Mit einer über vier Jahre dauernden Erhebung hat das Bundesamt für Statistik (BFS) erstmals untersucht, wie lange einzelne Menschen von Armut betroffen sind. Ergebnis: Von 2013 bis 2016 wurde 12,3 Prozent der Bevölkerung in mindestens einem Jahr als arm bewertet. Das sind deutlich mehr, als die jährlichen Armutsquoten aufzeigen.
Die Hauptbotschaft aus Bern war allerdings: Armut ist in der Schweiz meist von kurzer Dauer. Denn der grösste Teil der Armutsbetroffenen verfügt laut BFS relativ rasch wieder über ein Einkommen oberhalb der Armutsgrenze. Über den ganzen Zeitraum hinweg litten denn auch lediglich 0,9 Prozent der Bevölkerung dauerhaft unter Armut. 1,2 Prozent waren es während dreier Jahren, 2,5 Prozent in zwei und 7,7 Prozent in einem der vier Jahre.
Caritas Schweiz kritisiert Bundesamt für Statistik
«Die Lesart dieser Zahlen ist irreführend und wird der prekären Situation jedes achten Schweizers nicht gerecht. Denn jeder achte Schweizer gerät innerhalb von vier Jahren in die Armutsfalle», sagt Bettina Fredrich, Leiterin Fachstelle Sozialpolitik bei Caritas Schweiz.
«Die Schweiz wird immer reicher – doch immer mehr Menschen müssen unterhalb der Armutsgrenze leben. Seit zwei Jahren erhöht sich diese Zahl, und das ist für uns entscheidend», warnt Friedrich. Die Armutssituation sei darum «höchst beunruhigend mit Blick auf die Kantone, die Sozialhilfeleistungen kürzen und auf dem Rücken der Ärmsten sparen.»
Als arm gelten nach amtlicher Definition Personen, die nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um die für ein gesellschaftlich integriertes Leben notwendigen Güter und Dienstleistungen zu erwerben. Allfällige Vermögenswerte werden in der Armutsstatistik nicht berücksichtigt.
Die verwendete Armutsgrenze leitet sich von den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) ab. 2016 betrug sie durchschnittlich 2247 Franken pro Monat für eine Einzelperson und 3981 Franken für zwei Erwachsene mit zwei Kindern.
Caritas Schweiz: «Zahlen sagen nichts über Ursachen aus»
«Viele Menschen werden von einer Statistik in die nächste übertragen. Verschwinden sie in der Armutsquote, tauchen sie in der Sozialhilfestatistik wieder auf», sagt Fredrich. Die Dauer, wie lange jemand unterhalb der Armutsgrenze leben muss, interessiere Caritas schon. «Aber es sagt nichts über die Ursachen aus. Unsere Erfahrung zeigt, dass Menschen mit niedrigem Ausbildungsstand oft unter prekären Anstellungsbedingungen arbeiten müssen und diese Jobs oft auch nur auf Temporärbasis ausführen. Ein Jahr später sind sie zurück unterhalb der Armutsgrenze.»
Von den Erwerbstätigen lebten 3,8 Prozent unterhalb der Armutsgrenze, was 140'000 Personen entspricht. Wie in den Vorjahren wurden 2016 Personen, die allein oder in Einelternhaushalten mit minderjährigen Kindern lebten, Personen ohne nachobligatorische Ausbildung und Personen in Haushalten ohne Erwerbstätige besonders häufig als arm eingestuft. (vfc/SDA)