Am Ende blieben von der grünen Welle 82 Stimmen. 82 National- und Ständeräte wollten im Dezember vor zwei Jahren Regula Rytz (59, BE), damals Chefin der Partei, in den Bundesrat wählen. Zu wenig: Ignazio Cassis (60) schaffte die Wiederwahl, die Zusammensetzung des Bundesrats aus je zwei Vertretern der SVP, SP, FDP und einer Mitte-Bundesrätin geriet nicht ins Wanken.
Keine Partei will Bundesratssitz aufgeben
Es folgten Gespräche der Parteispitzen, bei denen die Zauberformel neu verhandelt wurde. Sie verliefen bald im Sand.
Kurz nach der Hälfte der Legislatur fehlen die Signale, dass sich die Lage auch nach den Wahlen 2023 tiefgreifend ändern wird.
Da ist die Scheu des Parlaments, bisherige Bundesräte abzuwählen. Ein Totschlagargument. Dass FDP, SP oder die Mitte durch einen unnötigen und vorzeitigen Abgang einen eigenen Sitz riskieren, ist schwer vorstellbar. Ein möglicher Rücktritt von Ueli Maurer (71), von einigen befürchtet, von anderen sehnlichst herbeigewünscht, löst das Problem der fehlenden grünen Vertretung ebenfalls nicht: Wenn eine Partei unbestritten Anspruch auf zwei Sitze hat, dann die SVP.
SVP weiterhin stabil
Eine Tamedia-Wahlumfrage sieht die Rechtspartei derzeit gar bei 27 Prozent. «Unsere Wählerinnen und Wähler schätzen, dass sich die SVP von Anfang an kritisch zur Corona-Politik geäussert hat», kommentiert ein zufriedener SVP-Parteichef Marco Chiesa (47).
Das Feld hinter der SVP wird zunehmend unübersichtlich. Die grosse Erschütterung aber, die eine neue Zusammensetzung des Bundesrats erzwingt, ist nicht in Sicht.
Konkurrenz bei den Grünen Parteien
Erstmals kommt die GLP bei einer Umfrage auf einen nationalen Wähleranteil von über 10 Prozent. So erwächst den Grünen mehr und mehr Konkurrenz in der gleichen Farbe. Und diese Konkurrenz kann warten. «Der Bundesrat bleibt unser Ziel. Wenn wir es nicht in zwei Jahren erreichen, dann in sechs», sagt GLP-Präsident Jürg Grossen (52, BE) selbstbewusst.
In der gleichen Befragung legt die FDP zu, SP, Mitte, vor allem aber die erfolgsverwöhnten Grünen lassen Federn. Ein neuerlicher Wahlsieg fällt den Grünen nicht in den Schoss.
Bewährte Zauberformel
Was bedeuten diese Zahlen für die Planspiele um die Zusammensetzung der Regierung? Sollten sich die Wahlergebnisse in diesem Rahmen bewegen, sinkt die Lust auf Experimente im Herbst 2023 gegen null. Diese Einschätzung ist fraktionsübergreifend zu vernehmen. Aus Sicht der Bundesratsparteien macht es ja auch Sinn: SP und FDP setzen alles daran, ihre beiden Sitze zu verteidigen. Das ist nicht die Ausgangslage, in der die Fraktionen mal eben den Grünen zuliebe die Regierung umstellen.
FDP-Präsident Thierry Burkart (46) lobt auf Anfrage erst einmal den freisinnigen Formstand. Eine Trendwende habe stattgefunden. «Der positive Trend hat mit den Wahlen in Freiburg vom November 2021 angefangen und findet mit dieser Umfrage seine Fortsetzung», sagt der Aargauer Ständerat. Und mit Blick auf die Regierung fügt Burkart an: «Die derzeitige Zusammensetzung des Bundesrats wird in der Bevölkerung weitgehend befürwortet, was als Zeichen der Stabilität unserer Institutionen in Zeiten der Krise anzusehen ist.»
SVP wartete Jahre auf ihren zweiten Sitz
Ähnlich tönt es weiter rechts. Dass ausgerechnet die SVP sich für die grünen Ansprüche einsetzen wird, ist nahezu ausgeschlossen. Dass der Tessiner Chiesa den Tessiner Cassis aus dem Amt kegelt, ebenso. Die SVP stehe zur bewährten Zauberformel, betont Chiesa. «Zudem verlangt die Bundesverfassung bei der Bundesratszusammensetzung eine regionale Verteilung.» Ein gutes Wahlresultat allein reiche nicht für einen Bundesratssitz, die SVP habe lange warten müssen, bis sie als stärkste Partei ihren zweiten bekam, sagt der Tessiner Ständerat.
Kein Selbstläufer
Die Grünen reagieren konsterniert. Eine Erklärung für den Taucher bei der Umfrage hat Parteipräsident Balthasar Glättli (49, ZH) nicht. Es sei ein Weckruf an Mitglieder und Wähler: «Der grüne Wahlerfolg ist kein Selbstläufer. Nur wer wirklich Grüne wählt, bringt Bewegung in die Politik.» Mit Blick auf die Landesregierung meint Glättli, dass das «geschlossene Machterhaltskartell der bürgerlichen Bundesratsparteien» seine Argumentation anpasst habe. «Vor zwei Jahren hiess es: Die Grünen müssen ihren Erfolg bestätigen. Nun heisst es: Bisherige werden keinesfalls abgewählt.» Es liege in der Hand der Wählerinnen und Wähler, auch in den lokalen und kantonalen Wahlen das Zeichen zu setzen: «Klimagerechtigkeit braucht Priorität. Das wird seine Wirkung zeigen.»
Horrorszenario: Grüner Sitz auf Kosten der SP
Auch SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (35) traut dem Frieden nicht. «Ich bin überzeugt, dass die Bürgerlichen ernsthaft überlegen, den Grünen einen SP-Sitz im Bundesrat zu geben.» Diese Gespräche gebe es, ist er sich sicher. «Es muss verlockend für sie sein, das rot-grüne Lager auf Jahre hinaus zu spalten.» Zudem könnte entweder das Gesundheitswesen oder aber das Umweltdepartement in bürgerliche Hand kommen. Ein Horrorszenario für die Linke. «Das würde heissen: Vollprivatisierung in der Gesundheit und Zweiklassenmedizin oder Stillstand in der Klimapolitik», warnt Wermuth.
Man bleibt auf der Hut. Stabilität kann ganz schön anstrengend sein.