Ein in die Jahre gekommener Betonklotz am Rande von Spiez BE ist in den Fokus der Weltpolitik geraten. Im Gebäude mit Turnhallencharme befindet sich das Labor Spiez – eines der renommiertesten Labors für die Untersuchung von Chemiewaffen weltweit. Es gelangte jüngst international in die Schlagzeilen, als Russland behauptete, im Berner Oberland seien Proben des Nowitschok-Attentats von Salisbury untersucht worden. Und deswegen einen Hackerangriff auf das Labor startete.
In Spiez schweigt man sich zum Fall aus. Denn das Labor hat gegenüber der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die die Umsetzung des Chemiewaffenübereinkommens kontrolliert, eine Geheimhaltungsklausel unterschrieben. Der zufolge darf es weder bestätigen noch dementieren, ob es an den Untersuchungen beteiligt war. Stefan Mogl (53), Leiter des Fachbereichs Chemie des Labors Spiez, zögerte denn auch mit der Zusage für ein Gespräch. Schliesslich öffnete er für BLICK aber doch die Türen zu einem der gefährlichsten Labors der Schweiz.
BLICK: Herr Mogl, für einen Ort, an dem tödliche Kampfstoffe und hochsensible Informationen lagern, war der Zutritt zu Ihrem Labor relativ unkompliziert. Ich musste kurz meine ID zeigen – das wars. Wäre das auch so gewesen, wenn ich Lea Hartmannowa von, sagen wir, dem russischen Staatsfernsehen gewesen wäre?
Stefan Mogl: Wenn Sie sich vorher angemeldet und wir Ihren Besuch genehmigt hätten, wäre das sehr ähnlich gelaufen. Letzteres hängt davon ab, was Sie uns fragen wollen. Unter Umständen hätten wir dann noch einige Abklärungen über Ihren Hintergrund getroffen.
Was die Cybersicherheit Ihres Labors anbelangt, gabs Lücken. Das zeigte der russische Hackerangriff. Sind die Löcher inzwischen gestopft?
Aus meiner Sicht war das keine Lücke, zudem galt der Angriff ja nicht uns. Aber wir haben aufgrund des Vorfalls gewisse Dinge angeschaut. Dabei sind wir zum Schluss gekommen, dass unser System sicher ist.
Bei dem konkreten Vorfall wurden Sie nicht selbst angegriffen, sondern für einen Angriff auf andere Labors missbraucht. Ist das Labor Spiez auch schon selbst ins Visier von Hackern geraten?
So weit mir bekannt ist, nicht.
Ich frage im Zusammenhang mit dem Fake-News-Vorfall. Russland behauptete, das Labor Spiez habe bei seiner Untersuchung noch einen anderen Kampfstoff festgestellt. Die Info stamme aus «vertraulichen Dokumenten aus der Schweiz». Ein Hackerangriff liegt da doch auf der Hand.
Sicher. Aber der Punkt ist: Die Sätze, die der russische Aussenminister Sergei Lawrow aus dem angeblichen Bericht unseres Labors zitierte, würden nicht in einem Bericht an die OPCW stehen. Es ist genau vorgegeben, wie ein solches Dokument verfasst ist. Was Lawrow sagte, würden wir nie so schreiben.
Warum ist dann ausgerechnet das Labor Spiez ins Visier der Russen geraten?
Nun, wir sind halt eines der bekanntesten Labore der OPCW. Wir haben einen guten Ruf, zudem sind wir in einem neutralen Land. Möglicherweise wollte Russland mit der Aktion Verunsicherung stiften. Andere Staaten sollten sich vielleicht fragen: Die Schweizer haben etwas gefunden, das die OPCW verschweigt? Ob die Schweiz tatsächlich an den Untersuchungen beteiligt war, war völlig irrelevant.
Das Labor Spiez gehört seit nunmehr 20 Jahren zu einem kleinen Kreis von Vertrauenslabors der OPCW – kein Labor weltweit ist länger designiert. In den aufgeräumten Laborräumen im ersten Stock des Gebäudes, die Mogl BLICK zeigt, erinnern Fläschchen mit Proben von irakischen Raketen, Bombensplitter und laminierte Zertifikate an die diversen Analysen, die die Spiezer Spezialisten bereits durchgeführt haben. Ansonsten sieht es in den Räumen aus wie in einem gewöhnlichen Forschungslabor. Einzig das gelbe Kästchen mit Gasmaskenpiktogramm gleich neben der Tür macht darauf aufmerksam, mit welch heiklen Stoffen hier hantiert wird.
Wird das Labor von der OPCW zu einem Einsatz gerufen, herrscht in diesen Räumen Hochbetrieb. Per Polizei-Eskorte wurden schon Proben vom Flughafen in Kloten ZH nach Spiez gefahren. Im Ernstfall zählt jede Stunde. Allerhöchstens zwei Wochen haben die Chemiewaffenexperten Zeit, Umweltproben auf verschiedene chemische Kampfstoffe zu untersuchen. Während der Analyse von Proben nach dem Anschlag im syrischen Ghouta 2013, bei dem mehrere Hundert Menschen starben, haben einige Mitarbeiter auf dem Boden im Büro übernachtet . Der Druck ist hoch. Jedes Wort im Untersuchungsbericht muss stimmen. Im Fall der Syrien-Proben 2013 umfasste dieser geschlagene 267 Seiten. Das Hauptergebnis, das die Welt in Schock versetzte: Syrien hatte Sarin eingesetzt. Es war der schlimmste Chemiewaffenanschlag seit über 30 Jahren.
Vor fünf Jahren wurde die OPCW mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet – unter anderem wegen der Abrüstung in Syrien. Auch in Spiez wurde gefeiert. Rückblickend betrachtet: Haben Sie sich zu früh gefreut?
Dass so etwas wie in Syrien geschieht, hätte ich mir niemals vorstellen können. Wir gingen davon aus, dass der Einsatz von Chemiewaffen in militärischen Konflikten Teil der Geschichte ist. Andererseits bin ich aber überzeugt: Die OPCW hat den Friedensnobelpreis verdient. Die Organisation hat lange im Stillen gearbeitet und Unmengen von Chemiewaffen weltweit vernichtet. Dafür war die Auszeichnung.
Die tödlichen Anschläge in den syrischen Städten Chan Scheichun und Ghouta, zuletzt das Attentat in Salisbury: Sind Chemiewaffen weltweit wieder auf dem Vormarsch?
Wir stehen definitiv an einem ganz entscheidenden Punkt. Die Frage ist: Schafft man es, die Verantwortlichen für die Chemiewaffeneinsätze zur Rechenschaft zu ziehen und das weltweite Chemiewaffenverbot aufrechtzuerhalten? Wenn nicht, setzt das ein gefährliches Zeichen. Es darf nicht sein, dass die OPCW nebensächlich wird.
Das Nowitschok-Attentat war der erste Chemiewaffeneinsatz auf europäischem Boden überhaupt. Sind Sie beunruhigt?
Sagen wir es so: Es hat mich sehr überrascht, dass man einen Nervenkampfstoff als Mittel für Attentate einsetzt. Grundsätzlich ist jeder Einsatz mit Chemiewaffen extrem beunruhigend. Man stellt sich die Frage: Ist man darauf vorbereitet?
Und, wäre die Schweiz vorbereitet?
Aus dem Vorfall in Salisbury werden sicher auch wir unsere Lehren ziehen. Aber ich glaube, wir sind in der Schweiz recht gut darauf vorbereitet, mit so einem Ereignis umzugehen. Auch mit besten Vorbereitungen wird man allerdings nicht verhindern können, dass es bei einem Angriff Opfer geben würde. Das ist ja gerade das, was Chemiewaffen so gefährlich macht.
Es gibt auch positive Entwicklungen: Erst kürzlich wurde beschlossen, dass die OPCW künftig nicht nur dazu befugt ist herauszufinden, welche Stoffe bei einem Chemiewaffenangriff zum Einsatz kamen – sondern auch, wer hinter einem Angriff steckt. Wie beurteilen Sie diesen Schritt?
Ich bin froh darüber. Der Entscheid stärkt die OPCW als «Chemiewaffenpolizei». Das ist gut.
Was bedeutet der Entscheid im Hinblick auf Syrien-Untersuchungen? Werden sich die Schuldigen irgendeinmal für ihr Tun verantworten müssen?
Wissen tue ich das nicht. Aber ich hoffe es sehr. Und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Stefan Mogl (53) leitet seit über zehn Jahren den Fachbereich Chemie des Labors Spiez. Nach einer Chemielaborantenlehre und einem Chemie-Studium wurde er Inspektor bei der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW). Später übernahm er die Leitung des OPCW-Labors. Mogls bisheriger Karrierehöhepunkt war die Berufung 2017 ins Leitungsgremium des Uno-Ausschusses zur Untersuchung der Giftgas-Attacken in Syrien. Mogl lebt im Kanton Bern, ist verheiratet und zweifacher Vater.
Stefan Mogl (53) leitet seit über zehn Jahren den Fachbereich Chemie des Labors Spiez. Nach einer Chemielaborantenlehre und einem Chemie-Studium wurde er Inspektor bei der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW). Später übernahm er die Leitung des OPCW-Labors. Mogls bisheriger Karrierehöhepunkt war die Berufung 2017 ins Leitungsgremium des Uno-Ausschusses zur Untersuchung der Giftgas-Attacken in Syrien. Mogl lebt im Kanton Bern, ist verheiratet und zweifacher Vater.
Am 4. März wurden Ex-Doppelagent Sergei Skripal und seine Tochter im englischen Salisbury vergiftet. Untersuchung ergaben, dass es sich beim Gift um den in der Sowjetunion entwickelten Kampfstoff Nowitschok handelt. Obwohl die Skripals überlebten, endete der Anschlag schliesslich tödlich: Anfang Juni kam in Grossbritannien ein Paar mit dem Gift in Kontakt – die Frau starb.
Die Russen streiten ab, hinter dem Anschlag zu stehen. Stattdessen beschuldigten sie die OPCW, falsche Ergebnisse veröffentlicht zu haben. Teil dieser Fake-News-Attacke war auch das Labor Spiez. Kurz darauf wurde zudem bekannt, dass mutmasslich russische Hacker versucht hatten, sich über das Labor Spiez Zugang zu IT-Systemen anderer Labors zu erschleichen.
Am 4. März wurden Ex-Doppelagent Sergei Skripal und seine Tochter im englischen Salisbury vergiftet. Untersuchung ergaben, dass es sich beim Gift um den in der Sowjetunion entwickelten Kampfstoff Nowitschok handelt. Obwohl die Skripals überlebten, endete der Anschlag schliesslich tödlich: Anfang Juni kam in Grossbritannien ein Paar mit dem Gift in Kontakt – die Frau starb.
Die Russen streiten ab, hinter dem Anschlag zu stehen. Stattdessen beschuldigten sie die OPCW, falsche Ergebnisse veröffentlicht zu haben. Teil dieser Fake-News-Attacke war auch das Labor Spiez. Kurz darauf wurde zudem bekannt, dass mutmasslich russische Hacker versucht hatten, sich über das Labor Spiez Zugang zu IT-Systemen anderer Labors zu erschleichen.