Das Gesetz gilt nicht
Deshalb wohnen in Genossenschaften so viele Reiche

In günstigen Genossenschaftswohnungen hausen auch viele Reiche. Gegner der Mieter-Initiative kritisieren dies als unfair – und berufen sich aufs Gesetz. Doch dieses ist Makulatur. Die Genossenschaften sind bei ihrer Mieterwahl völlig frei.
Publiziert: 15.01.2020 um 21:34 Uhr
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Aktualisiert: 08.02.2020 um 12:24 Uhr
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Die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» verlangt, dass 10 Prozent aller neuer Wohnungen Genossenschaften sein müssen, wie etwa die Siedlung Kalkbreite in Zürich.
Foto: Keystone
Nico Menzato

Der Abstimmungskampf um die Wohn-Initiative ist eröffnet. Die Initiative des Mieterverbands will den Bund verpflichten, preisgünstige Mietwohnungen zu fördern. Konkret: Mindestens 10 Prozent der neuen Wohnungen müssten künftig im Eigentum gemeinnütziger Wohnbauträger sein. Heute sind knapp 5 Prozent aller Wohnungen gemeinnützig – also Stadtwohnungen und Genossenschaften.

Die Gegner zielen derweil auch auf die Bewohner von Genossenschaften: Geldspritzen seien unfair, weil ihr sozialpolitisches Ziel verfehlt werde. «Nur ein Viertel der Genossenschafter gehört zu den ärmsten 20 Prozent», schreibt das Nein-Komitee auf seiner Homepage. Und 10 Prozent würden gar zu den Reichsten gehören.

Arme nur leicht übervertreten

Tatsächlich zeigen diverse Studien, dass auch der Mittelstand und viele Gutbetuchte profitieren. Die tiefsten Einkommensklassen in Genossenschaften sind in Genossenschaften hingegen nur leicht übervertreten. Zu diesem Schluss kommt auch eine aktuelle Untersuchung der Uni St. Gallen im Auftrag des Verbands Immobilien Schweiz.

Reiche, die in günstigen Wohnungen leben – dies sorgt immer wieder für rote Köpfe. Schliesslich besagt das Gesetz über die Förderung von preisgünstigem Wohnraum von 2003, dass davon «wirtschaftlich oder sozial benachteiligte Personen» profitieren sollten.

Gesetz ist überholt

Nur: Dieses Gesetz ist seit langem Makulatur. Sagt der Bund! Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Gewährung von Direktdarlehen wurde aufgrund des Entlastungsprogramms 2003 und des 2007 vom Bundesrat getroffenen Entscheides nie umgesetzt. «Diese Darlehen wären für die wirtschaftlich und sozial benachteiligte Bewohnerschaft zinsgünstig oder zinsfrei gewährt worden», sagt Christoph Enzler (54), wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesamt für Wohnungswesen.

Was also gilt jetzt? Ziel der Unterstützung des gemeinnützigen Wohnungsbaus sei heute primär die Stärkung dieses Sektors, so Enzler. «Die gemeinnützigen Wohnbauträger stellen preisgünstigen Wohnraum für alle Bevölkerungskreise zur Verfügung.» Sie würden dabei insbesondere Familien, Behinderte und Betagte berücksichtigen. Enzler: «Und sie sind bestrebt, Wohnungen mit günstigen Mieten Haushalten mit geringen Einkommen zur Verfügung zu stellen.»

Die Genossenschaften sind also frei, wem sie eine Bleibe geben – und wem nicht. So steht es auch explizit in der Charta: «Die gemeinnützigen Wohnbauträger bieten Wohnraum für alle Bevölkerungskreise an. Dabei streben sie so weit möglich eine Durchmischung an.»

«Genossenschaften sind nur ihren Mietern verpflichtet»

Für Louis Schelbert (67), ehemaliger grüner Nationalrat und Präsident Wohnbaugenossenschaften Schweiz, ist es denn auch «kein Problem, dass nicht nur Ärmere von günstigen Genossenschaftswohnungen profitieren». Die allermeisten Genossenschaftswohnungen würden keine Subventionen erhalten. «Die Genossenschaften sind folglich nur ihren Mietern und sonst niemandem verpflichtet.»

Genossenschaftswohnungen seien keine von Städten oder Gemeinden subventionierten Wohnungen. Sondern selbsttragend, aber nicht gewinnorientiert. Und deshalb die beste Wohnform, so Schelbert.

Gegen zusätzliche Unterstützung

Bei jenen Wohnungen, die indirekt durch den Staat unterstützt werden – durch ein vergünstigtes Baurecht oder zinsgünstige Kredite –, würden sich Genossenschaften zu Gegenleistungen für die Allgemeinheit verpflichten, so Schelbert weiter. «Etwa mit vergünstigten Wohnungen für untere Einkommensklassen. Oder dem Auftrag, eine Kinderkrippe zu eröffnen.»

Selbst für GLP-Nationalrat Roland Fischer (54) vom Nein-Komitee der Mieter-Initiative ist es «kein Problem, dass in selbsttragenden Genossenschaften, die nicht mit staatlichen Geldern unterstützt werden, auch Gutverdienende wohnen».

Der Bundesrat rechnet bei einem Ja zur Initiative mit jährlichen zusätzlichen Ausgaben von 120 Millionen Franken. «Wenn die Förderung derart ausgebaut werden soll, müsste sichergestellt werden, dass nur jene stärker in den Genuss einer günstigen Wohnung kommen, die es wirklich nötig haben», findet er jedoch.

Die wichtigsten Fragen zur Miet-Initiative

Am 9. Februar 2020 stimmen wir über die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» ab. Gemäss Umfrage kommt sie im Volk gut an. Doch was will der Mieterverband genau? BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen.

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Alle Abstimmungen auf einen Blick

Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

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