Das grosse Interview mit Armeechef Philippe Rebord
«Die Milizarmee hat Zukunft»

Armee-Chef Philippe Rebord erklärt, wie er die Armee für Junge wieder attraktiver machen will. Und welche Fehler er vermeiden will, damit die Armee die nächste Abstimmung über neue Kampfjets gewinnt.
Publiziert: 06.01.2018 um 23:43 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:35 Uhr
Christian Dorer (Interview) und Karl-Heinz Hug (Fotos)

Philippe Rebord ist seit einem Jahr Chef der Armee. In dieser Zeit hat er erst sehr wenige ­Interviews gegeben. Die Gäste des SonntagsBlicks empfängt er in seinem Büro im Bundeshaus Ost. Im Vorzimmer liegen Militärbiscuits und -schokolade auf. Solche wird er zum Abschied mit auf den Heimweg geben – schön verpackt in eine Hülle mit Schweizer Fahne und der Aufschrift: «Vielen Dank für Ihr Interesse und für Ihre Unterstützung. Korpskommandant Philippe Rebord».

SonntagsBlick: Herr Rebord, wieso kennt Sie niemand?
Philippe Rebord: Das behaupten Sie! Im vergangenen Jahr habe ich gegen 300 Referate in der ganzen Schweiz gehalten, kürzlich war ich an der Präsidentenfeier von Ständerätin Karin Keller-Sutter. Ich habe den Eindruck, dass die Leute mich erkennen.

Ihr Vorgänger André Blattmann war omnipräsent.
Er war auch 100 Monate im Amt, bei mir sind es erst zwölf. Ich habe also noch etwas Zeit (lacht). Gleichzeitig will ich mich nicht inszenieren.

Armeechef Philippe Rebord (60).
Foto: KARL-HEINZ HUG

Sind Sie mit 60 ein Übergangsarmeechef?
Wir sind alle Übergangschefs! Normal dauert eine Amtszeit drei bis vier Jahre. Die acht meines Vorgängers waren eine aussergewöhnlich lange Zeit – auch im europäischen Vergleich.

Sie sind seit mehr als 30 Jahren Berufsoffizier. War es Ihr Traum, Chef der Armee zu werden?
Das war nie meine Überlegung. Für mich gilt immer: Gib jeden Tag dein Bestes! Das empfehle ich auch jedem. Als Berufsmilitär dient man. Als Kommandant sind Sie gewohnt zu befehlen.

Wie gehen Sie damit um, wenn Ihnen Politiker dreinreden?
Das ist ja ihre Aufgabe. Die Politik führt die Armee an der kurzen Leine und überprüft jedes Detail. Das gehört zu einer Demokratie. Klar, an den Umgang mit Politikern musste ich mich gewöhnen. Inzwischen hat sich die Zusammenarbeit etabliert. Aber ich dränge mich nicht auf. Ich gehe in die Kommissionen, wenn es gewünscht wird.

Herr Rebord, was ist die grösste Bedrohung für die Schweiz?
Erstens Terror. Zweitens Naturkatastrophen: Mit der Klimaveränderung wird sich das weiter zuspitzen, gerade in alpinen Gebieten. Drittens Cyberangriffe. Viertens Migration. Fünftens die Verschiebung der Mächte in der Welt.

Ist es Zufall, dass die Schweiz bisher von Terror verschont wurde?
Wir sind neutral und haben keine militärischen Einsätze in heiklen Gebieten. Es gibt aber auch in der Schweiz Ziele, die für Terroristen sehr interessant sind, etwa Schlüsselinfrastrukturen wie Einrichtungen der Energieversorgung, wichtige Verkehrsachsen, grosse Verteilzentren. In erster Linie ist Terrorbekämpfung aber Sache von Nachrichtendienst und Polizei.

Eben. Was nützt die Armee gegen Terror?
Sie käme nach einem Anschlag zum Einsatz. Zuerst reagiert die Polizei. Aber in der Schweiz gibt es nur 17000 Polizisten für 8,3 Millionen Einwohner. Zum Vergleich: Allein Berlin hat 24'000 Polizisten für 3,4 Millionen! Die Armee muss der Polizei deshalb im Ernstfall rasch Unterstützung bieten können.

Gibt es deshalb ab 1. Januar wieder eine Mobilmachung?
Ja, weil es schwierig ist, zu beurteilen, was wann passieren könnte. Deshalb müssen wir bei einem Ereignis rasch bereit sein: Die Politik verlangt von uns, dass wir innerhalb von drei Tagen 8000 und innerhalb von zehn Tagen 35'000 Soldaten stellen.

Philippe Rebord (l.) stellt sich den Fragen von Blick-Gruppe-Chef Christian Dorer.
Foto: KARL-HEINZ HUG

Wann könnte das nötig werden?
Wenn zum Beispiel am Hauptbahnhof Zürich oder am Flughafen ein Attentat verübt würde wie jenes 2016 in Brüssel. Die Politik müsste entscheiden, was es braucht, um den Normalzustand wiederherzustellen. In unseren Szenarien braucht es rund 5000 Mann, um den Flughafen Zürich über längere Zeit zu schützen. So viel Personal bekommt man nur über eine Mobilmachung.

Ein Ausdruck von unsicheren Zeiten!
Ja, ich weiss nicht, ob sich alle bewusst sind, was Mobilmachung bedeuten würde: Die Leute fehlen dann von einem Tag auf den anderen an ihrem Arbeitsplatz.

Halten Sie es für möglich, dass sich die Schweiz eines Tagen in einem Krieg befindet?
Letztes Jahr gab es Truppenverschiebungen von je mehr als 100'000 Mann aufseiten Russlands und der Nato. Finnland führt grosse Truppenübungen durch, ebenso Schweden. Das sind neue Entwicklungen, eine Art Schachspiel. Entscheidend wird sein, ob sich die Weltmächte verschieben und es zu einer Eskalation kommt. Das wird auch auf Europa Einfluss haben. Trotzdem ist die Situation heute nicht vergleichbar mit dem Kalten Krieg. Damals konnte jederzeit ein Funke überspringen. Heute braucht eine solche grosse Entwicklung zumindest in Europa sicherlich zehn Jahre.

Warum zehn Jahre? Die Eskala­tion zwischen den USA und Nordkorea ist sehr rasch erfolgt.
Die Armeen wurden seit dem Kalten Krieg stark abgerüstet. Sie verfügen nicht mehr über die Kapazitäten von damals. Zudem gibt es Kontrollen der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, sobald eine Armee aufrüstet.

Die Bedrohungen werden komplexer. Ist die Milizarmee noch die richtige Antwort darauf?
Unbedingt! Die Milizarmee ist ein zukunftsträchtiges Modell. Finnland, Schweden und Norwegen ­haben Milizarmeen. Emmanuel Macron hat die Möglichkeit ins Spiel gebracht, diese auch in Frankreich wieder einzuführen. Ein Beispiel aus einem Truppenbesuch: Ich traf Soldaten, die hochmoderne Systeme betreuten, mit denen die Kommunikation der Gegner abgehört und gestört werden kann. Das sind Spezialisten, die im Zivilleben bei Technologiefirmen arbeiten. Ihre Aufgabe bei der Armee mit Spezialisten aus anderen Bereichen ist befruchtend. Und die Arbeitgeber profitieren ebenfalls von diesen Erfahrungen.

Bloss sagen immer mehr: Armee ja, aber bitte ohne mich. Die Anzahl Zivildienstleistender nimmt zu, 40 Prozent der Zivildienst-Gesuch stammen gar von RS-Absolventen!
Das ist tatsächlich eine schlechte Quote. Denn wir haben in diese Soldaten investiert. Deshalb hat der Bundesrat entschieden, das Zivildienstgesetz zu revidieren, um den Wechsel schwieriger zu machen.

Der Zivildienst dauert eineinhalb Mal so lange wie die Rekrutenschule. Trotzdem entscheiden sich viele dafür. Was macht die Armee falsch?
Gemessen an Tagen dauert der Zivildienst länger, gemessen an der aufgewendeten Zeit in Stunden nicht. Ich traf kürzlich zwei Artilleriesoldaten, die die Armee verlassen und in den Zivildienst wechseln wollen. Sie sagen, dort könnten sie entscheiden, was sie wann wo machen wollen. Das ist attraktiv. Die Armee kann das nicht bieten.

Was genau verlangen Sie: Wie soll der Zivildienst weniger attraktiv werden?
Ich brauche 18'000 Soldaten pro Jahr, um das System aufrechtzuerhalten. Die Hürden für den Zivildienst müssen erhöht werden. Wie genau, ist nicht an mir zu beurteilen. Der Bundesrat hat das erkannt und will nun die Zulassung erschweren. Die Revision des Zivildienstgesetzes wird nun innert ­eines Jahres ausgearbeitet – da werden Vorschläge kommen. Dann, so bin ich überzeugt, wird es ein Referendum geben. Der Prozess wird deshalb drei bis vier Jahre dauern.

Vor allem Gymnasiasten und Studenten wollen nicht mehr in die Armee. Was tun Sie?
Tatsächlich sind 52 Prozent der Zivildienstleistenden Studenten, Informatiker und kaufmännische Angestellte. Das ist nicht gut, denn wir wollen alle Schichten im Militär haben. Deshalb schaffen wir neue Anreize: Unsere Führungskräfte erhalten je nach Dienstgrad einen Betrag zwischen 3000 und 11'000 Franken für ihre Aus- oder Weiterbildung nach dem Dienst.

In der RS gibt es neu zwei Jokertage, an denen die Rekruten freinehmen können. Ist das Ihr Rezept, um den Militärdienst für alle attraktiver zu machen?
Sehen Sie: Die Kluft zwischen ­Armee und Zivilleben wird immer grösser. Ein Beispiel: Junge Leute sind ständig im Internet, in der Armee geht das plötzlich nicht mehr. Deshalb führen wir Internetzeiten ein, in denen die Soldaten ihre privaten Geschäfte erledigen können. Zudem führen wir ab diesem Jahr eine reduzierte Tauglichkeit ein: Ein kluger Kopf, der aber körperlich nicht auf der Höhe ist, kann dann trotzdem Dienst leisten. Auch der Einstieg in die RS soll lockerer werden. Die Rekruten sollen zu Beginn mehr Zeit für sich haben, genügend Zeit, um sich zu verpflegen, und die erwähnten Jokertage. Die Ideen sind banal, aber wirksam. Wir müssen die Jungen für uns gewinnen!

Der Zivildienst dauert vom Montagmorgen bis Freitagabend. Die RS von Sonntagabend bis Samstagmorgen. Wieso verkürzen Sie nicht?
Erstens aus Sicherheitsgründen: So stellen wir sicher, dass die Soldaten zur Heimfahrt am Samstagmorgen und zum Arbeitsbeginn am Montagmorgen genug geschlafen haben. Zweitens müssen wir ihnen in kurzer Zeit viel beibringen. Unsere Soldaten sind zwar Milizionäre, aber sie müssen eine professionelle Leistung erbringen. Dafür brauchen wir Zeit.

Gleichzeitig hört man immer wieder von Larifari im WK.
Wir überprüfen alle WK. Jeder Kommandant präsentiert sein WK-Konzept dem Brigadier. Aber: ­Armeeeinsätze sind nicht immer Action. Eine Woche lang Wache am WEF in Davos ist nicht spannend.

Bald kommt der zweite Versuch, neue Kampfflugzeuge zu beschaffen: Welche Fehler müssen Sie verhindern, damit sich das Gripen-Debakel nicht wiederholt?
Die Ausgangslage ist eine andere. Nun lautet die Frage: Wollen wir eine Luftwaffe oder nicht?

Ach, diese Schwarzmalerei ist doch reine Taktik.
Nein, nein. Die Lebensdauer unserer F/A-18 beträgt maximal 6000 Flugstunden. Deshalb ist 2030 Schluss. Dann beschaffen wir entweder neue Kampfjets oder verzichten auf eine Luftwaffe. Dazwischen wird es nichts geben. Als Erstes müssen wir als Armee geschlossen auftreten. Beim Gripen gab es immer wieder Besserwisser, die meinten, eine noch bessere Idee zu haben.

Selbst Ueli Maurer sagte ursprünglich, es brauche nicht zwingend neue Kampfjets – und plötzlich war es eine Überlebensfrage für die Armee. Das glaubt kein Mensch.
Da ziehe ich den Joker. Ich kann nicht die Aussagen eines Bundesrats von damals beurteilen.

Nochmals: Das Volk sagte Nein zum Gripen. Wieso soll es jetzt klappen?
Die Schweizer Bevölkerung stand immer hinter der Luftwaffe.

Das letzte Mal nicht ...
Die Luftwaffe entstand ursprünglich durch eine Initiative, die von der Schweizer Bevölkerung gestartet wurde. Jede Armee hat eine Luftwaffe. Ohne den Schirm in der Luft haben unsere Soldaten keine Chance am Boden, und die Bevölkerung ist Angriffen aus der Luft schutzlos ausgeliefert. Der Schirm besteht aus der Luftwaffe und einer bodengestützten Luftverteidigung.

Politisch herrscht Konsens, dass es eine Luftwaffe braucht. Dissens herrscht bei der Anzahl Flugzeuge – da gibt es alle Ideen zwischen acht und 40. Was sagen Sie?
Der Bundesrat hat entschieden, dass das ganze System acht Milliarden kosten soll. Es sind aber noch viele Faktoren offen. Wie viel kosten die Flugzeuge, wie lange sind die Wartungszeiten? Sie sind ausschlaggebend dafür, wie viele Flugzeuge wir benötigen. Solange wir diese Parameter nicht kennen, können wir keine Aussage zur Anzahl machen.

Fünf schnelle Fragen

Uniform oder zivile Kleider?
Zivile Kleider – aber selten.

Kampfjets oder Bodluv?
Beides!

Panzer oder Cyberabwehr?
Beides.

Parmelin oder Maurer?
Joker!

Deutsch oder Französisch?
Französisch.

Uniform oder zivile Kleider?
Zivile Kleider – aber selten.

Kampfjets oder Bodluv?
Beides!

Panzer oder Cyberabwehr?
Beides.

Parmelin oder Maurer?
Joker!

Deutsch oder Französisch?
Französisch.

Chef der Armee

Philippe Rebord (60) ist seit mehr als 30 Jahren Berufsoffizier. Am 1. Januar 2017 hat er die höchste Karriereleiter erklommen und wurde Chef der Schweizer Armee. Er ist in seiner Funktion verantwortlich für Führung und Weiterentwicklung und ist damit der wichtigste Unterstellte von Verteidigungsminister Guy Parmelin (58). Rebord wuchs im Unterwallis auf, studierte Geschichte, Geografie und Französisch in Lausanne und begann seine Berufskarriere bei der Infanterie. Er ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Töchtern.

Philippe Rebord (60) ist seit mehr als 30 Jahren Berufsoffizier. Am 1. Januar 2017 hat er die höchste Karriereleiter erklommen und wurde Chef der Schweizer Armee. Er ist in seiner Funktion verantwortlich für Führung und Weiterentwicklung und ist damit der wichtigste Unterstellte von Verteidigungsminister Guy Parmelin (58). Rebord wuchs im Unterwallis auf, studierte Geschichte, Geografie und Französisch in Lausanne und begann seine Berufskarriere bei der Infanterie. Er ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Töchtern.

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