Bundesverwaltungsgericht spricht Machtwort
Schweiz darf Flüchtlings-Familien nicht nach Italien zurückschaffen

Die härtere Gangart Italiens gegenüber Flüchtlingen hat direkte Konsequenzen für die Schweiz. Sie kann Familien nicht mehr zurückschicken, auch wenn Italien eigentlich für die Asylgesuche zuständig wäre.
Publiziert: 08.01.2020 um 20:07 Uhr
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Die Schweiz darf Familien, die hier Asyl suchen, nicht mehr nach Italien zurückweisen.
Foto: Didier Ruef / LUZ / eyevine

Das Bundesverwaltungsgericht pfeift die Migrationsbehörden zurück: Das Bundesamt für Migration darf vorläufig keine Familien und andere besonders verletzlichen Personengruppen mehr nach Italien zurückschaffen. Das hält das Gericht in mehreren Urteilen fest, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet.

Lega verschärfte das Asylgesetz

Grund dafür ist eine Verschärfung des Asylgesetzes, die der ehemalige italienische Innenminister Matteo Salvini (46, Lega) 2018 durchgedrückt hatte. Waren Familien vorher in kleineren Zentren untergebracht worden, stehen diese jetzt nur noch unbegleiteten Minderjährigen und anerkannten Flüchtlingen offen. Familien kommen wie alle anderen in grosse Erstaufnahme- und Notaufnahmezentren.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ist damit die Gefahr, dass Familien nicht angemessen untergebracht werden, «nicht von der Hand zu weisen», wie es in einem Urteil schreibt. So berichtet beispielsweise eine Familia aus Nigeria, aus einem Asylheim vertrieben worden zu sein. Der Mann habe betteln, die Frau sich prostituieren müssen, um sich finanziell über Wasser halten zu können.

Insgesamt hat das St. Galler Gericht bereits knapp 20 Beschwerden von Familien gutgeheissen. Das Staatssekretariat für Migration (Sem) muss die Fälle nun noch einmal neu beurteilen. Insbesondere muss es prüfen, ob die Schweiz angesichts der unsicheren Situation in Italien nicht von der Souveränitätsklausel Gebrauch machen sollte.

Diese sieht vor, dass ein Land ein Asylgesuch aus humanitären Gründen selbst behandeln kann, auch wenn es dafür laut Dublin-Vertrag eigentlich nicht zuständig wäre. In der Regel wäre es derjenige Mitgliedsstaat, in den ein Asylsuchender zuerst eingereist ist.

Flüchtlingshilfe hatte gewarnt

Das von den Richtern zurückgepfiffene Sem will auf Nachfrage der «Aargauer Zeitung» noch nicht zum Entscheid Stellung nehmen. Man werde die Urteile nun fundiert analysieren, heisst es.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hatte bereits im vergangenen Mai vor der Situation in Italien gewarnt. Seit Verabschiedung des Dekrets von Salvini herrschten untragbare Zustände, so die Flüchtlingsorganisation. (lha)

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