Am 25. November stimmt die Schweiz über den Gesetzesartikel zur Überwachung von Sozialversicherten ab. Damit sollen Sozialversicherungen wie die IV, Suva und Arbeitslosenversicherung Detektive einsetzen dürfen, um Missbräuche aufzudecken.
Wie der Artikel zu interpretieren ist, darüber wird seit Monaten gestritten. Die Fetzen fliegen aber so richtig, seit das Referendumskomitee angekündigt hat, nächste Woche vor Bundesgericht gegen die bundesrätliche Auslegung im Abstimmungsbüchlein Beschwerde einzureichen.
Die Lausanner Richter wollen «sich bemühen, so rasch wie möglich zu entscheiden», wie ihr Sprecher Peter Josi sagt. Würde die Beschwerde aber gutgeheissen, müsste die Abstimmung abgesagt werden. Was Wasser auf die Mühlen der Gegner wäre, die sich derzeit ohnehin über wachsenden Zuspruch freuen können. So präsentierte sich gestern in Bern auch ein liberales Gegenkomitee, das die «sehr schludrige» Formulierung des Gesetzes kritisiert.
Versicherungen sorgten für Zeitdruck – und Einigkeit
Und tatsächlich: Der heikle «Observationsartikel» rutschte für Schweizer Verhältnisse etwas gar schnell durch die parlamentarische Beratung. National- und Ständerat beugten sich nur je zwei Mal über den Gesetzestext, bevor er in die Schlussabstimmung kam. SP-Nationalrätin Silvia Schenker (BS, 64) ist immer noch erstaunt: «Obwohl sich die beiden Kammern anfänglich überhaupt nicht einig waren, gab es nur eine einzige Differenzbereinigungsrunde.» Dies habe mit Sicherheit mit dem massiven Lobbying der Suva zu tun gehabt.
Es war der 15. März, als Nägel mit Köpfen gemacht wurden: Nachdem sich der Ständerat am Morgen mit dem Gesetz befasst hatte, trat bereits in der Mittagspause die Kommission des Nationalrats zusammen, um die Änderungen aus dem Stöckli anzuschauen. «Dann gings direkt in den Nationalratssaal, wo der Sack ruckzuck zugemacht wurde», erinnert sich Schenker.
Für Fragen blieb fast keine Zeit
Ruckzuck ist nicht übertrieben: Als Schenker im Rat eine Frage stellen wollte, erhielt sie sogar einen Rüffel von Nationalratspräsident Dominique de Buman (CVP, 62). Worauf sie gemäss Protokoll entgegnete: «Wir haben die Differenzbereinigung unter sehr schwierigen Bedingungen durchgeführt. Das zeigt sich jetzt halt auch hier.» Und es rächt sich vielleicht bald noch mehr.
1. Womit dürften die Sozialversicherungsspione schnüffeln?
Im Gesetz heisst es nur: «Der Versicherungsträger kann eine versicherte Person verdeckt observieren und dabei Bild- und Tonaufzeichnungen machen und technische Instrumente zur Standortbestimmung einsetzen.»
Der Bundesrat sagt, dass die Spione nur mit einfachen Geräten arbeiten dürfen, die nicht mehr erfassen als das blosse Auge und Ohr. Normale Kameras also. Nachtsichtgeräte, Wanzen oder Drohnen dürften nicht zur Observation eingesetzt werden. Die Regierung beruft sich dabei auf die Parlamentsberatungen, in denen das eindeutig so gesagt worden sei. Wenn ein Richter es erlaubt, dürften zudem GPS-Peilsender zur Standortbestimmung eingesetzt werden, Drohnen jedoch auch hier nicht.
In den Augen der Gegner sind die Bild- und Ton-Techniken kaum eingeschränkt. Geht es um die Drohnen, verweisen auch sie auf die Parlamentsdebatte. Diese seien dort als technische Mittel zur Standortbestimmung ausdrücklich genannt worden; Richter könnten sie zulassen. Ihres Erachtens dürfen Drohnen deshalb neu eingesetzt werden.
2. Dürfen die Privatdetektive die Versicherten in privaten Räumen ausspionieren?
Im Gesetzestext heisst es: «Die versicherte Person darf nur observiert werden, wenn sie sich: a) an einem allgemein zugänglichen Ort; oder b) an einem Ort befindet, der von einem allgemein zugänglichen Ort frei einsehbar ist.»
Der Bundesrat versteht diesen Absatz so, dass eine Beobachtung auf einem Balkon oder einem frei einsichtbaren Garten, der nicht durch Hecken oder Bauten abgeschirmt ist, rechtens wäre. Den ganzen geschlossenen, sichtgeschützten «Innenbereich des Hauses» sieht er jedoch als Tabuzone für Versicherungsspione. Der Bundesrat beruft sich auf das Bundesgericht, das dies so aufgrund früherer Observationen definiert habe.
Laut den Gegnern erlaubt der Gesetzestext jedoch auch, durchs Fenster in Innenräume zu filmen und zu fotografieren. Sie bestreiten den Aussagewert der bisherigen Bundesgerichtsurteile zum Thema – denn diese seien auf einer anderen gesetzlichen Basis gefällt worden. Künftig müssten die Richter den neuen Gesetzesartikel einbeziehen und könnten zu einem anderen Schluss kommen.
3. Dürfen die Versicherungsspione mehr als die Polizei?
Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Privatdetektive nicht mehr Rechte als die Strafrechtsbehörden erhalten. Nur Polizei, Staatsanwaltschaft und Nachrichtendienste dürften im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus im privaten Raum Telefone abhören, filmen, Computer überwachen oder Nachtsichtgeräte oder Drohnen einsetzen. Auch dafür seien bestimmte Voraussetzungen und richterliche Genehmigungen nötig. Den Versicherungsschnüfflern wären diese Mittel in keinem Fall erlaubt; ebenso wenig dürften sie im Innern eines Hauses observieren.
Die Gegner argumentieren, dass die Polizei ohne richterliche Genehmigung nur im öffentlichen Raum observieren darf, die Versicherungsschnüffler jedoch auch einsehbare private Räume fotografieren, filmen und Gespräche aufzeichnen dürften. Auch der Einsatz von GPS-Sendern sei für die Sozialversicherungen schneller möglich als für die Polizei: Die Strafprozessordnung lasse Tracker nur bei schweren Delikten zu.
4. Weshalb gehen die Sozialversicherungen nicht den normalen Weg über die Strafverfolgungsbehörden?
Der Bundesrat betont, dass die Sozialversicherungen verpflichtet seien, Rentenmissbräuche aufzudecken. Sie würden aber keine Straftatbestände abklären, dies sei Aufgabe der Polizei. Die Klärung von Ansprüchen von Versicherungsleistungen gehöre wiederum nicht zu den Aufgaben der Polizei.
Die Gegner verweisen die Sozialversicherungen auf den normalen Weg über die Strafverfolgungsbehörden. Es könne nicht sein, dass sie unkontrolliert die Rolle der Polizei und des Richters einnehmen. (awi)
1. Womit dürften die Sozialversicherungsspione schnüffeln?
Im Gesetz heisst es nur: «Der Versicherungsträger kann eine versicherte Person verdeckt observieren und dabei Bild- und Tonaufzeichnungen machen und technische Instrumente zur Standortbestimmung einsetzen.»
Der Bundesrat sagt, dass die Spione nur mit einfachen Geräten arbeiten dürfen, die nicht mehr erfassen als das blosse Auge und Ohr. Normale Kameras also. Nachtsichtgeräte, Wanzen oder Drohnen dürften nicht zur Observation eingesetzt werden. Die Regierung beruft sich dabei auf die Parlamentsberatungen, in denen das eindeutig so gesagt worden sei. Wenn ein Richter es erlaubt, dürften zudem GPS-Peilsender zur Standortbestimmung eingesetzt werden, Drohnen jedoch auch hier nicht.
In den Augen der Gegner sind die Bild- und Ton-Techniken kaum eingeschränkt. Geht es um die Drohnen, verweisen auch sie auf die Parlamentsdebatte. Diese seien dort als technische Mittel zur Standortbestimmung ausdrücklich genannt worden; Richter könnten sie zulassen. Ihres Erachtens dürfen Drohnen deshalb neu eingesetzt werden.
2. Dürfen die Privatdetektive die Versicherten in privaten Räumen ausspionieren?
Im Gesetzestext heisst es: «Die versicherte Person darf nur observiert werden, wenn sie sich: a) an einem allgemein zugänglichen Ort; oder b) an einem Ort befindet, der von einem allgemein zugänglichen Ort frei einsehbar ist.»
Der Bundesrat versteht diesen Absatz so, dass eine Beobachtung auf einem Balkon oder einem frei einsichtbaren Garten, der nicht durch Hecken oder Bauten abgeschirmt ist, rechtens wäre. Den ganzen geschlossenen, sichtgeschützten «Innenbereich des Hauses» sieht er jedoch als Tabuzone für Versicherungsspione. Der Bundesrat beruft sich auf das Bundesgericht, das dies so aufgrund früherer Observationen definiert habe.
Laut den Gegnern erlaubt der Gesetzestext jedoch auch, durchs Fenster in Innenräume zu filmen und zu fotografieren. Sie bestreiten den Aussagewert der bisherigen Bundesgerichtsurteile zum Thema – denn diese seien auf einer anderen gesetzlichen Basis gefällt worden. Künftig müssten die Richter den neuen Gesetzesartikel einbeziehen und könnten zu einem anderen Schluss kommen.
3. Dürfen die Versicherungsspione mehr als die Polizei?
Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Privatdetektive nicht mehr Rechte als die Strafrechtsbehörden erhalten. Nur Polizei, Staatsanwaltschaft und Nachrichtendienste dürften im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus im privaten Raum Telefone abhören, filmen, Computer überwachen oder Nachtsichtgeräte oder Drohnen einsetzen. Auch dafür seien bestimmte Voraussetzungen und richterliche Genehmigungen nötig. Den Versicherungsschnüfflern wären diese Mittel in keinem Fall erlaubt; ebenso wenig dürften sie im Innern eines Hauses observieren.
Die Gegner argumentieren, dass die Polizei ohne richterliche Genehmigung nur im öffentlichen Raum observieren darf, die Versicherungsschnüffler jedoch auch einsehbare private Räume fotografieren, filmen und Gespräche aufzeichnen dürften. Auch der Einsatz von GPS-Sendern sei für die Sozialversicherungen schneller möglich als für die Polizei: Die Strafprozessordnung lasse Tracker nur bei schweren Delikten zu.
4. Weshalb gehen die Sozialversicherungen nicht den normalen Weg über die Strafverfolgungsbehörden?
Der Bundesrat betont, dass die Sozialversicherungen verpflichtet seien, Rentenmissbräuche aufzudecken. Sie würden aber keine Straftatbestände abklären, dies sei Aufgabe der Polizei. Die Klärung von Ansprüchen von Versicherungsleistungen gehöre wiederum nicht zu den Aufgaben der Polizei.
Die Gegner verweisen die Sozialversicherungen auf den normalen Weg über die Strafverfolgungsbehörden. Es könne nicht sein, dass sie unkontrolliert die Rolle der Polizei und des Richters einnehmen. (awi)
Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.
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