Herr Rutz, Herr Jositsch, lassen Sie uns am besten einige konkrete Fälle durchgehen: Ein Secondo wird mit 16 beim Kiffen erwischt. Drei Jahre später ist er in eine Schlägerei verwickelt. Muss er das Land verlassen, wenn das Volk die Durchsetzungs-Initiative annimmt?
Gregor Rutz: Nein. Fürs Kiffen kriegt er einen Verweis. Dann wären die Kriterien einer Vorstrafe gemäss Initiative nicht erfüllt und er könnte in der Schweiz bleiben.
Daniel Jositsch: Einverstanden – auf Kiffen steht lediglich eine Busse. Daher würde er nach einer Schlägerei nicht ausgeschafft.
Zweiter Fall: Eine junge Ausländerin bricht mit Freunden in einen Kiosk ein und stiehlt Artikel im Wert von 400 Franken.
Jositsch: Ab einem Betrag von 400 Franken führt Diebstahl zur Wegweisung.
Rutz: Gemäss Deliktekatalog ist die Wegweisung zwingend, wenn gleichzeitig zum Diebstahl auch Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung begangen worden sind.
Jositsch: Wenn der Kiosk nicht offen gelassen wurde, ist das bereits erfüllt, sobald die Frau das Schloss aufbricht. Das ist ein Bagatellfall, den ein Richter prüfen müsste. Darum wollen wir an der Härtefallklausel festhalten.
Rutz: Nein, ein Einbruch ist eben keine Bagatelle! Leute, die in fremde Liegenschaften einbrechen, haben hier nichts verloren.
Jositsch: Darum werden sie ja auch bestraft. Aber die zusätzliche Massnahme der Ausweisung ist – verglichen mit dem Schaden – massiv. Da muss man prüfen: Hat der Täter zum Beispiel eine Familie, die auf einen Schlag ihren Ernährer verliert?
Eine Familie verliert wegen eines vergleichsweise gering-fügigen Delikts ihren Ernährer: Herr Rutz, das sind doch Konsequenzen, die Sie nicht beabsichtigen?
Rutz: Schon heute können auch Familienväter ausgeschafft werden, wenn sie die öffentliche Sicherheit gefährden. Das ist absolut gerechtfertigt. Einbrüche macht man nicht im Affekt, sondern willentlich. Und wenn einer heute in einen Kiosk einbricht, wer sagt denn, dass er morgen nicht in ein Einfamilienhaus einsteigt?
Wie ist es im Falle einer Genitalverstümmelung: Würden die Eltern eines betroffenen Mädchens des Landes verwiesen?
Jositsch: Dieser Tatbestand fehlt im Deliktekatalog der Initianten.
Rutz: Artikel 124 wurde erst im Sommer 2012 ins Strafgesetzbuch aufgenommen; früher war das eine schwere Körperverletzung. Man könnte das Delikt ergänzen.
Jositsch: Aber auch da muss man den Einzelfall prüfen. Sie weisen die Eltern aus – und damit auch das Mädchen! Ich glaube nicht, dass ihr damit ein Gefallen getan wird.
Herr Jositsch, bei schweren Fällen wie Mord oder Vergewaltigung sind aber auch Sie dafür, dass die Täter in jedem Fall ausgeschafft werden?
Jositsch: Noch mal: Härtefälle sind die Ausnahme. Ein Tötungsdelikt kann nie ein Härtefall sein.
Das Parlament sieht auch für schwere Fälle eine Härtefallprüfung vor!
Jositsch: Theoretisch ja. Das ist unschön. Das Parlament hätte die schweren Fälle klar von einer Fallprüfung ausnehmen sollen.
Dann sind also auch Sie für einen Automatismus!
Jositsch: Nein aber ein Mörder muss das Land in jedem Fall verlassen. Wenn wir sehen, dass auch nach der Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative Schwerverbrecher hier bleiben, bin ich der Erste, der für eine Verschärfung Hand bietet.
Das ist doch in Ihrem Sinn, Herr Rutz?
Rutz: Dann schaffen wir besser gleich klare Regeln. Das schreckt ab und sorgt für mehr Sicherheit.
Jositsch: Das glauben Sie doch selber nicht! Wir verschärfen seit Jahren die Gesetze, sicherer wird das Land deshalb nicht. Heute wissen Verbrecher, dass ihre Chancen gut stehen, weil sie gar nicht erwischt werden. Deshalb braucht es mehr Polizei und mehr Möglichkeiten bei der Strafverfolgung.
Rutz: Nein, es braucht beides. Mehr Polizei, aber auch die Gewissheit, dass ausgeschafft wird, wer die Regeln klar missachtet.
Was haben Sie gegen die Härtefall-Klausel Herr Rutz?
Rutz: Die heutige Praxis zeigt, dass die Ausweisung krimineller Ausländer in den Kantonen extrem unterschiedlich gehandhabt wird. Bleibt die Härtefallklausel bestehen, besteht dieser Wildwuchs weiter. Heute wird schweizweit nur jeder 50. kriminelle Ausländer ausgeschafft. Darum wollen wir den Landesverweis für bestimmte Delikte zwingend festschreiben.
Jositsch: Mein Vorschlag lautet: Lasst uns das Gesetz zur AusschaffungsInitiative in Kraft setzen. Das geht, wenn wir die Durchsetzungs-Ini-tiative ablehnen. Dann sehen wir, wie es in der Praxis funktioniert. Wird die Härtefallklausel anschliessend zu häufig angewendet, stehe ich bereit, das Gesetz zu konretisieren. Sagen wir aber Ja zur Durchsetzungs-Initiative, kann das Parlament keine Änderungen mehr vornehmen. Das Resultat ist eine strafrechtliche Selbstschussanlage, die niemand mehr kontrollieren kann.
Rutz: Das stimmt nicht, die Spielregeln sind klar. Eine zwingende Ausweisung würde auch präventiv wirken. Droht die Ausschaffung, überlegt sich jeder zweimal, ob er einbrechen will oder nicht.
Sorgen härtere Strafen tatsächlich für mehr Sicherheit?
Rutz: Landesverweisung und Einreisesperre sind keine Strafen, sondern Massnahmen, welche als Folge einer Verurteilung angeordnet werden. Ausländische Straftäter müssen ihr Gastrecht verlieren –dies schreckt andere potenzielle Täter ab.
Prävention also. Das klingt doch gut, Herr Jositsch!
Jositsch: Es ist erwiesen, dass damit keine präventive Wirkung erzielt wird. Die Dunkelziffer bei Vergehen wie Diebstahl ist extrem hoch. Strafen und Massnahmen schrecken selten ab, weil die Täter sich sagen: «Ich werde sowieso nicht erwischt.»
Herr Jositsch, die SVP trommelt seit Jahren gegen Ausländer. Was nützt da ein Nein? Die Rechte wird weiter Stimmung machen.
Jositsch: Sie haben recht. Parteipolitisch wird sich auch bei einem Nein nichts ändern. Im Gegenteil: Die SVP würde sich dann als Opfer zelebrieren und uns für alle Fehler in der Ausländerpolitik verantwortlich machen.
Rutz: So einfach ist es dann doch nicht. Uns wirft man immer «Schlagworte» vor. Jetzt präsentieren wir eine konkrete Lösung für mehr Sicherheit – und es ist auch wieder nicht recht! l