Crash mit EU im letzten Moment verhindert!
Schweiz gewinnt beim Rahmenabkommen Zeit

Der Bundesrat kann dem Rahmenvertrag mit der EU nicht zustimmen, er kann Brüssel aber auch nicht die Türe vor der Nase zuschlagen. Der Plan Cassis soll als Mittelweg für eine Schonfrist für die Schweiz sorgen.
Publiziert: 07.12.2018 um 02:38 Uhr
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Aktualisiert: 18.04.2021 um 19:40 Uhr
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Aussenminister Ignazio Cassis will auf die innenpolitische Auseinandersetzung mit dem Rahmenvertrag einsteigen.
Foto: Keystone
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Pascal TischhauserStv. Politikchef

Heute diskutiert der Bundesrat nicht nur über das Rahmenabkommen mit der EU, er entscheidet auch darüber. Wahrscheinlichstes Szenario: Plan C wie Cassis. Aussenminister Ignazio Cassis (57) hat die Reset-Taste offenbar doch noch gefunden. Er will das Verhandlungsergebnis in eine moderierte Konsultation bei den Aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat schicken und allenfalls auch in die Kantone.

Moderiert deshalb, weil der Text sehr technisch und schwer verständlich ist. «Es ist mehr ein Tagebuch der Verhandlungen als ein fixfertiges Vertragswerk», sagt eine involvierte Person, die den französischen Text gesehen hat. Übersetzungen in die weiteren Landessprachen sollen auf die Kommissionssitzungen im neuen Jahr hin folgen.

Abschluss nicht vor 2020

Bis April soll sich nicht nur weisen, wo die Abweichungen zum Verhandlungsmandat sind und wo dieses angepasst werden müsste, sondern auch, ob die Bereitschaft dazu besteht. Weil im Herbst 2019 die Parlamentswahlen stattfinden, wird die innenpolitische Debatte übers Abkommen dann für einige Monate ruhen. Mit einem tatsächlichen Abschluss des Vertrags – falls es jemals dazu kommt – ist also nicht vor 2020 zu rechnen.

Wie es aber aus Verhandlungskreisen heisst, signalisiert Brüssel Zustimmung zu einem solchen Vorgehen. Mit der Eröffnung des Konsultationsverfahrens startet die Schweiz ihren normalen politischen Prozess, was die EU als ein Einsteigen auf den Vertrag werte, heisst es bei Freisinnigen. Daher werde Brüssel der Schweiz die Gleichwertigkeit der Börsenregeln mit jenen der Europäischen Union für zwei weitere Jahre zugestehen. Zuvor hatte die EU verlauten lassen, man sehe keine substanziellen Fortschritte und könne die Börsenäquivalenz nicht mehr gewähren. Mit dem Plan C soll es die Äquivalenz doch geben.

Darum geht es beim Rahmenabkommen

Das Dossier liegt seit Jahren auf dem Tisch – und ist mittlerweile ein tonnenschwerer Papierstapel. Für alle, die die Übersicht verloren haben, macht BLICK die Auslegeordnung im EU-Poker:

Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen und neue Abkommen schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Er hat zugestimmt, ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Das – geheime – Mandat wurde im Mai 2014 verabschiedet.

Doch es war Brüssel, das ein Rahmenabkommen verlangt hat. Es hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen mit übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Doch dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Lösung geeinigt, mit der die EU leben kann, und von der der Bundesrat überzeugt ist, die Schweizer Stimmbürger überzeugen zu können.

Der Bundesrat hat rote Linien für die Verhandlungen definiert. Das sind sie:

  • Die Schweiz wird die EU-Bürgerschaftsrichtlinie nicht übernehmen. Diese würde EU-Bürgern ein Niederlassungsrecht in der Schweiz und damit uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe geben.
  • Auch über die flankierenden Massnahmen – den Schutz der hohen Schweizer Löhne – verhandelt die Schweiz nicht. Das hatte der Bundesrat im Sommer nochmals bestätigt, nachdem Aussenminister Ignazio Cassis (57) mit der Idee, sie doch als Verhandlungsmasse einzubringen, vorgeprescht war.

Das Rahmenabkomen ist wichtig, weil es ohne dieses keine neuen Verträge gibt, die Schweizer Unternehmen Zugang zum EU-Markt geben. Darauf drängt vor allem der Finanzplatz. Bis heute müssen unsere Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter eine Filiale in der EU haben, wenn sie mit dortigen Kunden geschäften wollen. Diese Hürde würde wegfallen.

Seit 2013 nimmt die Nettozuwanderung von Personen aus den EU/Efta-Staaten fortlaufend ab. (Symbolbild)
Seit 2013 nimmt die Nettozuwanderung von Personen aus den EU/Efta-Staaten fortlaufend ab. (Symbolbild)
KEYSTONE/GAETAN BALLY

Das Dossier liegt seit Jahren auf dem Tisch – und ist mittlerweile ein tonnenschwerer Papierstapel. Für alle, die die Übersicht verloren haben, macht BLICK die Auslegeordnung im EU-Poker:

Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen und neue Abkommen schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Er hat zugestimmt, ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Das – geheime – Mandat wurde im Mai 2014 verabschiedet.

Doch es war Brüssel, das ein Rahmenabkommen verlangt hat. Es hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen mit übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Doch dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Lösung geeinigt, mit der die EU leben kann, und von der der Bundesrat überzeugt ist, die Schweizer Stimmbürger überzeugen zu können.

Der Bundesrat hat rote Linien für die Verhandlungen definiert. Das sind sie:

  • Die Schweiz wird die EU-Bürgerschaftsrichtlinie nicht übernehmen. Diese würde EU-Bürgern ein Niederlassungsrecht in der Schweiz und damit uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe geben.
  • Auch über die flankierenden Massnahmen – den Schutz der hohen Schweizer Löhne – verhandelt die Schweiz nicht. Das hatte der Bundesrat im Sommer nochmals bestätigt, nachdem Aussenminister Ignazio Cassis (57) mit der Idee, sie doch als Verhandlungsmasse einzubringen, vorgeprescht war.

Das Rahmenabkomen ist wichtig, weil es ohne dieses keine neuen Verträge gibt, die Schweizer Unternehmen Zugang zum EU-Markt geben. Darauf drängt vor allem der Finanzplatz. Bis heute müssen unsere Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter eine Filiale in der EU haben, wenn sie mit dortigen Kunden geschäften wollen. Diese Hürde würde wegfallen.

Vertrag ohne Unterschrift

Und zwar ohne Paraphierung: In der Diplomatie fixieren Verhandlungsführer einen ausgehandelten Völkerrechtsvertragstext mit dem Anbringen ihrer Initialen. Erst danach wird ein Text normalerweise öffentlich. Weil aber unsere Landesregierung dem Inhalt des Vertrags mehrheitlich ablehnend gegenübersteht und das Abkommen in Volk und Parlament derzeit chancenlos ist, dürfte dieser Plan A keine Option sein.

Der Plan B, die Ablehnung des Vertrags, kommt ebenso wenig infrage. Denn damit würde die Schweiz Brüssel nach jahrelangen Verhandlungen die Türe vor der Nase zuschlagen. Die EU so zu brüskieren, wäre höchst unklug. Schliesslich sind gute Beziehungen zur EU in unserem Interesse.

Darum Plan C. Inhaltlich wird das Rahmenabkommen, das gestern bei der Wahl zum Wort des Jahres auf dem zweiten Platz landete, zwar nicht besser. Doch wenigstens gewinnt die Schweiz Zeit damit.

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