Herr Levrat, am Donnerstag gab der Bundesrat bekannt, dass die Ostmilliarde gesprochen wird. Sie haben immer wieder autoritäre Politiker wie Viktor Orbán in Ungarn kritisiert. Sind Sie einverstanden, dass diese Staaten weiterhin aus der Schweizer Bundeskasse unterstützt werden?
Christian Levrat: Wir unterstützen die Menschen, nicht die Staatschefs. Es gibt strenge Bedingungen für die konkreten Projekte vor Ort. Das ist auch richtig. Denn damit stärken wir die Zivilgesellschaft in diesen Ländern. Und vergessen Sie nicht, wenn wir dort zum Beispiel in die Berufsbildung investieren, bedeutet dies, dass mehr Menschen eine Perspektive in ihrer Heimat haben und sie nicht gezwungen sind, ihr Glück im Westen und in der Schweiz zu suchen.
Das wird die Politik eines Viktor Orbán kaum beeinflussen.
Sie können diese autoritären Regierungen nicht zwingen, ihren Kurs zu ändern. Das wäre naiv zu glauben. Aber den Dialog, den können wir pflegen und so den demokratischen Kräften helfen, damit es dereinst wieder einen Machtwechsel gibt. Zudem: Die Schweiz wird nichts in den Osten exportieren, Stadler Rail in Polen keine Züge verkaufen, wenn es diesen Staaten nicht einigermassen gut geht.
Wird das Parlament der Zahlung zustimmen?
Davon gehe ich aus, ja. Aussenminister Ignazio Cassis hat sich ja auch innerhalb von zwei Wochen überzeugen lassen.
Wie meinen Sie das?
Er selbst war es, der die Auszahlung im Bundesrat beantragt hat. Entgegen seinen Ansagen im Wahlkampf. Es ist nicht denkbar, dass die Landesregierung ohne Zustimmung des Aussenministers die Milliarde beschlossen hätte. Nun ist er in der Realität angekommen und übernimmt Verantwortung. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Die SVP möchte eine Volksabstimmung über die Ostmilliarde. Einverstanden?
Die SVP hat es im Februar beim Osthilfegesetz verschlafen, das Referendum zu ergreifen. Damals hatte sie die Chance dazu. Aber ich verschliesse mich der Idee einer Abstimmung nicht. Das Volk würde der Ostmilliarde zustimmen. Voraussetzung dafür wäre aber, dass der Bundesrat endlich Farbe bekennt und erklärt, warum diese Zahlung im Interesse der Schweiz ist. Wir haben 2006 eine Mehrheit gefunden und würden auch diesmal eine finden.
Sie würden gerne über die Beschaffung neuer Kampfjets abstimmen. Ein fakultatives Finanzreferendum würde beide Abstimmungen ermöglichen.
Ich will auch über Olympia abstimmen! Aber gegenüber dem fakultativen Finanzreferendum bin ich skeptisch. Klar, manchmal sind es die Linken, mal die Rechten, die auf diese Weise eine Vorlage vors Volk bringen möchten. Aber die Erfahrung aus den Kantonen mit dem Finanzreferendum überzeugt nicht. Meist wird bloss über unbestrittene Vorlagen abgestimmt.
Die deutsche SPD wollte sich nach der jüngsten Wahlschlappe in der Opposition erholen. Nun steht sie unter starkem Druck, doch wieder in eine grosse Koalition mit der Union einzutreten. Was raten Sie Ihren Genossen im Norden?
Das ist eine Situation, die schmerzt. Es gibt keine gute Lösung für die SPD. Sie hat in den letzten vier Jahren ihre wichtigsten Versprechen umsetzen können: Mindestlohn, Atomausstieg, Ehe für alle. Trotzdem wurde sie an der Urne brutal abgestraft. Eine erneute Regierungsbeteiligung würde die Fortsetzung eines Mittekurses bedeuten, der nicht gesund ist für die Partei und für das Land. Schulz liegt richtig, wenn er sich auf die linken Werte der Sozialdemokratie besinnt und aufhört mit der Anbiederung an die Mitte.
Kanzler wird in Deutschland nur, wer ebendiese Mitte überzeugt.
Mittelfristig ist der Gang in die Opposition richtig, auch aus demokratischen Überlegungen: Man darf die Rolle der Oppositionsführerin nicht der AfD überlassen! Das ist eine schreckliche Vorstellung. Je länger die Grosse Koalition dauert, desto mehr drohen in Deutschland österreichische Verhältnisse. Und dort sitzen die Rechtsextremen bald in der Regierung.
Der Mittekurs, der in Grossbritannien, aber auch in Deutschland in den 1990er-Jahren die Linken in die Regierung trug, ist also endgültig vorbei?
Ja. Es braucht eine gesunde Konkurrenz unter den grossen Volksparteien. Und damit eine Sozialdemokratie, die klar links positioniert ist. Jeremy Corbyn hat in Grossbritannien bewiesen, dass ein pointierter Linkskurs erfolgreich sein kann. Das wäre auch für die SPD der richtige Weg. Aber kurzfristig ist der Druck für die SPD, Verantwortung zu übernehmen und in die Regierung einzutreten, natürlich massiv. Ich bin froh, nicht Präsident der SPD zu sein.