Wessen Bundesrat ist er nun, der am Mittwoch gewählte Ignazio Cassis (FDP, 56)? Gehört er der SVP, deren Stimmen seine Wahl erst möglich gemacht haben?
Die SVP selbst meint das jedenfalls. «Mit Cassis sollten die Zeiten von Mitte-links-Mehrheiten im Bundesrat vorbei sein», sagte etwa der Luzerner Nationalrat Franz Grüter (54) gegenüber dem «St. Galler Tagblatt».
Das gilt besonders für die Europa-Politik. Cassis habe der Partei im Hearing drei Versprechen gegeben, so SVP-Präsident Albert Rösti (50): dass er im EU-Dossier den Reset-Knopf drücke, dass es kein Rahmenabkommen und keine «fremden Richter» geben werde und dass er die Guillotineklausel aus den Bilateralen streichen werde.
Diese Klausel besagt, dass bei Kündigung eines Abkommens auch alle anderen hinfällig werden. «An diesen Versprechen werden wir Cassis messen», so Rösti.
Mehr Verständnis für Arbeitnehmer
Für SP-Präsident Christian Levrat (47) sind das naive Vorstellungen. Das hindert den Genossen aber nicht daran, eigene Erwartungen an den neuen Magistraten zu formulieren. So hofft Levrat, dass Cassis mehr Verständnis für die Probleme der Arbeitnehmer in den Bundesrat einbringen werde. Sprich: dass er für einen Ausbau der flankierenden Massnahmen zu haben ist.
«Cassis weiss, wie wichtig der Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen ist», glaubt auch SP-Nationalrat und Unia-Boss Corrado Pardini (52). Als Tessiner könne er in diesen Fragen daher von der FDP-Linie abweichen, so Pardini gegenüber dem «Tages-Anzeiger».
Hoffnung auf den Brückenbauer
CVP-Präsident Gerhard Pfister (54) findet die SP- und SVP-Wünsche irritierend: «Es ist unsinnig, Bundesräte mit parteipolitischen Forderungen zu überziehen», sagt er zu BLICK. Ich erwarte von Ignazio Cassis nicht, dass er CVP-Politik macht. Er soll die Beschlüsse des Bundesrats mittragen und umsetzen.»
Pfister hofft allerdings, dass Cassis sich wie versprochen als Brückenbauer beweist: «Das heisst, dass er kein Block-Politiker ist, sondern offen für alle Partner.»
Auch in der Europa-Politik hat der Zuger klare Vorstellungen von der Aufgabe des neuen Bundesrats: «Egal, ob man das Reset nennt oder wie auch immer: In der Europapolitik werden wir ihn daran messen, ob er den bilateralen Weg verteidigen kann.»