Ihre verstorbene Mutter hätte ihr geraten, sich nicht in dieses Haifischbecken zu begeben. Doch Viola Amherd (56) stellte sich zur Verfügung und wurde heute belohnt: Mit 148 Stimmen wählte sie das Parlament im 1. Wahlgang in die Landesregierung. Die Walliserin setzte sich erfolgreich gegen die Urner Regierungsrätin Heidi Z'graggen (52) durch, die als Aussenseiterin 60 Stimmen machte.
Amherd tritt die Nachfolge von Doris Leuthard (55) an. Die Strahlefrau tritt ab, eine stille Schafferin übernimmt. Amherd ist keine, die das Rampenlicht sucht. Ihr Ziel ist stets nüchterne und rationale Politik – nicht Debatten für die Galerie. Inhaltlich unterscheide sie sich nicht gross von ihrer Vorgängerin, meinte die frisch gewählte Bundesrätin letzten Freitag im BLICK-Live-Talk. «Wir haben als CVP-Politikerinnen sehr ähnliche Vorstellungen.» Trotzdem: Wer ist die neue Landesmutter?
Langsam, aber unaufhaltsam die Karriereleiter hoch
Die politische Karriere der studierten Juristin begann in den Neunzigerjahren in Brig VS, ihrem Geburtsort. Sie engagierte sich für familienpolitische Anliegen, baute etwa eine Tagesmuttervermittlung auf. Das brachte sie auf den Radar der lokalen CVP, die versuchte, Amherd in den Vorstand zu holen und für den Stadtrat aufzustellen. Die Rechtsanwältin und Notarin zögerte, hatte eigentlich kein Interesse an der aktiven Politik, liess sich aber trotzdem überreden. Der Anfang einer politischen Karriere, die nun mit dem höchsten Amt gekrönt wurde.
1992 schafft es Amherd in die Briger Stadtregierung. Auf kantonaler Ebene hat sie weniger Erfolg: Bei den Staatsratswahlen 2000 kommt es zur Blamage für die CVP – statt Amherd wird der Visper SP-Nationalrat Thomas Burgener (64) gewählt. Nur ein kleiner Rückschlag für Amherd – sie klettert die politische Leiter langsam, aber unaufhaltsam weiter. Zwischen 2000 und 2012 amtet sie als Stadtpräsidentin von Brig-Glis. 2005 rückt sie für Jean-Michel Cina (55), den heutigen SRG-Präsidenten, in den Nationalrat nach. 2015 ist Amherd die bestgewählte Walliser Nationalrätin.
Mietstreitigkeiten brachte Amherd nicht aus dem Tritt
Auch zeitgleich mit ihrer Bundesratskandidatur veröffentlichte Mietstreitigkeiten konnten Amherd nicht aus dem Tritt bringen. Eine Erbengemeinschaft um Viola Amherd soll 250'000 Franken zu viel Miete kassiert haben. Die betroffene Mieterin, der Energiekonzern Alpiq, klagte und bekam vor Bezirksgericht recht. Amherd und ihre Schwester haben das Urteil ans Kantonsgericht weitergezogen.
Ihr Standpunkt: Sie hätten nie einen Vertrag über eine Mietzinsreduktion unterzeichnet, sondern ein Papier, das die Verhandlung über den Mietzins dokumentierte. «Zivilprozesse sind für mich Alltag. Und ich schätze das nicht als Hindernis für eine Bundesratskandidatur ein», sagte Amherd im Oktober zu BLICK. Sie habe schliesslich «keinen Strafprozess am Hals». Trotzdem gehe ihr «die Sache», wie sie es nennt, nahe.
Überzeugte Ledige
Amherd ist ein freiheitsliebender Mensch. Von der Mutter hat Viola Amherd ihr Lebenscredo eingebläut bekommen: «Bleibe selbständig, Viola. Mach dich ja nie von irgendjemandem abhängig. Du musst als Frau für dich allein kämpfen.» Privat tut Amherd dies auf konsequente, fürs konservativ geprägte Oberwallis radikalste Weise: Sie bleibt kinderlos und «überzeugte Ledige».
Amherd erklärt BLICK im Oktober: «Ich hatte nie das Ziel, eine Partnerschaft zu leben. Ich lebte schon immer als Single. Und das ist schön so. Ich bin frei.» Allein ist die Walliserin aber dennoch nicht wirklich. Sie lebt in derselben Überbauung wie ihre ältere Schwester, zu der sie eine enge Beziehung pflegt. Amherd half auch bei der Erziehung ihrer Nichte mit.
Brückenbauerin, die sich gerne einmischt
Die Bundespolitik prägt Amherd zurzeit in der Verkehrs- und Fernmelde- sowie in der Rechtskommission. Zudem ist sie Fraktionsvizepräsidentin der CVP. Man kenne sie und ihre Arbeit im Parlament, so die Walliserin im Vorfeld ihrer Wahl. Aber sie ist auch vielen Bürgerlichen zu links. So setzt sie sich etwa für Richtwerte bezüglich Frauenvertretung in der Wirtschaft, die Öffnung der Ehe, für eine gewisse Transparenz bei der Parteienfinanzierung, einen staatlich finanzierten Vaterschaftsurlaub und gegen eine Lockerung der Kriegsmaterialexporte ein.
Doch Amherd bleibt dabei: «Ich bin ganz klar in der Mitte einzuordnen.» Die Position wolle sie auch im Bundesrat vertreten. Amherd sieht sich als Brückenbauerin, die sich schon immer gerne eingemischt hat und auch bei Geschäften ausserhalb des ihr zugewiesenen Departements – am Freitag entscheidet der neu gewählte Bundesrat darüber – ein Wörtchen mitreden will. Nun kann sie die Zukunft des Landes mitgestalten und eigene Ideen einbringen, ab dem 1. Januar in Amt und Würden.
Am 5. Dezember wählt die Vereinigte Bundesversammlung die Nachfolger/innen für die zurückgetretenen Bundesräte Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard. Die Wahl verspricht Spannung pur, denn es geht um das wichtigste Amt der Eidgenossenschaft.
Am 5. Dezember wählt die Vereinigte Bundesversammlung die Nachfolger/innen für die zurückgetretenen Bundesräte Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard. Die Wahl verspricht Spannung pur, denn es geht um das wichtigste Amt der Eidgenossenschaft.