Was als Befreiungsschlag gedacht war, ging weitgehend ins Leere: Am Sonntag vor einer Woche verkündete SP-Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60) neue landesweite Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Dazu gehörten eine Maskenpflicht in öffentlichen Gebäuden sowie bei Treffen von mehr als 15 Personen und eine «dringliche Empfehlung» fürs Homeoffice.
In den Tagen darauf jedoch stieg die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus derart dramatisch an, dass die erste bundesrätliche Offensive sofort überholt wirkte. Oder, wie es Sommarugas Parteifreund, Gesundheitsminister Alain Berset (48), am Mittwoch formulierte: «Vor drei Wochen hatte die Schweiz eine der besten Situationen in Europa, jetzt haben wir eine der schlechtesten.» Am Freitag meldete das Bundesamt für Gesundheit 6600 neue Corona-Fälle.
Statt nun aber das Heft ganz in die Hand zu nehmen und vorwärtszumachen, legte Berset seinen Bundesratskollegen am Mittwoch lediglich eine sogenannte Infonotiz vor, keine konkreten Vorschläge.
Auf dieser Basis konnte der Bundesrat formell keine Entscheide fällen. Zugleich drängte der Magistrat die Kantone dazu, in Eigenregie «starke oder sehr starke» Massnahmen à la Wallis zu ergreifen. So berichten es mehrere Quellen.
Einige Kantone sind dieser Anweisung inzwischen gefolgt. Bern beispielsweise griff zu einschneidenden Massnahmen: Am Freitagabend verfügte die Regierung das Verbot von Grossveranstaltungen. Bars, Kinos, Museen, Schwimmbäder und andere Einrichtungen müssen schliessen. In den Beizen heisst es ab 23 Uhr Lichterlöschen.
Klare Kommunikation wäre notwendig gewesen
Nicht wenige Gesundheitsdirektoren wünschten sich gleichwohl vom Bundesrat eine klare Ansage. Ihrer Meinung nach hätte es angesichts der drastisch steigenden Fallzahlen eine klare Kommunikation der Landesregierung gebraucht – und vor allem: schweizweite Massnahmen. Unverhohlene Kritik kam von der Taskforce des Bundes. Um Druck zu machen, veröffentlichten die Wissenschaftler am Freitag ein Papier mit zehn konkreten Forderungen. Diesen Katalog hatten sie zuvor schon der Landesregierung präsentiert. Nun dient er auch als Vorlage eines Massnahmenpakets, das der Bundesrat bei den Kantonen in die Konsultation geschickt hat.
Ob und in welcher Form die Massnahmen umgesetzt werden, will die Landesregierung auf Antrag von Alain Berset aber erst am Mittwoch beschliessen – man lässt sich also Zeit.
Für dieses zögerliche Vorgehen nennt Alain Berset offiziell die Begründung, man wolle zunächst beobachten, wie sich die neuen Regeln vom letzten Sonntag auf die Zahlen auswirken. Es gibt allerdings auch ein weiteres Motiv, über das im Bundeshaus nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird: die Angst vor Kritik an einer «Corona-Diktatur». Im Frühjahr wurde der Bundesrat von Kantonen und Parlamentariern dafür gescholten, zu lange auf Notrecht zu setzen. Diesen Vorwurf will sich Berset kein zweites Mal machen lassen. Deshalb ist der Übergang zu Notrecht für ihn derzeit kein Thema.
Uneinigkeit im Bundesrat
Und dann gibt es noch ein entscheidendes Problem: Innerhalb des Bundesrats gehen die Meinungen, wie mit der Corona-Krise umzugehen sei, diametral auseinander. Die einzelnen Regierungsmitglieder trennen nicht nur 1,5 Meter Sicherheitsabstand, sondern Welten. Die beiden Pole markieren Viola Amherd (58, CVP) und Ueli Maurer (69, SVP). Der Finanzminister warnte in der vergangenen Wochen davor, in «Hysterie» zu verfallen, er möchte am liebsten gar nichts unternehmen. Demgegenüber plädierte die Verteidigungsministerin am Mittwoch, wie bundesratsnahe Quellen berichten, für eine «Ausgangssperre». Die wirtschaftsnahe Justizministerin Karin Keller-Sutter (56, FDP) gilt ähnlich Maurer eher als Bremserin, während sich Wirtschaftsminister Guy Parmelin (60, SVP) lieber auf technische Details versteift.
Derweil ist auch das Verhältnis der beiden Sozialdemokraten im Bundesrat keineswegs spannungsfrei. Zogen Alain Berset und Simonetta Sommaruga während der ersten Welle noch am gleichen Strang, kam es in den letzten 14 Tagen zu Meinungsverschiedenheiten. Während Berset das gegenwärtige Tempo halten möchte, hätte die Bundespräsidentin gern rascher gehandelt und weitergehende Massnahmen ergriffen.
Der Ball liegt bei den Kantonen
So liegt der Ball im Augenblick also bei den Kantonen. Ihnen hat der Bundesrat eine Konsultationsfrist von 48 Stunden eingeräumt, um zu den weiteren Massnahmen Stellung zu nehmen. Heute Sonntag dürften die kantonalen Diskussionen ebenfalls weit auseinandergehen – zwischen Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektoren klaffen vielerorts tiefe Gräben.
Morgen Montag rechnet Bundesbern mit den Antworten, dann dürfte der Meinungsbildungsprozess in der Landesregierung seinen Lauf nehmen – ein Prozess, der mindestens bis Mittwoch andauern wird.
Während im Land das Virus grassiert ...
Die Corona-Zahlen explodieren, und die Schweiz steht erneut vor einem nationalen Teil-Shutdown. Bis am Mittwoch entscheidet der Bundesrat, ob er die Massnahmen zur Eindämmung des Virus noch einmal verschärft – schweizweit!
Noch ist das Land ein Flickenteppich. Kantone in der Romandie, Bern und die beiden Basel haben das gesellschaftliche Leben bereits drastisch eingeschränkt, Grossveranstaltungen verboten, Sperrstunden eingeführt, Museen, Kinos und Schwimmbäder geschlossen.
Ganz anders die Ost- und Zentralschweiz, insbesondere Zürich: Die Regierung des bevölkerungsreichsten Kantons des Landes wartet weiter ab, trotz bis zu 900 neuer Corona-Fälle pro Tag. Konzerte und Sportanlässe bleiben auch mit mehr als 1000 Zuschauern erlaubt. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) sagte am Freitag, man müsse auch mal Ruhe bewahren, statt der Hektik zu verfallen, «die zunehmend von Bundesbern ausgeht».
Hinter den Kulissen macht der Bundesrat Druck. Um überfüllte Intensivstationen und einen kompletten Lockdown zu verhindern, schlägt er den Kantonen in einem Konsultationsverfahren ein weitgehendes Massnahmenpaket vor: Maskenpflicht im Freien, eine landesweite Sperrstunde ab 22 Uhr und eine Obergrenze von 50 Personen bei Veranstaltungen – ausser an Demos, Parlamentssitzungen und Gemeindeversammlungen.
Die Kantone haben bis morgen Montag Zeit, Stellung zu nehmen. Am Mittwoch will die Regierung ihren Entscheid verkünden. Auch wenn einzelne Sportveranstalter und Betreiber von Freizeiteinrichtungen bereits Sturm laufen, angesichts der drohenden Engpässe in den Spitälern dürften die meisten der vom Bundesrat vorgeschlagenen Einschränkungen unausweichlich sein.
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (SP) redete gestern denn auch Klartext: «Der Bundesrat wird weitere Massnahmen beschliessen müssen.»
Heisst konkret: Noch vor Ende Woche dürfte die Schweiz zurück in einem Teil-Shutdown sein. Geisterspiele in sämtlichen Sportstadien, geschlossene Diskotheken, Fernunterricht an Schulen ab Sekundarstufe. Oder wie es Lukas Engelberger, Basler Regierungsrat und Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren, ausdrückte: Ein «Slow-Down».
Politische Gegenwehr dürfte es wohl einzig gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene Maskenpflicht im Freien geben. «Jede Person muss im öffentlichen Raum von Siedlungsgebieten eine Gesichtsmaske tragen», heisst es im Entwurf, den der BLICK am Freitagabend publik machte. So weit ging nicht einmal die Corona-Taskforce des Bundes in ihren Empfehlungen vom Freitag.
Die Corona-Zahlen explodieren, und die Schweiz steht erneut vor einem nationalen Teil-Shutdown. Bis am Mittwoch entscheidet der Bundesrat, ob er die Massnahmen zur Eindämmung des Virus noch einmal verschärft – schweizweit!
Noch ist das Land ein Flickenteppich. Kantone in der Romandie, Bern und die beiden Basel haben das gesellschaftliche Leben bereits drastisch eingeschränkt, Grossveranstaltungen verboten, Sperrstunden eingeführt, Museen, Kinos und Schwimmbäder geschlossen.
Ganz anders die Ost- und Zentralschweiz, insbesondere Zürich: Die Regierung des bevölkerungsreichsten Kantons des Landes wartet weiter ab, trotz bis zu 900 neuer Corona-Fälle pro Tag. Konzerte und Sportanlässe bleiben auch mit mehr als 1000 Zuschauern erlaubt. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) sagte am Freitag, man müsse auch mal Ruhe bewahren, statt der Hektik zu verfallen, «die zunehmend von Bundesbern ausgeht».
Hinter den Kulissen macht der Bundesrat Druck. Um überfüllte Intensivstationen und einen kompletten Lockdown zu verhindern, schlägt er den Kantonen in einem Konsultationsverfahren ein weitgehendes Massnahmenpaket vor: Maskenpflicht im Freien, eine landesweite Sperrstunde ab 22 Uhr und eine Obergrenze von 50 Personen bei Veranstaltungen – ausser an Demos, Parlamentssitzungen und Gemeindeversammlungen.
Die Kantone haben bis morgen Montag Zeit, Stellung zu nehmen. Am Mittwoch will die Regierung ihren Entscheid verkünden. Auch wenn einzelne Sportveranstalter und Betreiber von Freizeiteinrichtungen bereits Sturm laufen, angesichts der drohenden Engpässe in den Spitälern dürften die meisten der vom Bundesrat vorgeschlagenen Einschränkungen unausweichlich sein.
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (SP) redete gestern denn auch Klartext: «Der Bundesrat wird weitere Massnahmen beschliessen müssen.»
Heisst konkret: Noch vor Ende Woche dürfte die Schweiz zurück in einem Teil-Shutdown sein. Geisterspiele in sämtlichen Sportstadien, geschlossene Diskotheken, Fernunterricht an Schulen ab Sekundarstufe. Oder wie es Lukas Engelberger, Basler Regierungsrat und Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren, ausdrückte: Ein «Slow-Down».
Politische Gegenwehr dürfte es wohl einzig gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene Maskenpflicht im Freien geben. «Jede Person muss im öffentlichen Raum von Siedlungsgebieten eine Gesichtsmaske tragen», heisst es im Entwurf, den der BLICK am Freitagabend publik machte. So weit ging nicht einmal die Corona-Taskforce des Bundes in ihren Empfehlungen vom Freitag.