Während der Herbstsession macht das Parlament aus den Covid-19-Notverordnungen des Bundesrats ein Covid-19-Gesetz. Es hat quasi keine andere Wahl. Würde die Vorlage abgelehnt, würden verschiedene Corona-Massnahmen nächste Woche - sechs Monate nach Inkrafttreten - wirkungslos.
Beispielsweise würde ein Teil der finanziellen Soforthilfe für die Wirtschaft erlöschen - mit drastischen Konsequenzen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Schweiz. Die Kultur-, Event- und Medienbranche wäre auf sich alleine gestellt. Es fehlte auch die rechtliche Grundlage für Massnahmen etwa bei der Gesundheitsversorgung, im Asyl- und im Justizbereich. Kurz: Der Bundesrat müsste wohl oder übel erneut auf Notrecht zurückgreifen.
So weit soll es nicht kommen. Der Nationalrat hat dem Covid-19-Gesetz in der Gesamtabstimmung mit 144 zu 35 Stimmen bei 16 Enthaltungen zugestimmt. Folgt ihm der Ständerat, werden verschiedene Corona-Massnahmen bis Ende 2021, einzelne bis Ende 2022 weitergeführt.
Das Covid-Gesetz sei aus grundsätzlichen Überlegungen wichtig, sagte der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt in der Eintretensdebatte. «Damit erhalten die politischen Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und deren wirtschaftlichen Folgen eine demokratische Legitimation.»
Das sahen nur wenige anders. Einzelne Vertreter der SVP wollten nicht auf das Gesetz eintreten oder dieses an die Kommission zurückweisen. Für die Gegner des Gesetzes ist die gesundheitspolitische Krise längst bewältigt. Eine rasche Rückkehr zur Normalität sei angezeigt, die notrechtlichen Massnahmen seien deshalb allesamt aufzuheben.
Die Mehrheit der SVP-Fraktion stimmte dem Gesetz trotzdem zu. Auch die übrigen Fraktionen sahen mehr Vor- als Nachteile. «Das Gesetz ist nicht perfekt, aber notwendig», sagte Philippe Nantermod (FDP/VS) stellvertretend für viele. Yvonne Feri (SP/AG) sagte, dass der Bundesrat «so viel Handlungsspielraum wie nötig» erhalte, gleichzeitig aber auch klare Leitlinien.
Der Nationalrat setzte allerdings eigene Akzente und änderte die Vorlage des Bundesrats in zahlreichen Punkten ab. Er weitete beispielsweise den Anspruch auf Erwerbsausfall für Selbstständigerwerbende aus. Nicht nur Personen, die ihre Arbeit unterbrechen müssen, sondern auch solche, die massgeblich in ihrer Arbeit eingeschränkt sind, können künftig einen Corona-Erwerbsersatz erhalten.
Abgelehnt wurde ein Antrag der Ratslinken, den Arbeitnehmenden mit tieferen Löhnen bei Kurzarbeit einen Lohnersatz von 100 Prozent zu garantieren. Knapp gescheitert ist auch der Vorschlag von SP, Grünen und GLP, die Kita-Hilfe durch den Bund weiterhin zu ermöglichen. Aus Sicht einer Mehrheit ist das eine Aufgabe der Kantone.
Im neuen Covid-Gesetz sieht die grosse Kammer ferner Finanzhilfen für Unternehmen der Event- und der Reisebranche vor. Sie nahm einen Einzelantrag von Nicolo Paganini (CVP/SG) mit 192 zu 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen an. Der Bundesrat soll Unternehmen dann helfen können, wenn diese vor der Corona-Krise wirtschaftlich gesund waren und nicht schon von anderen Branchenlösungen profitieren. Da es um Härtefälle geht, sollen auch À-fonds-perdu-Beiträge möglich sein.
Lorenz Hess (BDP/BE) sprach im Namen der Mitte-Fraktion von «Nuller-Branchen», denen geholfen werden soll - also Branchen, in denen die Umsätze aufgrund der Corona-Massnahmen ganz weggebrochen sind. Albert Rösti (SVP/BE) erwähnte die Schausteller. Ihnen sei die Grundlage zur Ausübung ihres Berufs in den vergangenen Monaten entzogen worden.
Der Bundesrat hatte in den vergangenen Monaten mehrmals erwähnt, dass er mit den Kantonen nach einer Lösung für Härtefälle suche.
Druck auf den Bundesrat machte der Nationalrat auch bei der Corona-Unterstützung für den Sport. Er beschloss, Darlehen nicht an die Ligen, sondern direkt an die Klubs zu vergeben. Das hatten Nationalräte von fünf verschiedenen Fraktionen mit Einzelanträgen gefordert. Die grosse Kammer nahm diese mit 135 zu 34 Stimmen bei 19 Enthaltungen an.
Neu sollen die einzelnen Klubs direkt vom Bund zinslose Darlehen in Höhe von bis zu einem Viertel ihres Betriebsaufwands der vergangenen beiden Jahre erhalten. Die Unterstützung ist auf zehn Jahre befristet. Die Klubs müssen dafür Sicherheiten in Höhe von 25 Prozent leisten. Die Ständeratskommission sieht 35 Prozent vor. Jene, die das Geld nicht innerhalb von drei Jahren zurückzahlen können, sollen die Löhne um bis zu einen Fünftel kürzen müssen.
Das Covid-19-Gesetz enthält auch Massnahmen für die Kultur. Geht es nach dem Nationalrat, soll das Bundesamt für Kultur (BAK) im nächsten Jahr insgesamt bis zu 100 Millionen Franken einsetzen können, um zusammen mit einem oder mehreren Kantonen Kulturunternehmen zu unterstützen. Der Bundesrat hatte höchstens 80 Millionen Franken vorgesehen.
Ein weiterer zentraler Punkt während der siebenstündigen Debatte war auch die Frage der künftigen Mitsprache des Parlaments, sollte der Bundesrat auf Grundlage des neuen Gesetzes neue, zeitlich befristete Verordnungen erlassen. Kurz gesagt: Der Nationalrat will die Corona-Rechte des Bundesrats einschränken.
Die Regierung soll nicht nur die Kantone, sondern auch die Sozialpartner sowie die Verbände der Gemeinden und Städte in die Arbeiten einbeziehen. Auch das Parlament soll konsultiert werden.
«Es kann nicht sein, dass der Bundesrat alles in Eigenregie entscheiden will», sagte Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH). Der Bundeskanzler versicherte, dass der Bundesrat wann immer möglich eine breite Konsultation vornehmen werde. Weitere Konsultationspflichten ins Gesetz zu schreiben, sei aber nicht wünschenswert. «Manchmal muss es schnell gehen.»
Nach dem Nationalrat wird sich der Ständerat bereits am Donnerstag über das Covid-19-Gesetz beugen. Ziel ist es, die Vorlage schnellstmöglich unter Dach und Fach zu bringen und direkt im Anschluss in Kraft zu setzen.
Bundeskanzler Thurnherr wandte sich in seinem Eintretensvotum auch an die zahlreichen Gegner ausserhalb des Parlaments, die eine noch grössere Macht der Regierung befürchten. Die neue Vorlage regle klar, dass der Bundesrat Massnahmen vor Ablauf der Geltungsdauer des Gesetzes aufheben müsse, falls diese nicht mehr notwendig seien.
Bereits vor der parlamentarischen Beratung kämpften verschiedene Gruppierungen lautstark gegen die Vorlage. Laut dem Verein «Freunde der Verfassung» wird ein Referendum gegen das Covid-19-Gesetz aktuell von 18'000 Personen unterstützt.
(SDA)