Die Schweiz ist eine Orchidee unter den politischen Systemen – selten, einzigartig. Hier regieren alle zusammen – der Bundesrat ist eine Kollegialbehörde und hat keinen Chef. Die Institution ist wichtiger als der Mensch, der sie verkörpert.
Aber deswegen ist es noch lange nicht egal, wer in der Landesregierung sitzt. Menschen machen einen Unterschied. Die beiden neu gewählten Bundesrätinnen können das beweisen.
Volksnah und führungsstark
Da ist zum einen Viola Amherd (56). Sie hat nicht die Strahlkraft ihrer Vorgängerin Doris Leuthard (55). Doch sie gilt als standfest, sie ist dossiersicher und volksnah. Voraussetzungen, um den Spagat zwischen den Erwartungen der Bevölkerung und juristischer Feinarbeit zu meistern.
Zum anderen ist da Karin Keller-Sutter (54). Dass sie führungsstark ist, hat die St. Gallerin als Regierungsrätin und Ständeratspräsidentin gezeigt. Sie dürfte CVP-Bundesrätin Leuthard als Leaderin in der Regierung ablösen. Mit einem Unterschied: Karin Keller-Sutter ist nicht in der CVP.
Gutes Gespür für Mehrheiten
Das ist von Bedeutung, weil damit das starre 4:3 in der Regierung aufgebrochen werden könnte. Seit Ignazio Cassis (57) im Bundesrat sitzt, hat es einen spürbaren Rechtsrutsch gegeben. In vielen Fragen überstimmen die SVP- und FDP-Bundesräte SP und CVP.
Mit KKS, wie Keller-Sutter genannt wird, könnte das der Vergangenheit angehören. Nicht weil sie links tickt. Sondern weil sie nicht gern verliert und ein gutes Gespür für Mehrheiten hat. Es dürfte ihr gegen den Strich gehen, chancenlose Vorlagen ins Parlament oder vors Volk zu bringen.
Zusammen können sie den Ausschlag geben
Auch wenn FDP-Chefin Petra Gössi (42) es gestern als «selbstverständlich» bezeichnete, dass gewählte Magistraten ihr Parteibuch nicht an der Bundesratstür abgeben – dass Keller-Sutter bereit ist, Päckli mit den Linken zu schnüren, hat sie beim AHV-Steuer-Deal bewiesen. Und auch mit ihrer Skepsis gegenüber dem Rahmenabkommen.
Gemeinsam mit Amherd, der seriösen Schafferin mit sozialer Ader, könnte sie in einigen Geschäften den Ausschlag geben. Etwa bei der Rentenreform. Wie Keller-Sutter im BLICK-Talk sagte, ist sie im Gegensatz zur FDP eher gegen Rentenalter 67.
Auch zur umstrittenen (und darum mittlerweile wieder abgeblasenen) Lockerung der Waffenexport-Regeln wäre es mit dem Duo Keller-Sutter/Amherd nicht gekommen: Beide sind gegen Waffenlieferungen in Bürgerkriegsländer.
Die Parlamentserfahrung hilft
Nach links rutscht der Bundesrat mit den beiden nicht. Aber die neue Regierung ermöglicht andere Lösungen. Auch weil Amherd und Keller-Sutter erlebt haben, was es heisst, wenn unausgegorene Vorlagen aus dem Bundesrat kommen: Rentenreform, Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative, Unternehmenssteuerreform – überall musste das Parlament über die Bücher, weil der Regierungsvorschlag nicht überzeugte.
Das Duo vom 5. Dezember kann mithelfen, das zu beenden. Das würde dem Bundesrat guttun. Als in der Regierung noch eine Frau mehr sass, war sie besonders stark. Im Vorfeld der gestrigen Wahl meinten Kritiker, die CVP-Kandidatinnen seien nicht gerade erste Sahne. Die Bundesversammlung hat bewiesen: Beide sind erste Wahl.