Kokain legalisieren? Bundesratskandidat Cassis kann sich das vorstellen – Konkurrent Maudet findet das völlig daneben
Jetzt kommt Pulver in den Wahlkampf

Am 20. September entscheidet sich, wer den Sitz von FDP-Bundesrat Didier Burkhalter erbt. Jetzt bricht ein Streit um Kokain aus. Denn während Ignazio Cassis weg von den illegalen Drogen will, bezeichnet Konkurrent Maudet diese Idee als «schwindelerregend».
Publiziert: 05.09.2017 um 23:42 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 05:08 Uhr
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Will neue Politik: FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis will Drogen legalisieren – aber auch regulieren.
Foto: Sabine Wunderlin
Cinzia Venafro und Ruedi Studer

Und plötzlich geht es im Rennen um den frei werdenden Sitz in der Regierung um weisses Pulver und grüne Blüten: Bundesratskandidat Ignazio Cassis (56) spreche sich «explizit für eine Kokain-Legalisierung aus», schreibt die «Aargauer Zeitung». Gegenüber BLICK präzisiert der Tessiner Politiker: «Ich habe mich keineswegs nur auf Kokain konzentriert, sondern grundsätzliche Aussagen gemacht.» 

Das hindert Wahl-Konkurrent Pierre Maudet (39) nicht daran, Cassis scharf anzugreifen. «Diese Idee ist so schwindelerregend wie diese Drogen wohl selbst», poltert er. Gerade gegen Kokain müsse man «mit starker Repression vorgehen, so wie ich es in Genf vormache». Er sei zwar ein Liberaler, «aber in dieser Frage gewichte ich das öffentliche Interesse höher».

Als Bundesrat sei man schliesslich «für die Sicherheit des Landes» verantwortlich. «Ich bin entschieden gegen eine Legalisierung von Kokain. Es ist eine harte Droge, löst eine starke Abhängigkeit aus und ist somit ein Risiko für die öffentliche Gesundheit.»

Man müsse zudem bedenken, dass «Kokain in keinem anderen Land legal ist und eine Liberalisierung in der Schweiz eine Sogwirkung auf Kriminelle und Konsumenten hätte». Maudet gibt den Law-and-Order-Politiker: «Für jemanden, der tagtäglich mit Polizeikräften vor Ort kämpft, um den Drogenmarkt zurückzudrängen, ist eine Liberalisierung inakzeptabel.»

Cassis will einen Markt mit strengsten Regeln

Cassis präzisierte gestern: Eine «Liberalisierung im Sinne einer Kiosklösung» sei auch für ihn «unverantwortlich». Er sei für die «Regulierung aller psychoaktiven Substanzen, ähnlich wie wir die Arzneimittel und Genussmittel regulieren und sie mit unterschiedlichen Schwellen zugänglich machen».

Sprich: Cassis ist für einen Markt mit strengen Regeln. Dabei wären Cannabis, aber auch Kokain nicht legal erhältlich wie Alkohol, aber so zugänglich wie gewisse Medikamente. Cassis sagt: «Ich vertrete diese politische Linie konsequent seit 15 Jahren.»

Zu dieser Überzeugung sei er als Kantonsarzt gelangt. «Wir sollten heute von der Politik der illegalen Drogen zur Politik der psychoaktiven Substanzen übergehen.» Mit einer Regulierung könne man ein Verbot für Minderjährige wirksamer umsetzen. «Und für Erwachsene liess sich in einem regulierten Markt viel nuancierter umgehen.»

«Null-Toleranz-Politik hat keine konkreten Resultate gebracht»

Cassis betont, er sei weder für ein Totalverbot von Drogen noch für die völlige Freigabe. Als Mann der Praxis wisse er aber: «Die Folgen der Prohibition sind immer stärker zu spüren, zum Beispiel bei den zunehmend potenten Züchtungen von Hanf.»

Die Schweiz müsse heute den nächsten Schritt wagen, man stehe nicht mehr in den 1990er-Jahren. Die Entwicklung in den USA, Kanada, Portugal und Uruguay zeige, so Cassis, dass die «Null-Toleranz-Politik keine konkreten Resultate gebracht hat ausser einem riesigen Schwarzmarkt».

Wahlkandidatin Isabelle Moret (46), die Dritte im Bunde, liegt ganz auf der Linie von Maudet, hält sich aber kurz: «Besonders Kokain ist für eine Legalisierung viel zu gefährlich», sagt sie.

SVP ist «nicht begeistert»

Kostet Ignazio Cassis sein Kokain-Bekenntnis nun den Einzug in die Regierung? Schliesslich braucht der Favorit die Stimmen der SVP, und die ist konsterniert: «Wir teilen Cassis' Haltung in dieser Frage sicher nicht», sagt SVP-Chef Albert Rösti (50). «Nicht begeistert» ist auch SVP-Kollegin Andrea Geissbühler (41, BE), Präsidentin des Verbands Drogenabstinenz Schweiz.

Und SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner (63, AG) sagte zu BLICK schlicht: «Ich bin schockiert.» Eigentlich habe er sich für Cassis einsetzen wollen – jetzt sei er sich nicht mehr sicher. «Drogen-Legalisierer haben bei uns keine Chance! In der SVP verliert er damit zwei Drittel der Stimmen.» 

Ahnliche Töne aus der CVP: «Das wird Cassis Stimmen kosten», glaubt Nationalrat Yannick Buttet (40, VS). «Ein Bundesrat mit einer solchen Haltung wäre kein gutes Signal.» CVP-Chef Gerhard Pfister (54) dagegen hält zu Cassis: «Ich bin nicht seiner Meinung, aber er hat den Mut, seine Standpunkte offen zu vertreten.»

Selbst einmaliger Konsum kann tödlich enden

Kokain wirkt körperlich und psychisch stimulierend. Die Droge wird heute in der Schweiz in allen Schichten konsumiert, obwohl die Risiken bekannt sind. Sucht Schweiz warnt vor Akutfolgen: Auf physischer Ebene bewirkt Kokain die Erhöhung von Blutzuckerspiegel, Körpertemperatur, Herzfrequenz und Blutdruck. Damit ist nicht zu spassen: Gefässe werden verengt, und es kann zu Hinblutungen kommen. Konsumenten nehmen zusätzlich Herzrhythmus-Störungen oder Infarkte in Kauf. Auch Atemstillstand, Krämpfe und Epilepsie gehören zur akuten Gefahr. Besonders risikobehaftet sind Menschen, die bereits Probleme mit Herz-Kreislauf oder Bluthochdruck haben.

Ruhelos, reizbar und gewaltbereit

Nicht weniger gefährlich sind die Langzeitfolgen. Die Stiftung Sucht Schweiz bringt es auf den Punkt: «Ein dauerhafter und intensiver Kokainkonsum kann zu psychischen Veränderungen führen und insbesondere Ruhelosigkeit, Reizbarkeit, Gewalttätigkeit und Aggressivität sowie unbegründete Ängste und Verwirrtheit hervorrufen.» Und: Der dauerhafte Konsum zehrt am Körper. Dessen Belastbarkeit nimmt ab, wodurch die Infektionsgefahr steigt. 

Auch dauerhafte Gehirnschäden möglich

Selbst Gehirnschäden sind langfristig möglich. Bekannt sind Intelligenzminderung, Konzentrationsprobleme oder Einschränkungen von Merk- und Lernfähigkeit. Ausserdem: Sehverlust, chronische Bronchitis, Leber- und Herz-Kreislauf-Schäden. Bei längerem Schnupfen von Kokain werden die Schleimhäute angegriffen und die Nasenzwischenwand kann durchlässig werden.

Symptome einer körperlichen Abhängigkeit treten kaum auf. Dafür ist das Risiko einer psychischen Sucht sehr gross.

Kokain wirkt körperlich und psychisch stimulierend. Die Droge wird heute in der Schweiz in allen Schichten konsumiert, obwohl die Risiken bekannt sind. Sucht Schweiz warnt vor Akutfolgen: Auf physischer Ebene bewirkt Kokain die Erhöhung von Blutzuckerspiegel, Körpertemperatur, Herzfrequenz und Blutdruck. Damit ist nicht zu spassen: Gefässe werden verengt, und es kann zu Hinblutungen kommen. Konsumenten nehmen zusätzlich Herzrhythmus-Störungen oder Infarkte in Kauf. Auch Atemstillstand, Krämpfe und Epilepsie gehören zur akuten Gefahr. Besonders risikobehaftet sind Menschen, die bereits Probleme mit Herz-Kreislauf oder Bluthochdruck haben.

Ruhelos, reizbar und gewaltbereit

Nicht weniger gefährlich sind die Langzeitfolgen. Die Stiftung Sucht Schweiz bringt es auf den Punkt: «Ein dauerhafter und intensiver Kokainkonsum kann zu psychischen Veränderungen führen und insbesondere Ruhelosigkeit, Reizbarkeit, Gewalttätigkeit und Aggressivität sowie unbegründete Ängste und Verwirrtheit hervorrufen.» Und: Der dauerhafte Konsum zehrt am Körper. Dessen Belastbarkeit nimmt ab, wodurch die Infektionsgefahr steigt. 

Auch dauerhafte Gehirnschäden möglich

Selbst Gehirnschäden sind langfristig möglich. Bekannt sind Intelligenzminderung, Konzentrationsprobleme oder Einschränkungen von Merk- und Lernfähigkeit. Ausserdem: Sehverlust, chronische Bronchitis, Leber- und Herz-Kreislauf-Schäden. Bei längerem Schnupfen von Kokain werden die Schleimhäute angegriffen und die Nasenzwischenwand kann durchlässig werden.

Symptome einer körperlichen Abhängigkeit treten kaum auf. Dafür ist das Risiko einer psychischen Sucht sehr gross.

Klare Linien

Kommentar von BLICK-Chefredaktor Andreas Dietrich

Auch auf Nebenschauplätzen spielt sich Erhellendes ab. Drogenpolitik steht nicht im Rampenlicht, wenn die FDP-Bundesratskandidaten durchleuchtet werden. Dennoch ist das Kokain-Bekenntnis von Ignazio Cassis eine Wohltat. Es putscht endlich die Diskussion auf, wofür die drei inhaltlich eigentlich stehen – jenseits von Tessiner, Frau, jung.

Cassis vertritt auch dann seine Meinung, wenn er weiss, dass sie in grossen Teilen des Par­laments unpopulär ist. Seit Jahren ist er pragmatisch in Drogenfragen – und bleibt sich treu. Er steht als Liberaler für eine liberale Gesellschafts­politik ein. Eine klare Linie.

Pierre Maudet ­widerspricht ­vehement. Er schöpft aus seiner Erfahrung als Sicherheits­direktor in Genf. Praktische Lösungen statt grundsätzlicher Überlegungen. Liberalismus endet da, wo Law and Order gefährdet sind. Eine klare Linie. Der sich Isabelle Moret irgendwie auch anschliesst.

Unterschiedliche Positionen, beide vertretbar, beide klar. Das hilft der Bundesversammlung, die Wahl zu treffen. Jetzt müssen nur noch alle drei Anwärter bei wichtigeren Fragen auf Hauptschauplätzen Farbe bekennen. Dann wirds inhaltlich doch noch spannend.

Kommentar von BLICK-Chefredaktor Andreas Dietrich

Auch auf Nebenschauplätzen spielt sich Erhellendes ab. Drogenpolitik steht nicht im Rampenlicht, wenn die FDP-Bundesratskandidaten durchleuchtet werden. Dennoch ist das Kokain-Bekenntnis von Ignazio Cassis eine Wohltat. Es putscht endlich die Diskussion auf, wofür die drei inhaltlich eigentlich stehen – jenseits von Tessiner, Frau, jung.

Cassis vertritt auch dann seine Meinung, wenn er weiss, dass sie in grossen Teilen des Par­laments unpopulär ist. Seit Jahren ist er pragmatisch in Drogenfragen – und bleibt sich treu. Er steht als Liberaler für eine liberale Gesellschafts­politik ein. Eine klare Linie.

Pierre Maudet ­widerspricht ­vehement. Er schöpft aus seiner Erfahrung als Sicherheits­direktor in Genf. Praktische Lösungen statt grundsätzlicher Überlegungen. Liberalismus endet da, wo Law and Order gefährdet sind. Eine klare Linie. Der sich Isabelle Moret irgendwie auch anschliesst.

Unterschiedliche Positionen, beide vertretbar, beide klar. Das hilft der Bundesversammlung, die Wahl zu treffen. Jetzt müssen nur noch alle drei Anwärter bei wichtigeren Fragen auf Hauptschauplätzen Farbe bekennen. Dann wirds inhaltlich doch noch spannend.

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