Alexander Nix redete sich um Kopf und Kragen. Zuerst erklärte sich der hagere CEO des Big Data Unternehmens Cambridge Analytica (CA) prinzipiell bereit, dem potentiellen Kunden bei der Beeinflussung einer Wahlkampagne in Sri Lanka zu helfen. Mit dem Zugriff auf die Profildaten von Facebook-Kunden und ihre „likes“ sei das kein Problem. Politische Wahrheiten seien unwichtig: Das habe „der erfolgreiche Wahlkampf von Donald Trump dokumentiert.“
Auch „unkonventionelle“ Methoden seien denkbar. Jederzeit könne man kompromittierendes Material über unbequeme Gegner besorgen. Mit Ukrainerinnen als ‚Honigfallen‘ habe er gute Erfahrungen gemacht: „Die sehen gut aus und sind gertenschlank. Sie wissen schon.“
Alles wurde gefilmt und ausgestrahlt
Jetzt sitzt Nix selbst in der Falle. Sein Besucher war ein investigativer Journalist des britischen TV-Senders Channel 4. Das in einem Aktenkoffer versteckte Aufnahmegerät hatte alles gefilmt. Am vergangenen Dienstag wurde der Beitrag über die gefährlichen Machenschaften von Cambridge Analytica ausgestrahlt.
Seitdem ist Nix seinen Job los. Britische und amerikanische Abgeordnete, aber auch US-Sonderermittler Robert Mueller wollen ihn und mindestens einen zum Whistleblower mutierten ehemaligen CA-Mitarbeiter dringend vernehmen.
Im Auge des Sturms aber stehen Facebook und sein Gründer Mark Zuckerberg. Schon im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen einräumen müssen, eine vom russischen St. Petersburg aus gesteuerte und über Facebook verbreitete Werbe- und Hetzkampagne zugunsten von der Donald Trump nicht erkannt zu haben.
Die Existenz von Facebook steht auf dem Spiel
Aber diesmal erscheinen der Multimilliardär Zuckerberg und Facebook selbst als geldgierige Feinde der liberalen und freiheitlichen Demokratie. Die Aufsichtsbehörden haben eine Untersuchung eingeleitet. Erste Investoren haben das Unternehmen verklagt. Zum ersten Mal steht die Existenz Facebooks auf dem Spiel.
Am Anfang stand das renommierte britische Big Data-Analyseunternehmen SLC Group. Die Qualität der SLC-Erhebungen hatte mit einer App des britisch-russischen Psychologen Aleksandr Kogan einen großen Sprung gemacht. Denn tatsächlich sammelte Kogans „unschuldiger“ Psychotest „thisisyourdigitallife“ nicht nur die Daten der etwa 273.000 User ein, die sich die App auf den Computer holten. Auch ihre Facebook-Freunde und Kontakte wurden gleich mit eingesammelt. Innert kurzer Zeit hatte Kogan so allein in den USA Zugriff auf 50 Millionen Nutzerprofile.
Und alles offenbar erlaubt. Facebook hatte die Daten dem Forscher überlassen. Gegen Geld. Dass der die Profile dann nicht, wie vereinbart, wieder löschte, interessierte Facebook nicht.
2014 entdeckte ein gewisser Jared Kushner die Umtriebe der SLC Group. Weil der junge Mann an der Digitalstrategie für die politischen Ambitionen seines Schwiegervaters Donald Trump arbeitete, brachte er den Rechtspopulisten Steve Bannon mit dem Rechtsaussen-Milliardär Robert Mercer und dessen Tochter Rebekah zusammen. Um nicht gegen die Regeln der amerikanischen Wahlgesetze zu verstossen, spendierte Mercer 10 Millionen Dollar für einen US-Ableger der SLC Group - Cambridge Analytica.
1 Million für Faceprofile
Steve Bannon blieb Chefredaktor der rechten Hetzplattform Breitbart und stieg parallel zum stellvertretenden Chef von CA auf. Etwa eine Million Dollar habe Bannon für den Einkauf von Faceprofilen genehmigt, behauptet ex-CA-Mitarbeiter und heute Whistleblower Chris Wylie. Nach der gewonnenen Wahl wurde Bannon für einige Monate Chefstratege im Weissen Haus.
Schon 2014 habe CA mit Sätzen wie „Den Sumpf austrocknen“ oder „Zuerst Amerika“ die Stimmung unter unzufriedenen jungen weissen Amerikanern getestet. „Das hat so gut funktioniert“, gab Wylie in einem Interview mit der Washington Post zu, „dass diese Sätze 2016 dann praktisch unverändert in Trumps Wahlkampf übernommen wurden.“
Jetzt versucht Zuckerberg, sich und Facebook als Opfer übler Machenschaften zu stilisieren. Man sei, heisst es in einer Mitteilung an die Angestellten, reingelegt worden.
Chris Wylie will mit Cambridge Analytica nichts mehr zu tun haben. Aber noch immer bekommt er glänzende Augen, wenn er von den digitalen Einflussmöglichkeiten auf demokratische Prozesse spricht.
Steve Bannon und Robert Mercer äussern sich genauso wenig wie Jared Kushner zu den Vorwürfen.
Und Donald Trump? Der Präsident will, wie immer in solchen Fällen, von all dem nichts gewusst haben.
Dass er auch diesen neuen Sturm über „seinem“ Weissen Haus nicht kontrollieren kann, wurmt ihn dabei vermutlich am meisten.