Jeder Siebte ist bereits arbeitslos! Und gleichzeitig strömen neue ins Land, weil Bundesbern nicht handelt und vor der EU in die Knie geht.
Die SVP ist Wahlsiegerin. Sie können jetzt als grösste Fraktion Gegensteuer geben.
Machen wir. Aber weil die anderen Parteien nicht mitmachen, nützt auch dies nichts. Ein Beispiel: Vor den Wahlen – am 20. September 2015 – schreibt Präsident Philipp Müller in einer Sonntagszeitung, dass die Grenzen unbedingt kontrolliert werden müssten. Im Dezember 2015 – nach den Wahlen – unterstützt kein einziger Freisinniger diese Forderung. Und jetzt haben wir eine unerträgliche Völkerwanderung – zusätzlich zur Masseneinwanderung aus der Personenfreizügigkeit.
Wenn Sie, Toni Brunner und Generalsekretär Martin Baltisser abtreten: Ist das nicht zu viel Erfahrungsverlust?
Ein Verlust sicher. Aber wenn ich die neuen 25 Parlamentsmitglieder anschaue, habe ich keine Angst. Da gibt es gute Typen darunter. Viele sind neue Unternehmer. Zum Beispiel aus den Kantonen Luzern, Aargau, Baselland, Appenzell Ausserrhoden oder meine Tochter, die ein grosses Exportunternehmen führt. Aber auch Intellektuelle wie Roger Köppel, der gleichzeitig auch Unternehmer ist. Da kommt gutes Holz, und wir haben keine Flügelkämpfe.
Dann muss die Partei auch nicht fürchten, dass Sie keine Abstimmungskämpfe mehr finanzieren?
Ich lasse weder die Schweiz noch die SVP im Stich.
Zieht der Erfolg der SVP bei den letzten Wahlen nun auch die falschen Leute an?
Die Gefahr besteht. Darum ist es wichtig, dass wir an guten Grundsätzen festhalten. Nicht umsonst gibt es bei der SVP für den Präsidenten keine Entschädigung.
Was sehen Sie nach 30 Jahren Politik auf nationaler Ebene als Ihren grössten Erfolg an?
Man weiss ja nicht, welche Sachen auch ohne einen passiert wären. Dass wir heute nicht in der EU sind, ist sicher auf den Sieg an der Urne gegen einen EWR-Beitritt zurückzuführen.
Worauf sind Sie im Rückblick stolz?
Wenn ich zurückschaue, was alles geschehen ist, bin ich grösstenteils zufrieden. Die Ems-Chemie war eine bankrotte Firma, als ich sie übernahm. Ich weiss nicht, ob es sie heute noch gäbe. Und die SVP ist heute die wählerstärkste Partei der Schweiz. Dass dies möglich wurde, ist nicht selbstverständlich.
Hoffen Sie auf Schub für die Durchsetzungs-Initiative durch die Vorfälle in Köln?
Das öffnet den Leuten – und hoffentlich endlich auch den Politikern – die Augen und hilft, endlich Kriminelle auszuschaffen. Was in Köln mit dem Totschweigen passiert ist, gibt es auch in der Schweiz. Die Straftaten aus der Silvesternacht in Zürich, die jetzt ans Tageslicht kommen, hat auch hier niemand gemeldet – auch die Polizei nicht, weil man nicht sagen wollte, woher die Täter kommen.
Alle andern grossen Parteien lehnen die Initiative ab.
Auch nichts Neues. Aber ich spüre grosse Unterstützung in der Bevölkerung, wenn es darum geht, Kriminelle nach der gerichtlichen Verurteilung auszuschaffen. In Kürze starten wir unsere Kampagne.
Liegen Ihre Gegner falsch, wenn sie frotzeln, die SVP wolle die Abstimmung gar nicht gewinnen?
Das sagten sie schon bei der Ausschaffungs-Initiative und bei der Masseneinwanderungs-Initiative. Beiden Initiativen stimmten aber das Volk und die Kantone zu.
Ihre Frau Silvia hatte einen Unfall. Geht es ihr wieder besser?
Ja, ja. Sie stieg am Weihnachtstag auf einen Stuhl, um einen Vorhang in Ordnung zu bringen – und stürzte auf den Boden. Sie erlitt eine Hirnerschütterung, kann aber schon wieder recht gut ohne Stützung herumgehen, wie Sie ja sehen.