Vor seiner Wahl in den Bundesrat hat FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis (57) der SVP das Blaue vom Himmel versprochen und allen versichert, er wolle beim Rahmenabkommen mit der EU den Reset-Knopf drücken. Dabei war es klar, dass er die Verhandlungen vorantreiben musste und der Aussenminister so die SVP im EU-Dossier enttäuschen würde.
Doch auch die anderen Parteien zeigten sich schon wenige Monate nach dem Amtsantritt des Tessiners enttäuscht: SP-Chef Christian Levrat (48) bezeichnete ihn als «Praktikanten» und CVP-Boss Gerhard Pfister (56) verlangte, dass der neue Aussenminister endlich seine Arbeit aufnehme.
Menschenrechtsabteilung schüttelt den Kopf
Und auch im Aussenministerium schüttelten bald viele den Kopf, wenn die Sprache auf Cassis kam – vor allem in der Menschenrechtsabteilung. Für die Geringschätzung der Menschenrechte durch den eigenen Departementschef findet man dort noch heute keine Worte. An ihrer Stelle sagte Levrat im BLICK: «Cassis macht Aussenpolitik à la Orban.»
Der Widerspruch gegen Levrats Vergleich der Politik unseres Aussenministers mit dem Stil des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban war schweizweit derart gering, dass der SP-Chef in den Augen vieler gar nicht so weit daneben lag.
Unbeliebt ist der Tessiner aber auch wegen seines Angriffs auf den Schweizer Lohnschutz bei den Verhandlungen ums Rahmenabkommen mit der EU. Dass die Gewerkschaften deswegen den Verhandlungstisch verlassen haben, dafür hatte Ende November 2018 selbst die damalige FDP-Bundesratskandidatin und heutige Justizministerin Karin Keller-Sutter (55) im BLICK-Talk Verständnis.
Keller-Sutter: «Lohnschutz nicht nach Brüssel abgeben»
Keller-Sutter machte klar: «Ich bin auch der Meinung, dass wir die Frage des Lohnschutzes nicht nach Brüssel delegieren dürfen.» Und auch als Bürgerliche und Liberale sage sie: «In der Schweiz müssen Schweizer Löhne gezahlt werden.» Wäre dem nicht so, gäbe das sozialen Unfrieden.
Die Aussage unterstreicht, dass Cassis auch in seiner Partei nicht überall beliebt ist. Schon als der Tessiner für den Bundesrat kandidierte, gaben freisinnige Parlamentarier zu bedenken, dass Cassis als Fraktionschef «halt keine Gabi Huber» sei. Seine Vorgängerin an der Spitze der FDP-Fraktion hätte im Gegensatz zu ihm geführt.
Früher galt Cassis als der lustige Tessiner Arzt im Parlament. Dann machte man ihn zum Bundesrat, weil es gerade einen Tessiner FDPler in der Regierung brauchte. Und nun wird immer klarer, wie schwer er sich mit der Rolle des Bundesrats tut.
Es fehlt die klare Linie
«Er ist wohl einfach kein Exekutivpolitiker», sagt ein einflussreicher FDP-Bundesparlamentarier. An der Parteibasis merke man halt auch, «dass Cassis das Staatsmännische abgeht, eine klare Linie fehlt und er hie und da in ein Fettnäpfchen tritt».
Dass Cassis seiner Parteikollegin Keller-Sutter bei der Departementsverteilung zudem noch in den Rücken fiel, statt ihr zum Wunschdepartement zu verhelfen, dürfte seiner Beliebtheit auch nicht förderlich gewesen sein.
Das alles zeigt sich nun im aktuellen Wahlbarometer, den das Forschungsinstitut Sotomo im Auftrag der SRG erstellt hat: Cassis ist der unbeliebteste Bundesrat und nicht mal in der eigenen Partei wird er breit getragen.
Cassis stimmt im Bundesrat stramm bürgerlich mit den SVPlern. Die anderen Bundesräte wissen, dass mit dem Tessiner kein Staat zu machen ist. Und dass sie auf die anderen Magistraten zugehen müssen, wenn sie Mehrheiten zimmern wollen. Mitte-links zeigt ihm zunehmend die kalte Schulter. Der lustige Tessiner vereinsamt immer mehr. Er wird zum armen Tropf.