Anfang Juni wählten die Stimmberechtigten Chantal Galladé zur Schulpräsidentin der Kreisschulpflege in Winterthur Stadt-Töss ZH. Das Vollzeitzeitamt sorgt dafür, dass die SP-Nationalrätin jetzt rasch aus der grossen Kammer abtreten wird. «Ende November ist Schluss», sagt die 45-Jährige zu SonntagsBlick. Die Herbstsession wird ihre letzte ganze Session sein.
Mit der Erziehungswissenschaftlerin tritt eine der bekanntesten Sozialdemokraten ab, Galladé sitzt seit 2003 im Rat im Bundeshaus.
Bundespolitik auf Männer ausgerichtet
15 Jahre sind in der Politik eine sehr lange Zeit. Umso erstaunlicher das Fazit der Politikerin, die während ihrer Zeit im Nationalrat zwei Mal – 2004 und 2015 – Mutter von zwei Töchtern – Amélie (13) und Victoria (2) – wurde, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Politik geht. «Für Parlamentarierinnen mit kleinen Kindern hat sich in meiner Zeit leider gar nichts verändert», sagt sie.
Die Bundespolitik sei immer noch ausgerichtet auf Männer, deren Frauen zu den Kindern schauten. Dafür sorge der Sitzungsrhythmus mit vier Sessionen von drei Wochen pro Jahr und die Unregelmässigkeit der Kommissionssitzungen. «Das ist mit der Betreuung von Kleinkindern schwierig vereinbar», sagt Galladé.
Sie wünscht sich deshalb einen anderen Modus. «Die Räte sollten sich einen oder zwei Tage pro Woche treffen. Das würde die Planung sehr vereinfachen.» Einen einzigen Unterschied gebe es zu ihrer Anfangszeit: Sie hätte noch unentschuldigt (!) gefehlt, als Amélie zur Welt kam. Heute gelte eine Geburt nicht mehr als Schwänzen.
Auch als linke junge Mutter hat man es im Parlament nicht immer einfach – sogar bei ihrer eigenen Fraktion. Chantal Galladé kann sich gut erinnern, wie sie auf der Toilette (!) Milch für Amélie abpumpte und deswegen eine Abstimmung verpasste, was ihr darauf prompt einen Rüffel einer Parteikollegin eintrug. Immerhin: Heute haben die Frauen einen Raum, wo sie die Babys in Ruhe stillen können.
Während der gesellschaftliche Fortschritt in der Familienpolitik einen Bogen um das Bundeshaus machte, zieht die Sozialdemokratin bei einem ihrer zentralen politischen Anliegen – der Schutz vor Waffengewalt – eine positivere Bilanz. «2003 wurden Gewehre und Pistolen weder registriert noch überprüft. Auch jeder Soldat nahm die Munition einfach nach Hause», so die langjährige Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission. Heute sei das Waffengesetz verschärft, die Menschen viel stärker auf das Thema sensibilisiert.» Dass die Behörden heute beispielsweise auf Knopfdruck feststellen könnten, ob eine Person eine Schusswaffe besitze. Das sei wichtig und bedeute eine klare Verbesserung, wenn auch noch viel getan werden müsse.
SP muss kompromissbereit bleiben
Grund zur Sorge geben ihr auch die Waffenexporte. «Es ist skandalös, dass sie jüngst weiter gelockert wurden.» Das sei unverantwortlich und mit den Werten der Schweiz nicht vereinbar. «Dass eine Mehrheit im Bundesrat diese Politik befürwortet, ist unverständlich und frustrierend.»
Die Enttäuschung ist für sie doppelt gross, weil sie sonst spürt, dass die Linke heute mehr Einfluss hat im Bundeshaus als noch Anfang der Nullerjahre. «Ohne die SP geht es nicht, es ist viel schwieriger als früher, ein Projekt ohne uns durchzubringen.» Deshalb empfiehlt sie auch ihrer Partei, unbedingt kompromissfähig zu bleiben und den «sozialliberalen Flügel zu pflegen», zu dem sie sich selber zählt.
Zur Sicherheitspolitikerin wurde Chantal Galladé erst im Parlament. Begonnen hat sie mit der Bildungspolitik. Mit ihrer Wahl zur Schulpräsidentin schliesst sich für die Parlamentarierin wieder der Kreis. «Ich liebte meine Job im Nationalrat, freue mich jetzt aber auch extrem auf meine neue Aufgabe.»