Schock. Unglauben. Trauer. Aussenminister Didier Burkhalter hat mit seinem Rücktritt ganz Bundesbern auf dem falschen Fuss erwischt – und ein politisches Erdbeben ausgelöst.
In der Wandelhalle flossen bereits Minuten nach dem Burkhalter-Hammer Tränen. Allerdings kaum in seiner Partei. Emotionen zeigten linke Nationalrätinnen.
Der Grund ist offensichtlich: Der Neuenburger geniesst bei seinem politischen Gegner grössten Respekt und viel Sympathie. Denn dank der Stimme des weltoffenen, adretten FDP-Vertreters wurde der Rechtsrutsch bei den nationalen Wahlen 2015 in der Regierung nie vollzogen. Guy Parmelin als zweiter SVP-Vertreter konnte selten das Zünglein an der Waage spielen.
Zu oft stimmte Burkhalter dafür mit den SP-Vertretern und Bundespräsidentin Doris Leuthard (CVP). So winkte die Landesregierung etwa eine Frauenquote durch und stellte sich gegen den Widerstand von FDP und SVP hinter die Altersreform-Variante von Mitte-links.
Entscheidend war Burkhalters «Unabhängigkeit», wie er es bezeichnet, aber vor allem bei aussenpolitischen Themen. So stemmte sich der freisinnige Romand immer wieder gegen Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit – oder bremste heikle Rüstungsgeschäfte.
SP-Präsident Christian Levrat bejubelt den FDP-Mann in einer Stellungnahme denn auch als «würdigen» Aussenminister. Ein «weltoffenes und positives Bild der Schweiz» habe er im Ausland vermittelt, adelt ihn die Linkspartei im Communiqué, das noch vor jenem der FDP verschickt wurde.
Viele Parlamentarier der Grünen und der SP fürchten, dass es mit der komfortablen Situation nun vorbei ist. Eine Nationalrätin versuchte gestern gar verzweifelt, die linksliberale Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder als Burkhalter-Nachfolgerin zu lancieren.
Und Cédric Wermuth sagte im Namen der SP zu BLICK: «Es gibt kein Gesetz, das einer Kleinpartei wie der FDP zwei Bundesratssitze zusichert.» Bevor über Namen diskutiert werde, gelte es zu prüfen, ob auch die kleinen Parteien einen Anspruch anmelden könnten. Alle Optionen lägen auf dem Tisch.
Realistisch ist das nicht. So sagt CVP-Präsident Gerhard Pfister: «Der Sitzanspruch der FDP ist gegeben.» Die Linke wird aber alles unternehmen, um einen FDP-Rechtsausleger zu verhindern. Allerdings ist der aktuelle Favorit Ignazio Cassis im Amt als Fraktionschef deutlich nach rechts gerutscht.
Offiziell versucht die SP, den Ball flach zu halten. «Ein Vertreter des rechten FDP-Flügels hat keine Chance, in der Bundesversammlung gewählt zu werden», glaubt etwa Gewerkschaftsboss und Nationalrat Corrado Pardini. Er sei überzeugt, dass nur ein «sozialliberaler Vertreter» der FDP gewählt werde.
Da dürfte auch Zweckoptimismus mitschwingen. Aufbruchstimmung herrschte gestern jedenfalls in den Reihen der SVP. Parteipräsident Albert Rösti sagte bereits Minuten nach der Neuigkeit vielsagend zu BLICK: «Wir hoffen, dass auf Burkhalter ein klar bürgerlicher Vertreter folgt.»
Auch wenn es die meisten Parlamentarier noch nicht so offen sagen wollen, herrscht in einem Punkt Einigkeit: Der Rücktritt des Neuenburgers wird die Schweizer Politik nachhaltiger verändern als die Wahl von Guy Parmelin im Dezember 2015.
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