CVP reicht wegen Heiratstrafe-Abstimmung Beschwerde in mehreren Kantonen ein
«Die falschen Zahlen sind ein Geschenk des Himmels»

Der Ärger bei der CVP über die falschen Zahlen zur Heiratsstrafe war riesig. Jetzt aber macht sich Zuversicht breit, dass die Partei davon nur profitieren kann.
Publiziert: 18.06.2018 um 17:21 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 01:55 Uhr
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Die CVP um Parteichef Gerhard Pfister hat gestern in mehreren Kantonen Abstimmungsbeschwerde wegen «skandalöser Fehlinformation» eingereicht.
Foto: Keystone
Andrea Willimann

Die CVP will eine zweite Chance für ihren Plan, die Heiratsstrafe abzuschaffen. Sie fühlt sich bei ihrer Volksinitiative von 2016 betrogen wegen «skandalöser Fehlinformationen», weil der Bund sich verrechnet hat. Wie am Freitag bekannt wurde, sind in der Schweiz nicht 80'000, sondern 454’000 Paare steuerlich benachteiligt – nur weil sie verheiratet sind (BLICK berichtete). Sie müssen über 10 Prozent mehr direkte Bundessteuern bezahlen.

Die CVP-Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» war am 28. Februar 2016 mit 50,8 Prozent Nein ganz knapp gescheitert. Die Partei ist überzeugt: Hätte die Bevölkerung gewusst, dass in Wahrheit so viele von der Heiratsstrafe betroffen sind, wäre die Initiative erfolgreich gewesen.

Das Ständemehr hatte das Volksbegehren klar erreicht. In acht Kantonen aber war das Resultat negativ, darunter in den bevölkerungsreichsten Kantonen Zürich, Bern und Waadt. In mehreren Kantonen reicht die CVP nun eine Abstimmungsbeschwerde ein. Und verlangt vom Bundesgericht damit eine Wiederholung des Volksentscheids.

Win-Win für die CVP

Davon verspricht sich die CVP nun gleich doppelt Vorteile. Gibt das Bundesgericht grünes Licht, könnte eine zweite Abstimmung das bisherige Nein ins Ja kippen. «Dies käme dem Mittelstand zugute, dessen Partei wir sind und bleiben wollen, sagt CVP-Nationalrat Martin Candinas (37). Denn gemäss neuer Statistik würden von einer Abschaffung der Heiratsstrafe nicht nur ein paar Reiche profitieren, wie es 2016 oft hiess, sondern 46 Prozent der Doppelverdiener-Ehepaare aus der Mittelschicht.

Laut CVP-Nationalrat Martin Candinas (Graubünden) hat seine Partei eine erneute Volksabstimmung über die Heiratsstrafe nicht extra für ihr Wahljahr gesucht. «Doch wir wollen eine Lösung für den Mittelstand – und die Beschwerde wird uns dabei helfen.»
Foto: EQ Images

Doch auch der zweite Fall – dass die Richter den Bund rügen, aber eine zweite Abstimmung verweigern – wäre für die CVP ein Erfolg. «Die Beschwerde gibt zusätzlichen Druck im Parlament», so Candinas. Die Räte werden bald die Vorschläge des Bundesrats diskutieren, der die Benachteiligung von Verheirateten bei den Steuern und den AHV-Renten ebenfalls beseitigen will. «Die neuen Zahlen sind ein Geschenk des Himmels», bilanziert Candinas.

Kein zweiter Eier-Tanz um den Ehe-Begriff

Die CVP könnte dann im Wahljahr 2019 zwar keine Abstimmung einer eigenen Initiative bewirtschaften. Es bliebe ihr aber auch erspart, wie schon 2016 ihren konservativen Ehe-Begriff erklären zu müssen. Und zwar einem Volk, das bereits über die «Ehe für alle» diskutiert.

Diesen Aspekt der Abstimmungsdebatte nannten CVP-Politiker noch vor wenigen Monaten als wahren Grund für das Scheitern der Vorlage 2016. So sagte die CVP-Sozialpolitikerin Ruth Humbel (60) am 7. März 2018 im Nationalrat: «Die Analysen der Abstimmung zeigten, dass die Initiative nicht am eigentlichen Inhalt scheiterte, sondern an der Ehedefinition.» Dazu steht die Aargauerin auch heute: «Die Kritik war wesentlich und sie würde in der Zwischenzeit noch mehr die Geister scheiden.»

Ruth Humbel, CVP-Nationalrätin aus dem Aargau, sagte im März 2018 im Nationalrat: «Die Analysen der Abstimmung zeigten, dass die Initiative nicht am eigentlichen Inhalt scheiterte, sondern an der Ehedefinition.»
Foto: PETER KLAUNZER

Der Vorteil der CVP, den die SP nicht hatte

Der peinliche Zahlen-Skandal der Steuerverwaltung könnte für die CVP unter dem Strich also zu einem Gewinn werden. Anders war es der SP 2011 ergangen, die damals in den bevölkerungsreichen Kantonen Bern und Zürich die Wiederholung der Abstimmung über Unternehmenssteuerreform II (USR II) von 2008 verlangte.

Die SP beanstandete, dass  die  Bundesbehörden die Stimmberechtigten nicht korrekt über die zu erwartenden Steuerausfälle informiert haben. Diese erwiesen sich nach drei Jahren erheblich grösser als prognostiziert. Das Bundesgericht wollte jedoch nichts von einer Wiederholung der Abstimmung wissen. Es gewichtete die «Rechtssicherheit und die Verlässlichkeit» für die von der Steuerreform betroffenen Unternehmen höher ein als die falschen Prognosen.

Das ist bei der CVP anders: Hätte ihre Volksinitiative bei einer zweiten Abstimmung Erfolg, müsste nicht wie bei der USR II eine bereits umgesetzte Gesetzesänderung rückgängig gemacht werden.

Das ist die Heiratsstrafe

Die Heiratsstrafe betrifft die direkte Bundessteuer. Heute müssen Ehepaare, bei denen beide Partner berufstätig sind und das Haushaltseinkommen höher ist, mehr direkte Bundessteuer zahlen als gleich gut verdienende Konkubinatspaare. Wenn diese Benachteiligung mehr als zehn Prozent beträgt, spricht man von der Heiratsstrafe. Der maximale Grad der Diskriminierung beträgt 84 Prozent. Er betrifft jene Ehen, bei denen jeder Ehepartner 75'000 bis 125'000 Franken Jahreseinkommen erzielt.

Auch wenn die CVP-Initiative abgelehnt wurde – und das Bundesgericht die Abstimmung für ungültig erklärt hat: Der Bundesrat will diese steuerliche Diskriminierung abschaffen. Er schlägt vor, dass er künftig zwei Steuerrechnungen erstellt: zuerst die gemeinsame Veranlagung als Verheiratete und dann die alternative Steuerbelastung als Konkubinatspaar. Bezahlen müssten die Ehepaare dann den tieferen Beitrag. Der Bundesrat schätzt, dass ihn das jährlich rund 1,15 Milliarden Franken kosten wird. Die Vorlage kommt in der Herbstsession 2019 in den Ständerat. (sf)

Die Heiratsstrafe betrifft die direkte Bundessteuer. Heute müssen Ehepaare, bei denen beide Partner berufstätig sind und das Haushaltseinkommen höher ist, mehr direkte Bundessteuer zahlen als gleich gut verdienende Konkubinatspaare. Wenn diese Benachteiligung mehr als zehn Prozent beträgt, spricht man von der Heiratsstrafe. Der maximale Grad der Diskriminierung beträgt 84 Prozent. Er betrifft jene Ehen, bei denen jeder Ehepartner 75'000 bis 125'000 Franken Jahreseinkommen erzielt.

Auch wenn die CVP-Initiative abgelehnt wurde – und das Bundesgericht die Abstimmung für ungültig erklärt hat: Der Bundesrat will diese steuerliche Diskriminierung abschaffen. Er schlägt vor, dass er künftig zwei Steuerrechnungen erstellt: zuerst die gemeinsame Veranlagung als Verheiratete und dann die alternative Steuerbelastung als Konkubinatspaar. Bezahlen müssten die Ehepaare dann den tieferen Beitrag. Der Bundesrat schätzt, dass ihn das jährlich rund 1,15 Milliarden Franken kosten wird. Die Vorlage kommt in der Herbstsession 2019 in den Ständerat. (sf)

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