Für einmal gibt die SVP den Königsmacher. Zum Wohle des Landes natürlich. Als Adrian Amstutz (63), Fraktionschef der Rechtspartei, am späten Dienstagnachmittag im Bundeshaus vor die Presse trat, beschwörte er den Zusammenhalt der Eidgenossenschaft. «Die SVP-Fraktion hat entschieden», so der Berner Nationalrat. «Und zwar mit 45 Stimmen für Ignazio Cassis und elf Stimmen für Isabelle Moret.»
Schliesslich schreibe die Verfassung eine angemessene Vertretung der Landesregionen im Bundesrat vor. «Wir sind nach wie vor überzeugt, dass gerade die italienischsprachige Schweiz eine Vertretung im Bundesrat nötig hat», so Amstutz. Daher das deutliche Votum für Ignazio Cassis (56).
Ein Szenario, an dessen Ende am kommenden Mittwoch nicht der joviale Tessiner auf den Einzug in den Bundesrat anstossen wird, ist seit dieser Verlautbarung der SVP nur mehr schwer vorstellbar.
SVPler bestätigen, dass der FDP-Fraktionschef in der Europafrage klare Ansagen gemacht hätte
Um an den Zusammenhalt der Sprachregionen zu appellieren, hätte die SVP erst gar kein Hearing durchführen müssen. Seine Herkunft dürfte wohl eine Rolle spielen, Hintergrund für den SVP-Support sind aber Ignazio Cassis’ Avancen nach rechts.
Mehrere SVPler bestätigen dem SonntagsBlick, der FDP-Fraktionschef habe in der Europafrage klare Ansagen gemacht, in dem aus Parteisicht wichtigsten Dossier. Ein Rahmenabkommen mit der EU lehne er ab. Ebenso die viel gescholtenen «fremden Richter», gegen die die SVP ohnehin mit einer Initiative ins Feld zieht. Auch von einer automatischen Übernahme von EU-Recht wolle der Tessiner nichts wissen, heisst es aus der Fraktion. Grund genug, ihm die Stimme zu geben. «Sein Statement zu Beginn der Anhörung war klar», sagt ein Nationalrat. «Er hat ziemlich genau das gesagt, was wir hören wollten.»
Die Parteispitze gibt sich dagegen einsilbig. «Ich kommentiere keines der Hearings», sagt SVP-Präsident Albert Rösti (50, BE). «Ausschlaggebend für die klare Wahlempfehlung war die in der Verfassung postulierte Forderung nach einer angemessenen Vertretung der Sprachregionen.» Es sei aber nur logisch, wenn jeder Kandidat nach seiner Wahl an seinen Äusserungen der Fraktion gegenüber gemessen werde, so Rösti.
Folgerichtig wurden in den vergangenen Tagen SVP-Parlamentarier unter der Bundeshauskuppel nicht müde, das schlechte Abschneiden des Genfers Pierre Maudet (39) herauszustreichen. Von wegen Polit-Talent, sogar die viel gescholtene Nationalrätin Isabelle Moret (46, VD) habe in der grössten Fraktion mehr überzeugt. Zwar erfüllt nur Regierungsrat Maudet den Anspruch nach Führungserfahrung, doch machte SVP-Vordenker Christoph Blocher (76) der SVP-Mannschaft klar, dass er von einem Bundesrat Maudet gar nichts hält. Der erklärte europhile Exekutivpolitiker hatte gegen Cassis keinen Stich.
Die Genossen haben Cassis’ Umarmung der SVP argwöhnisch registriert.
Die klare Kante der SVP nimmt der Ratslinken den Wind aus den Segeln. Namentlich die SP, welche die Kandidaten erst am kommenden Dienstag, einen Tag vor der Wahl, ins Kreuzverhör nehmen wird, steht bei dieser Ausmarchung aussen vor. Die Genossen haben Cassis’ Umarmung der SVP argwöhnisch registriert. «Sollte Cassis gewählt werden und das Aussendepartement übernehmen, wird die SVP spätestens in einem halben Jahr auf ihn schiessen. Diese Partei kann gar nicht anders», sagte Parteichef Christian Levrat (47, FR) diese Woche in der Wandelhalle. Nur um seine Prophezeiung am Freitagabend in der SRF-«Arena» trotzig zu wiederholen. Um Cassis zu verhindern, wäre die SP aber auf Allianzen angewiesen. Allianzen, die bei den Wahlen in der Vergangenheit funktionierten – ihren Zenit wohl aber überschritten haben.
«Die CVP muss sich entscheiden: Will sie weiterhin eine Schlüsselrolle spielen? Dann darf sie Cassis nicht wählen», sagt ein Schwergewicht der SP. Wenn sich die Mittepartei dazu durchringe, dann könne dieser noch gestoppt werden. Sonst drohten Verhältnisse wie in der Legislatur 2003–2007, als die Rechte im Bundesrat den Ton angab. Dabei sind sich auch die Sozialdemokraten längst nicht einig und werden erst am Dienstag definitiv festlegen, wen sie unterstützen.
Bei der CVP hingegen stimme rund die Hälfte der Parlamentarier für Cassis, sagen mehrere Fraktionsmitglieder. Moret und Maudet könnten mit je einem Viertel rechnen. Das lässt wenig Raum für Planspiele von links.
Isabelle Moret scheint in den Hearings einen guten Eindruck hinterlassen zu haben
Am Einsatz der Konkurrenz liegt dies nicht. Isabelle Moret scheint in den bisherigen Hearings einen guten Eindruck hinterlassen und ihren konfusen Auftakt in den Wahlkampf teilweise wettgemacht zu haben. Nur war es die SVP selbst, die mit der Wahl von Guy Parmelin (57, VD) vor zwei Jahren dem stolzen Waadtländer Freisinn den Weg in die Landesregierung verbaut hat. Ein angenehmer, wenn auch ungewollter Nebeneffekt für die grösste Schweizer Partei. Die liberalen Romands stehen der Blocher-Partei traditionell um einiges kritischer gegenüber als ihre Deutschschweizer Parteikollegen.
Der Genfer Pierre Maudet ist dennoch entschlossen, bis am Mittwochmorgen um jede Stimme zu kämpfen. Er versucht, innert kurzer Zeit seine geringe Bekanntheit in Bern zu beheben.
Noch Anfang Woche verschickte er E-Mails an ausgewählte Parlamentarier, in denen er sie zu einem «persönlichen Austausch» einlud. Zusätzlich zu den angesetzten Hearings in den Fraktionen, «im Bemühen um Vertraulichkeit etwas vom Parlament entfernt», wie er schreibt. Der so kontaktierte Nationalrat aus der Deutschschweiz wusste nicht recht, warum sich Maudet ausgerechnet mit ihm treffen wollte. Er ist nicht hingegangen.
Das passiert noch bis zur Wahl
Montag, 18. 9.: Am Nachmittag nehmen die Räte ihren Betrieb wieder auf. Den traktandierten Geschäften zum Trotz: Die bevorstehnde Wahl ist das alles dominierende Thema.
Dienstag, 19. 9.: Ab 15 Uhr laden die Fraktionen von SP, GLP und BDP die drei Kandidaten zu ihren Hearings. Für alle drei gilt: Versagen verboten! Mit der Dämmerung beginnt dann die Nacht der langen Messer. Und damit die letzten Ränkespiele.
Mittwoch, 20. 9.: Um acht Uhr kommt die Bundesversammlung für die Entscheidung zusammen.
Kommentar von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Die Statistik spricht eine klare Sprache: Italienisch. Demnach wird am Mittwoch der Tessiner Ignazio Cassis zum Bundesrat gekürt. 109 Männer sind seit 1848 in die Landesregierung gewählt worden, nur acht von ihnen hatten vorher nicht im National- oder Ständerat politisiert. So laut Pierre Maudet die Werbetrommel rührt: Gegen das Naturgesetz, dass Parlamentarier Parlamentarier vorziehen, wird der Genfer Staatsrat ohne Bundeshaus-Vergangenheit kaum ankommen.
Bei den Frauen ist es gerade umgekehrt. Die meisten Bundesrätinnen übten vor ihrer Wahl kein Mandat in Bundesbern aus. Und jene Parlamentarierinnen, die es gleichwohl an die Spitze schafften, hatten eine ganz andere Stellung als die Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret. Doris Leuthard war CVP-Chefin, Simonetta Sommaruga Berner Ständerätin und langjährige Präsidentin des Konsumentenschutzes. Moret dagegen ist eine Einzelkämpferin ohne Hausmacht.
Darum aber geht es bei Bundesratswahlen: um Vernetzung, um Abhängigkeiten und – vor allem – um die vermeintliche Berechenbarkeit der Kandidierenden. Niemand ist mehr Bestandteil dieses Berner Biotops als Ignazio Cassis. Als letztes Kriterium kommt hinzu, dass der FDP-Fraktionschef als Katholik die volle Sympathie der CVP geniesst.
Die Frage dürfte also weniger sein, ob Cassis gewählt wird, sondern im wievielten Wahlgang. Von dieser Frage freilich hängt einiges ab.
Ungewöhnlich früh hat die SVP diese Woche ihre Unterstützung für Cassis bekannt gegeben. Alles spricht dafür, dass der Neugewählte Aussenminister wird – die SVP will ihn in die Pflicht nehmen und Cassis als ihren Agenten im Aussendepartement installieren.
Vor diesem Hintergrund wäre die SP strategisch gut beraten, wenn auch sie Ignazio Cassis schon im ersten Wahlgang die Stimme geben würde. Wie gesagt: Der Mann dürfte ohnehin Bundesrat werden. Mit ihrer uneingeschränkten Unterstützung jedoch können die Sozialdemokraten verhindern, dass er ein Magistrat von Gnaden der SVP wird – mithin zum Aussenminister der Rechten.
Die Schweiz ist angewiesen auf gutes Einvernehmen mit den Nachbarländern und mit der EU als ihrem wichtigsten Handelspartner. Das Land braucht einen Aussenminister, der mit Brüssel Verständigung sucht statt Konfrontation. Auch wenn Cassis der SVP in den letzten Tagen eindeutig viel zu schöne Augen gemacht hat: Er ist immer noch ein Freisinniger, der weiss, dass die Schweiz nichts gewinnt, wenn sie Europa vor den Kopf stösst.
Ebenso wichtig ist, dass der Aussenminister diese Politik der Verständigung in der heimischen Arena verteidigt. Dazu gehört insbesondere der Auftritt im Säli der «Sternen» und «Löwen» landauf, landab. Didier Burkhalter hat sich vor dieser Knochenarbeit stets gescheut. Jahre sind so verplempert worden, viel zu viele antieuropäische Vorurteile konnten sich während dieser Zeit in unseren Köpfen festsetzen.
Wem aber muss der Aussenminister bei der Gestaltung einer intelligenten, pragmatischen Europapolitik entgegentreten? Richtig: der SVP. Dem neuen Bundesrat stehen intensive Jahre bevor! Die Linke hat am Mittwoch die Chance und die Verantwortung, sich Ignazio Cassis von Beginn weg an die Seite zu stellen.
Kommentar von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Die Statistik spricht eine klare Sprache: Italienisch. Demnach wird am Mittwoch der Tessiner Ignazio Cassis zum Bundesrat gekürt. 109 Männer sind seit 1848 in die Landesregierung gewählt worden, nur acht von ihnen hatten vorher nicht im National- oder Ständerat politisiert. So laut Pierre Maudet die Werbetrommel rührt: Gegen das Naturgesetz, dass Parlamentarier Parlamentarier vorziehen, wird der Genfer Staatsrat ohne Bundeshaus-Vergangenheit kaum ankommen.
Bei den Frauen ist es gerade umgekehrt. Die meisten Bundesrätinnen übten vor ihrer Wahl kein Mandat in Bundesbern aus. Und jene Parlamentarierinnen, die es gleichwohl an die Spitze schafften, hatten eine ganz andere Stellung als die Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret. Doris Leuthard war CVP-Chefin, Simonetta Sommaruga Berner Ständerätin und langjährige Präsidentin des Konsumentenschutzes. Moret dagegen ist eine Einzelkämpferin ohne Hausmacht.
Darum aber geht es bei Bundesratswahlen: um Vernetzung, um Abhängigkeiten und – vor allem – um die vermeintliche Berechenbarkeit der Kandidierenden. Niemand ist mehr Bestandteil dieses Berner Biotops als Ignazio Cassis. Als letztes Kriterium kommt hinzu, dass der FDP-Fraktionschef als Katholik die volle Sympathie der CVP geniesst.
Die Frage dürfte also weniger sein, ob Cassis gewählt wird, sondern im wievielten Wahlgang. Von dieser Frage freilich hängt einiges ab.
Ungewöhnlich früh hat die SVP diese Woche ihre Unterstützung für Cassis bekannt gegeben. Alles spricht dafür, dass der Neugewählte Aussenminister wird – die SVP will ihn in die Pflicht nehmen und Cassis als ihren Agenten im Aussendepartement installieren.
Vor diesem Hintergrund wäre die SP strategisch gut beraten, wenn auch sie Ignazio Cassis schon im ersten Wahlgang die Stimme geben würde. Wie gesagt: Der Mann dürfte ohnehin Bundesrat werden. Mit ihrer uneingeschränkten Unterstützung jedoch können die Sozialdemokraten verhindern, dass er ein Magistrat von Gnaden der SVP wird – mithin zum Aussenminister der Rechten.
Die Schweiz ist angewiesen auf gutes Einvernehmen mit den Nachbarländern und mit der EU als ihrem wichtigsten Handelspartner. Das Land braucht einen Aussenminister, der mit Brüssel Verständigung sucht statt Konfrontation. Auch wenn Cassis der SVP in den letzten Tagen eindeutig viel zu schöne Augen gemacht hat: Er ist immer noch ein Freisinniger, der weiss, dass die Schweiz nichts gewinnt, wenn sie Europa vor den Kopf stösst.
Ebenso wichtig ist, dass der Aussenminister diese Politik der Verständigung in der heimischen Arena verteidigt. Dazu gehört insbesondere der Auftritt im Säli der «Sternen» und «Löwen» landauf, landab. Didier Burkhalter hat sich vor dieser Knochenarbeit stets gescheut. Jahre sind so verplempert worden, viel zu viele antieuropäische Vorurteile konnten sich während dieser Zeit in unseren Köpfen festsetzen.
Wem aber muss der Aussenminister bei der Gestaltung einer intelligenten, pragmatischen Europapolitik entgegentreten? Richtig: der SVP. Dem neuen Bundesrat stehen intensive Jahre bevor! Die Linke hat am Mittwoch die Chance und die Verantwortung, sich Ignazio Cassis von Beginn weg an die Seite zu stellen.
In wenigen Tagen steht der Nachfolger von Aussenminister Didier Burkhalter (57) fest. Bereits aber herrscht in der Entourage des bisherigen Amtsinhabers Exodusstimmung. Der Chef sei für die Mitarbeiter schwierig zu erreichen, wie zwei Insider aus dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) dem SonntagsBlick berichten. Oft heisse es, Burkhalter weile gerade in Neuenburg. Von chaotischen Zuständen ist mitunter die Rede.
Zu spüren kriegen dies auch die Medienleute: Letzte Woche war das Departement eine Weile nicht über den offiziellen E-Mail-Kanal zu erreichen, das Postfach sei voll, lautete die Antwort.
Der Wechsel an der Departementsspitze bringt auch das Jobkarussell in Schwung: Verunsicherte EDA-Angestellte halten eifrig nach neuen Jobs Ausschau. Seine persönlichen Mitarbeiter soll Burkhalter bereits mit Stellen in der Diplomatie versorgt haben: Einer wechselt in den Dienst nach San Francisco.
In wenigen Tagen steht der Nachfolger von Aussenminister Didier Burkhalter (57) fest. Bereits aber herrscht in der Entourage des bisherigen Amtsinhabers Exodusstimmung. Der Chef sei für die Mitarbeiter schwierig zu erreichen, wie zwei Insider aus dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) dem SonntagsBlick berichten. Oft heisse es, Burkhalter weile gerade in Neuenburg. Von chaotischen Zuständen ist mitunter die Rede.
Zu spüren kriegen dies auch die Medienleute: Letzte Woche war das Departement eine Weile nicht über den offiziellen E-Mail-Kanal zu erreichen, das Postfach sei voll, lautete die Antwort.
Der Wechsel an der Departementsspitze bringt auch das Jobkarussell in Schwung: Verunsicherte EDA-Angestellte halten eifrig nach neuen Jobs Ausschau. Seine persönlichen Mitarbeiter soll Burkhalter bereits mit Stellen in der Diplomatie versorgt haben: Einer wechselt in den Dienst nach San Francisco.