Der Protest hallt von den Balkonen. Mit Kochlöffeln und Pfannen machen im Kosovo unzählige Menschen jeden Abend um 20 Uhr von daheim aus ihrem Ärger und ihrer Sorge Luft. Schon den fünften Abend in Folge ertönte gestern das Blechkonzert.
Grund zur Besorgnis ist die politische Führung im Land. Während auch im Kosovo das öffentliche Leben wegen des Coronavirus weitgehend stillgelegt ist, wird der Kampf gegen das Virus von einem politischen Machtkampf überschattet. Gerade einmal knapp zwei Monate, nachdem die neue Regierung in Kosovo unter dem linken Ministerpräsidenten Albin Kurti (45) ihre Arbeit aufnahm, droht sie bereits wieder auseinanderzubrechen.
«Könnte zu neuer Auswanderungswelle führen»
Präsident Hashim Thaci (51) wird vorgeworfen, die Corona-Krise auszunutzen. Schweizer Politiker sind angesichts der heiklen Lage alarmiert. In einer Stellungnahme warnen sie vor einer politischen Katastrophe im Kosovo. Unterzeichnet haben das Schreiben Parlamentarier von SP, Grünen, GLP, EVP und FDP, darunter die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, Tiana Angelina Moser (40, GLP), und Doris Fiala (63, FDP), Co-Präsidentin der Parlamentarischen Gruppe Schweiz Kosovo.
«Wir befürchten, dass alle Fortschritte in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Kosovo gemacht hat, wieder zunichtegemacht werden», sagt SP-Nationalrat Fabian Molina (29). Wenn die neue Regierung schon wieder auseinanderbreche, sei die Hoffnungslosigkeit im Kosovo gewaltig. «Und das könnte zu einer neuen Auswanderungswelle führen.»
Misstrauensvotum gegen Regierung
Zum Eklat geführt hat Präsident Thacis Forderung, wegen der Corona-Krise den Ausnahmezustand im Kosovo zu verhängen. Auch Teile der Regierungspartei LDK sind dafür – und stellen sich damit gegen den Koalitionspartner, die linke Partei Vetëvendosje (Befreiung) mit Premierminister Kurti.
Als der kosovarische Innenminister Agim Veliu (59), Mitglied der LDK, vergangene Woche bekannt gab, er wolle den Notstand verhängen, machte Kurti kurzen Prozess und entliess ihn. Das wiederum löste den Zorn der konservativen LDK aus. Sie droht, im Parlament ein Misstrauensvotum gegen Kurti zu stellen. Es ist wahrscheinlich, dass es durchkommt und die Koalition damit am Ende ist. Die Frage ist nur, wann das Misstrauensvotum vors Parlament kommt, da dessen Zusammenkommen wegen des Coronavirus unsicher ist.
Auch die USA mischen mit
Thaci, so der Vorwurf auch vonseiten der Schweizer Politiker, dachte bei seiner Forderung nach einem Notstand nicht primär ans Wohl der Bevölkerung – sondern seine eigenen Interessen. Er als Präsident würde so nämlich auf einen Schlag deutlich mehr Macht bekommen. Befürchtet wird, dass Thaci und seine Verbündeten dies nützen würden, um den Plan voranzutreiben, Gebiete zwischen Kosovo und Serbien zu tauschen. Albanisch besiedelte Gebiete in Serbien gegen serbisch besiedelte Gebiete im Kosovo.
Das wäre auch im Interesse von US-Präsident Donald Trump (73), der unbedingt einen Deal zwischen Serbien und Kosovo erreichen will. Der US-Sondergesandte Richard Grenell (53) hat sich vor Kurzem mit dem kosovarischen Aussenminister getroffen. Der linke Premierminister Kurti allerdings wehrt sich gegen eine solche Grenzziehung entlang ethnischer Linien.
Kosovaren sind besorgt
Die Frauen und Männer, die in den vergangenen Tagen auf die Balkone standen und mit Pfannen lärmten, haben genug vom politischen Hickhack. Die Bevölkerung macht Krach, damit der politische Krach endlich aufhört. Und sich die Regierung endlich mit voller Kraft um die Bewältigung der Corona-Krise kümmert. Die Kritik derjenigen, die den Kochlöffel schwingen, richtet sich dabei nicht nur gegen Präsident Thaci und Teile der LDK, die aus ihrer Sicht Parteiinteressen über jene der Allgemeinheit stellen. Sondern auch gegen Premier Kurti, der mit der sofortigen Entlassung des Innenministers den Konflikt weiter anheizte.
«Kurti ist die ganze Situation entglitten», analysiert SP-Aussenpolitiker Molina. Auch viele Kosovaren in der Schweiz seien beunruhigt. «Gerade Leute aus der Diaspora sind wahnsinnig besorgt über das, was in ihrer Heimat gerade passiert.»
Die Schweiz habe eine besondere Verantwortung Kosovo gegenüber, sagt Molina. Schliesslich leben hierzulande rund 50'000 Kosovarinnen und Kosovaren. Die Politiker rufen «alle politischen Akteure» deshalb auf, «zur Entspannung der Situation beizutragen». Sie warnen: «Würde die Regierung Kurti unter fadenscheinigen Gründen gestürzt oder durch notrechtliche Erlasse entmachtet, müssten Länder wie die Schweiz ihre Einschätzung und damit auch ihre Beziehungen zur Republik Kosovo grundlegend überdenken.»