BLICK: Sie sind stocksauer auf den Bundesrat. Das Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut endet Ende Jahr. Und der Bundesrat hat auch das Monitoring – also die Erfassung von Armut – sistiert.
Hugo Fasel: Ich bin sehr aufgebracht. Der Bundesrat will auf die Armutsfrage in der Schweiz nicht eintreten. Obwohl wir über 600'000 von Armut betroffene Menschen haben, reagiert er mit einem Progrämmchen von 500'000 Franken. Der Bundesrat ist nach wie vor der Auffassung, dass Armutsbekämpfung über die Sozialhilfe geregelt werden muss und deshalb Sache der Kantone und der Gemeinden sei. Das ist absurd: Der Bundesrat hat selbst festgestellt, dass Armut eine präventive Aufgabe ist. Wir müssen sie verhindern – und sicher nicht verwalten.
Sie sprechen von einer «Wissensverweigerung». Will man in der reichen Schweiz einfach nichts von Armut wissen?
Ja, der Bundesrat betreibt eine Verweigerungsstrategie. Würde er die Armut anerkennen, müsste er auf Bundesebene handeln – und das kostet. Also tut er so, als ob es gar kein Problem gäbe. Das ist langfristig hochgradig gravierend. Wir haben jährlich 40'000 Leute, die aus der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert werden. Wir könnten Armut über Bildung bekämpfen. Ueli Maurer und Johann Schneider-Amman müssen sich endlich zu einer Strategie durchringen. Ihre Departemente sind verantwortlich.
Seit zwei Jahren steigt die Armutsquote wieder.
Und das trotz ausgezeichneter wirtschaftlicher Entwicklung! Darum braucht es eine eidgenössische Kommission gegen Armut. Es gibt für alles und jedes Kommissionen – aber für das Problem der Armut nicht. Jetzt müssen Städte, Gemeinden, Kantone und der Bundesrat selbst an einen Tisch.
Der Freiburger Hugo Fasel (62) sass von 1991 bis 2008 für die Christlich-soziale Partei (CSP) im Nationalrat und politisierte in der Grünen Fraktion. Parallel war der Ökonom Präsident der Gewerkschaft Travailsuisse und Dozent an verschiedenen Fachhochschulen. Seit 2008 ist der Vater zweier Töchter Direktor der Caritas Schweiz.
Der Freiburger Hugo Fasel (62) sass von 1991 bis 2008 für die Christlich-soziale Partei (CSP) im Nationalrat und politisierte in der Grünen Fraktion. Parallel war der Ökonom Präsident der Gewerkschaft Travailsuisse und Dozent an verschiedenen Fachhochschulen. Seit 2008 ist der Vater zweier Töchter Direktor der Caritas Schweiz.
Armut werde vererbt, sagt die Caritas. Züchtet die Schweiz arme Kinder heran, die auch im Erwachsenenalter nie aus der Armutsspirale herausfinden?
Die Armutsergebnisse sind klar: Wenn ein Kind in einer armutsbetroffenen Familie aufwächst, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es auch dank schlechter Bildung wieder in der Armut landet, sehr hoch. Wir brauchen Frühförderung, damit Ungleichheiten reduziert werden.
Jetzt fordert die Caritas kostenlose Kinderkrippen. Wieso?
Der Bund stellt keine Mittel bereit, um für die untersten Einkommen erschwingliche Kitas zu finanzieren. Eine alleinerziehende Mutter schafft es darum nicht aus der Tieflohn-Spirale: Sie hat weder Zeit, sich weiterzubilden, noch das Geld, in der Zeit ihre Kinder fremdbetreuen zu lassen. Wir sehen, dass Alleinerziehende oft viel mehr Arbeitszeit leisten.
Die Schweiz hat sich beim Unterzeichnen der Uno-Agenda 2030 verpflichtet, bis 2030 die Armut um die Hälfte zu reduzieren. Sie kritisieren auch Bundesrätin Doris Leuthard, weil sie in New York bei der Uno kürzlich das Thema «nicht einmal erwähnt hat». Ist «Schweiz und Armut» ein solches Tabu, dass man es gerade auf dem internationalen Parkett lieber totschweigt?
Ja, das ist so. Die Schweiz will ihr Image nicht beklecksen. Sie will weder vor sich noch vor dem Ausland zugeben, dass wir ein Armutsproblem haben.
Die Caritas spüre die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat, sagten Sie. Ist der Bundesrat so sehr nach rechts gerückt, dass er sich nicht mehr um die Armen sorgt?
Uns ist egal, ob der Bundesrat links, rechts, oben oder unten steht. Hauptsache, er hört mit der Realitätsverweigerung auf und investiert in Bildungsmassnahmen, Kinderzulagen oder Wohnungen, die auch für tiefe Einkommen bezahlbar sind.
2015 haben die Uno-Staaten in New York die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Herzstück der Agenda sind 17 Ziele, sogenannte Strategic Development Goals. Sie lösten die Millenniums-Ziele ab, die von 2000 bis 2015 galten. Wie diese sind auch die neuen Entwicklungs-Ziele sehr ehrgeizig. So soll es beispielsweise bis 2030 auf der Welt keine Armut und keinen Hunger mehr geben. Andere Schwerpunkte sind Gesundheit, Bildung und Umweltschutz. Die Agenda 2030 ist völkerrechtlich nicht bindend. Jedes Jahr präsentieren an einer Konferenz mehrere Dutzend Länder ihre Fortschritte. Die Länderberichte sind freiwillig.
2015 haben die Uno-Staaten in New York die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Herzstück der Agenda sind 17 Ziele, sogenannte Strategic Development Goals. Sie lösten die Millenniums-Ziele ab, die von 2000 bis 2015 galten. Wie diese sind auch die neuen Entwicklungs-Ziele sehr ehrgeizig. So soll es beispielsweise bis 2030 auf der Welt keine Armut und keinen Hunger mehr geben. Andere Schwerpunkte sind Gesundheit, Bildung und Umweltschutz. Die Agenda 2030 ist völkerrechtlich nicht bindend. Jedes Jahr präsentieren an einer Konferenz mehrere Dutzend Länder ihre Fortschritte. Die Länderberichte sind freiwillig.