Am kommenden Sonntag wird der Mann mit der Fliege letztmals im SRF-Fernsehstudio die Abstimmungsresultate analysieren, dann ist Schluss. Die operative Leitung des Umfrageinstituts GFS Bern hat Claude Longchamp bereits vor zwei Wochen abgegeben, nächste Woche flimmert der 60-jährige Politologe nun das letzte Mal über die Deutschschweizer Mattscheiben.
Die Zeit im Rampenlicht – 30 Jahre lang kommentierte Longchamp Abstimmungen und Wahlen im SRF – war nicht immer einfach. Insbesondere die Umfragepleite bei der Minarett-Initiative 2009 habe ihm sehr zu schaffen gemacht, wie er jetzt in einem Interview verrät: «Das war fraglos die schwierigste Zeit für mich», so Longchamp gegenüber der «NZZ am Sonntag».
Nahe daran, aufzuhören
Longchamp hatte in der letzten Umfrage ein klares Nein vorhergesagt. An der Urne sagten dann aber 57 Prozent der Stimmbürger Ja. Die Sache zehrte so sehr an seinen Nerven, dass er Medikamente nehmen musste: «Ich war damals nahe daran aufzuhören, stand zwölf Wochen lang unter Psychopharmaka.»
Drei Monate später habe er dann aber entschieden, weiterzumachen, weil ihm trotz der Abweichung kein Fehler unterlaufen sei: «Es gibt mittlerweile 1000 Seiten wissenschaftliche Literatur über diese Umfrage. Und nirgends steht, ein anderer hätte es besser machen können.»
Er will Bücher schreiben und eine Bar führen
Nun wird Longchamp eine einjährige Weltreise machen. Danach will er Bücher schreiben, Vorträge halten und vielleicht eine Bar eröffnen. Bevor er die Koffer packt, gibt er der Politik aber noch einen Rat: Zumindest auf nationaler Ebene plädiert er für ein Berufsparlament.
«Das Milizsystem ist auf Gemeindeebene ein Segen, auf kantonaler Ebene ein Vorteil und auf Bundesebene eine Fiktion», so Longchamp. Nationale Parlamentarier würden heute fast vollamtlich Politik betreiben. «Und daneben setzen sie den Einfluss und das Wissen, das sie damit erlangen, gewinnbringend für andere Mandate ein. Das muss man ändern.»
Berufsparlament würde Interessenkonflikte beseitigen
Er schlägt vor, dass Parlamentarier während ihrer Amtszeit den Beruf und sämtliche Mandate abgeben müssen. Im Gegenzug würde man die Amtsdauer beschränken, damit es regelmässig Wechsel gibt. «Eine solche Reform würde auch die störenden Interessenkonflikte beseitigen. Heute können Sie Arzt sein, eine Gesundheitskommission präsidieren und auch noch einen grossen Verband leiten.» (sf)